"I wollt nur fragen, wie gehts Ihnen so?" Mit dieser an Feingefühl und Esprit wohl kaum zu überbietenden Frage wandte sich ein Reporter von "Österreich" am Dienstag telefonisch an den Geiselnehmer, als dieser in der Bawag Angst und Schrecken verbreitete. Man wartete nicht, bis der Mann aufgab, sondern rief einfach in der Bank an, noch während der Mann dort Angestellte mit vorgehaltener Waffe in Schach hielt: Man wollte eben ein Interview, scheinbar um jeden Preis.
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Diese neue Art von Recherche sorgte am Mittwoch für Entsetzen bei Polizei, Journalisten und Medienexperten. Dass sich eine Zeitung nicht scheut, sich in eine polizeiliche Amtshandlung einzumischen und durch eine an einen Klingelstreich erinnernde Vorgangsweise den Täter in Zorn versetzt, wird von Experten in seltener Einhelligkeit als bisher nicht da gewesener Tiefpunkt im heimischen Journalismus gewertet. Immerhin kämpfte die Polizei fünf Stunden darum, die Geiseln freizubekommen und ein unblutiges Ende herbeizuführen - und dann funkt da eine Zeitung dazwischen.
Ja, natürlich steht die Bawag-Telefonnummer im Telefonbuch. Und natürlich hätte jeder dort anrufen können (was schon auch die Frage nach der technischen Unterbindung solcher Aktionen aufwirft).
Aber die Tatsache, dass es gerade "Österreich" tat, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Art und Weise, mit wie wenig Rücksicht hier gearbeitet wird. Wohlgemerkt: Das ist längst keine Frage von Stil, Tippfehlern oder nobler Zurückhaltung mehr. Es ist eine Frage, ob man bewusst riskiert, durch eine unbedachte Äußerung gegenüber dem ohnehin schon unter Druck stehenden Geiselnehmer das Leben unschuldiger Menschen aufs Spiel zu setzen. Und das wegen eines vermeintlichen Scoop.
Den hat man jetzt, allerdings nicht ganz so, wie man sich das vorgestellt haben dürfte: Nun liegt die Sache bei der Staatsanwaltschaft, die angekündigt hat zu prüfen, ob der Tatbestand der "Gefährdung der körperlichen Sicherheit" (§ 89 Strafgesetzbuch) oder "fahrlässiger Gemeingefährdung" (§ 177 StGB) erfüllt ist. Für letzteren waren jedoch offenbar zu wenige Personen in der Bank.
Es ist das jedoch nicht das erste Mal, dass fragwürdige Praktiken, die bislang im Journalismus verpönt waren, nun salonfähig zu werden scheinen. So war es schon nicht sehr feinfühlig von "Österreich", ein Bild des Hauses samt Adresse der verwahrlosten Linzer Mädchen abzudrucken.
Woran liegt so ein Paradigmenwechsel? Einerseits an einem immer brutaler werdenden Konkurrenzkampf am Tageszeitungsmarkt, in dem Vernunft und Besonnenheit - früher ein Qualitätsmerkmal - immer mehr zu kurz kommen. Im Ringen um einen Exklusiv-Artikel werden journalistische Tugenden beiseite geschoben. Ungünstig war in diesem Zusammenhang wohl andererseits auch die Abschaffung des Presserates durch die Zeitungsherausgeber, die jede Selbstkontrolle der Branche unterbunden hat. 13