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"Wir sehen Europa anders"

Von Walter Hämmerle und Hermann Sileitsch

Politik
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Ja zur Union, aber nicht in der gegenwärtigen Form: Botschafterin Susan le Jeune d’Allegeershecque im Gespräch.
© Urban

Großbritanniens Botschafterin im Interview über Zentralismus, Bürokratie, und Vorschriften.


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"Wiener Zeitung": Frau Botschafterin, Premier David Cameron hat für 2017 ein Referendum über den Austritt Großbritanniens aus der EU angekündigt. Wie würden Sie für unsere österreichischen Leser das Verhältnis Ihres Landes zur Union beschreiben?Susan le Jeune d’Allegeershecque: An erster Stelle stehen zweifellos die enormen wirtschaftlichen Vorteile des gemeinsamen Markts. Eine Erfolgsgeschichte bildet auch der Bereich der gemeinsamen europäischen Außenpolitik; diese hat den globalen Einfluss Europas massiv erhöht. Die dritte große Erfolgsgeschichte der EU liegt in ihren Handelsabkommen mit den großen Wirtschaftsmächten außerhalb Europas. Das gilt insbesondere auch für das geplante Freihandelsabkommen mit den USA.

Und die Differenzen?

Für eine Gruppe von Staaten liegt die Zukunft in einer immer stärkeren politischen und wirtschaftlichen Integration - wir sehen das, im Unterschied zu den Kernstaaten der Eurozone, anders. Hinzu kommen bestimmte sozialpolitische Bestrebungen, mit denen die Regierung Großbritanniens nicht einverstanden ist. Premierminister Cameron hat das in seiner Rede vom Jänner deutlich angesprochen. Die Gründe für diesen unterschiedlichen Blick auf die Gestaltung Europas liegen zum Teil in unserer Geschichte und Tradition: Wir sind nun einmal eine Insel und haben oft einen pragmatischeren Zugang zu Problemen.

So gesehen müssten die Vorteile einer britischen EU-Mitgliedschaft die Nachteile massiv zu übertreffen. Warum hat die Regierung dennoch ein Referendum angesetzt? Warum wird nicht über Reformen in britischem Interesse verhandelt?

Ja, die Vorteile einer EU-Mitgliedschaft überwiegen eindeutig, und Premier Cameron lässt keinen Zweifel daran, dass er mit aller Kraft für einen Verbleib werben wird. Großbritannien würde, anders als die Schweiz oder Norwegen, nicht davon profitieren, außerhalb der EU zu sein. Die Zeit bis zum Referendum will die Regierung deshalb nutzen, um die Beziehungen Großbritanniens zur EU auf eine neue Grundlage zu stellen. Es besteht also ein klarer Zusammenhang zwischen einer Wiederwahl Camerons bei den Parlamentswahlen 2015 und der Abhaltung des Referendums. Die EU verändert sich mit enormer Geschwindigkeit, und deshalb machte der Premierminister in seiner Rede deutlich, dass sich auch unsere Beziehung zur EU ändern muss, um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen.

Geht es nicht in Wirklichkeit weniger um die Differenzen zwischen Großbritannien und dem Rest der EU als vielmehr um die Spaltung der Konservativen in EU-Gegner und -Befürworter?

Es gibt tatsächlich eine große Meinungsbandbreite innerhalb der Conservative Party, und ein Teil davon ist sehr EU-skeptisch.

Aus kontinentaleuropäischer Sicht erscheinen die Kritiker als treibende Kraft hinter der Abstimmung. . .

Der Premierminister hat einen äußerst schwierigen Job, die Spannungen in seiner Partei zu managen. Hinzu kommt, dass bei den jüngsten Lokalwahlen eine Anti-EU-Partei enormen Zulauf verzeichnete. Diese Entwicklung spielt natürlich eine Rolle. Europapolitik war für uns immer schon ein zentrales innenpolitisches Thema, das unterscheidet uns von anderen EU-Ländern.

Wie können diese beiden konkurrierenden Visionen von Europa miteinander in Einklang gebracht werden? Ist ein Europa der zwei Geschwindigkeiten eine Lösung?

Es gibt bereits jetzt verschiedene Konstellationen, etwa bei den Themen Schengen oder Eurozone. Und auch in Zukunft wird es verschiedene Gruppen von Ländern geben, die in verschiedenen Bereichen enger kooperieren. Cameron hat selbst festgestellt, dass eine vertiefte wirtschaftliche Integration notwendig ist, um den Erfolg der Eurozone sicherzustellen - und dass eine erfolgreiche Gemeinschaftswährung wiederum für den wirtschaftlichen Erfolg Großbritanniens wichtig ist.

Steht Großbritannien in Europa
allein da oder verfügt Ihr Land noch über verlässliche Partner?

