Gewerkschafter spricht über die unwürdigen Arbeitsbedingungen.
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Wien. Katar ist 2022 Austragungsort der Fußball-WM. 100 Milliarden Dollar gibt das Golfemirat bis dahin für die Errichtung von neun Stadien, zahlreichen neuen Hotelanlagen und Parkanlagen sowie und den Ausbau seines Autobahnnetzes aus. Geld spielt angesichts des Ölreichtums keine Rolle, gespart wird trotzdem - bei den hunderttausenden Gastarbeitern, die diese Glitzerwelt mit Knebelverträgen aus dem Boden stampfen müssen; viele sind zu Tode gekommen. Wenn Katar die menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen nicht ändert, werden, noch bevor das erste WM-Match beginnt, rund 4000 Billigkräfte ihr Leben lassen, warnt der Internationale Gewerkschaftsbund. Dieser nimmt nun auch den Weltfußball-Verband Fifa in die Pflicht. "Re-Run The Vote" lautet die Kampagne, der sich auch Nepals Gewerkschaftsverband anschloss. Mit Ramesh Badal sprach die "Wiener Zeitung".
"Wiener Zeitung": Obwohl die Misere inzwischen bekannt ist, gehen noch immer so viele Nepalesen als Gastarbeiter nach Katar? Wie erklären Sie das?Ramesh Badal: In Nepal strömen jedes Jahr 400.000 Menschen neu auf den Arbeitsmarkt. Aber nur 100.000 von ihnen finden im Land einen Job. Die übrigen 300.000 sind arbeitslos oder arbeiten illegal, sie können sich und ihre Familie nicht ernähren. Außerdem hofft jeder, dass er mehr Glück hat als die anderen. Sobald sie einen Arbeitsvertrag bekommen, sind sie weg. Früher war Malaysia das Haupt-Zielland, seit zwei Jahren ist es Doha.
Wo sie dann aber oft gar keinen oder nur sehr wenig Lohn bekommen.Ja, in der Tat. Aber offiziell wurde von der nepalesischen Regierung der monatliche Mindestlohn für Katar auf 243 Euro – bei einem 8-Stunden-Tag – festgesetzt. Das ist viel, angesichts der Tatsache, dass er in Nepal nur 75 Euro beträgt. Wenn die für Arbeitsmigration zuständige Behörde in Katar dem nicht zustimmt, erteilt Nepal keine Genehmigung. Das Problem ist nur: Sobald die Arbeiter Nepal verlassen haben, ist die Übereinkunft hinfällig. Denn in Katar wird der Arbeitsvertrag per Gesetz von der Firma, für die die Nepalesen arbeiten, neu aufgesetzt – und dann liegt der Lohn de facto bei 182 Euro.
Wie hoch ist der Prozentsatz der Arbeiter, die diesen Betrag auch tatsächlich erhalten?
Etwa 80 Prozent halten sich mehr oder weniger daran. Das Problem sind die 20 Prozent, die das ganz und gar nicht tun. Und die Arbeiter in Nepal hoffen, dass sie unter die erste Gruppe fallen.
Wozu werden überhaupt Arbeitsverträge in Nepal ausgestellt, wenn die dann ohnehin hinfällig sind?
Eine gute Frage. Fakt ist jedenfalls: Bei der Aufsetzung des "neuen" Vertrages in Katar herrscht totale Willkür: Die Arbeitgeber können dort hineinschreiben, was immer sie wollen.
Warum wird nicht protestiert?
Die Arbeiter können ihre Stimme gegen dieses skandalöse System nicht erheben, weil es erstens keine Interessensorganisation gibt, an die sie sich wenden können. Und zweitens wegen des sogenannten Kafala-Systems. Das bedeutet: Für ihre Arbeitserlaubnis brauchen die Arbeitsmigranten einen Bürgen - das ist in dem Fall der Unternehmer, dem sie auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind. Sie sind quasi das Eigentum der Firma. Diese bestimmt alles, die Arbeitsbedingungen, die Höhe des Lohnes, wann und ob sie ihn überhaupt zahlen und sogar wann die Arbeitsmigranten Katar wieder verlassen dürfen. Das ist der Hauptgrund, warum wir von Sklaventum sprechen.
Kommt es häufig vor, dass Firmen Arbeitern die Heimreise verwehren, obwohl der Arbeitsvertrag abgelaufen ist?
Ja, das betrifft vor allem Branchen, in denen schwer Arbeitskräfte zu finden sind. Bei meinem Rückflug aus Katar voriges Jahr saß neben mir ein junger Bursch aus Nepal, der einen Drei-Jahres-Vertrag bekommen hatte, es aber erst nach elf Jahren schaffte, aus Katar rauszukommen. Er arbeitete als Kuhhirte. Gehalt bekam er nicht, nur Essen, Trinken und einen Schlafplatz. Schließlich stimmte der Grundbesitzer einer vorübergehenden Ausreise zwecks Hochzeit zu. Er gab ihm aber nur die Hälfte eines Jahreslohnes. Der Bursch arbeitete also elf Jahre für ein Sechs-Monats-Gehalt. Zurückgekehrt ist er natürlich nicht.
Erklärt das die hohe Selbstmordrate unter Nepals Arbeitsmigranten?
Ja. Viele denken sich: "Ich halte es nicht mehr aus." Aber sie wissen nicht, ob und wann sie je wieder das Land verlassen können. Sie haben keine Zukunftsperspektive mehr und nehmen sich aus Verzweiflung das Leben.
Ein weiterer Grund für die hohe Todesrate sind die menschenunwürdigen Arbeits- und Wohnbedingungen?
Ja, die Todesrate ist sehr hoch. Allein von Jänner 2012 bis September 2013 starben 427 Arbeiter. Die meisten bei Unfällen auf Baustellen - weil es kaum Sicherheitsmaßnahmen oder Einschulungen für die Arbeiter gibt. Den Firmen ist ihr Schicksal egal, sie scheren sich nicht darum. Eine weitere sehr häufige Todesursache ist Herzversagen, selbst unter den Jungen. Auch das eine Folge der katastrophalen Arbeitsbedingungen. Die Männer arbeiten den ganzen bei 50 Grad in der Sonne - ohne Wasser zum Trinken.
Wie sieht’s in den Schlaflagern aus?
Einige habe ich während meines Karar-Besuchs selbst gesehen. Die Bedingungen sind unvorstellbar. In einem zehn Quadratmeter großen Zimmer standen neun Betten, die Luft war so stickig, dass man kaum atmen konnte, der Raum hatte kein Fenster und es gab zwar einen Ventilator, aber die Rotorblätter fehlten. Für 40 Menschen standen eine Toilette und eine Dusche zur Verfügung. Und Trinkwasser mussten die Männer aus einem einzigen Brunnen neben dem Haus holen. Man kann sich kaum vorstellen, dass Menschen dort überhaupt überleben können.
Siehe auch:
Artikel "Kein Zutritt für Gewerkschafter"