Wir sind nicht isoliert, aber unsere Allianzen wechseln je nachdem, um welches Thema es geht. Mit Frankreich haben wir etwa eng kooperiert, als es um die Einsätze in Libyen und Mali ging; bei der Debatte um das künftige EU-Budget hießen unsere Partner Niederlande, Schweden, Österreich und Deutschland. Wir haben es in Europa mit sich ständig verändernden Allianzen zu tun. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass wir uns mit Frankreich auf eine gemeinsame Agrarpolitik verständigen, das ist aber auch nicht notwendig.

Die Debatte über die Rolle Großbritanniens wird in den Medien teils sehr emotional geführt. Haben Sie das Gefühl, manche wären ganz froh, wenn die Briten austreten?

Nein, nie, eher schon das Gegenteil. Ich habe noch mit keinem gesprochen, der gesagt hätte, wenn ihr so unglücklich seid, dann geht doch. Die Menschen verstehen, dass es nicht nur für uns besser ist, in der EU zu bleiben, sondern auch für die EU, wenn wir bleiben. In Großbritannien berichten viele Medien sehr kritisch über die EU, weil es leichter ist, eine negative Geschichte zu schreiben als eine positive. Deshalb besteht das Risiko, dass eine Mehrheit für den Austritt stimmt. Ich glaube das nicht, aber die Möglichkeit besteht. Das weiß auch der Premierminister.

Es gibt noch eine schicksalshafte Volksabstimmung für Großbritannien: 2014 werden die Schotten über ihre Unabhängigkeit abstimmen. Welche Folgen hätte ein Ja?

Die Haltung unserer Regierung entspricht jener in der Frage zu Europa: Schottland ist besser dran im Vereinigten Königreich und umgekehrt. Welche Folgen eine Trennung hätte, kann heute niemand sagen, aber es geht um einige wirklich große Fragen.

Vor dem Hintergrund der Wirtschaftsflaute dreht sich die Debatte über Wachstum fast ausschließlich um die Rolle des Staates; Großbritannien setzt seit jeher auf den freien Markt - fühlen Sie sich in der Rolle des einsamen Rufers?

Nein, wenn es um die Notwendigkeit harten Sparens geht, um aus der Rezession zu finden, haben wir sehr wohl Partner. Das beste Beispiel ist Irland, aber auch Portugal ist auf gutem Weg. Es gibt natürlich auch in Großbritannien die Debatte, ab wann Austerität beginnt, negative Wirkungen zu entfalten. Aber die jüngsten Wirtschaftsdaten geben der rigorosen Sparpolitik der Regierung recht: Die Arbeitslosigkeit sinkt, die Konjunktur erholt sich langsam; wir sind noch nicht dort, wo wir hin wollen, aber es gibt Licht am Ende des Tunnels.

Großbritanniens Wachstum in den letzten Jahrzehnten beruhte im Wesentlichen auf den Sektoren Finanzen und Energie. Seit der Schuldenkrise ist die Finanzbranche im Umbruch. Wurde der Rest der Wirtschaft, insbesondere die produzierende Industrie, vernachlässigt?

Nicht bewusst vernachlässigt, aber diese Bereiche wuchsen sicher nicht mit der gleichen Geschwindigkeit. Doch das ändert sich gerade. Unserer Autoindustrie ist nicht so groß wie die deutsche, aber auch erfolgreich: Range Rover, Jaguar, Mini werden hier produziert; auch japanische Hersteller sind stark vertreten. Und es gibt weitere Erfolgsgeschichten: Informations- und Biotechnologie entwickeln sich ausgezeichnet. Was uns auszeichnet und etwa von Österreich unterscheidet, ist unser großer Risikokapital-Sektor. Hinzu kommen Luxusmarken wie Burberry, Design, Werbung, Film: Wir haben Cluster-Industrien, in denen wir Weltspitze ist.

Cameron will nun die britischen Offshore-Steueroasen dazu bewegen, Steuerhinterziehung zu unterbinden. Ist der Premier auch bereit, politischen Druck auszuüben?

Cameron redet hier nicht nur, er wird auch handeln. Wir können diesen Territorien zwar nicht einfach anschaffen, was sie zu tun haben, aber wir können sicher mehr als nur über das Thema Steuerhinterziehung reden.

Finanzministerin Maria Fekter fordert Transparenz auch für Trusts und Briefkastenfirmen. Wie steht Großbritannien zu dieser Frage?

Transparenz ist eine der Prioritäten unserer G8-Präsidentschaft. Gemeinsam mit Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien haben wir ein Pilotprojekt für einen globalen Standard zum automatischen Datenaustausch gestartet, der auch Informationen über Trusts beinhaltet.

Steuerhinterziehung von Unternehmen ist nur ein Aspekt, ein anderer ist die Bereitschaft etlicher Staaten, Schlupflöcher einzubauen, um Unternehmen Steuerminimierung zu ermöglichen. Großbritannien wiederum ist ein Vorkämpfer für eine niedrige Unternehmensbesteuerung und hat eben erst den Satz von 25 auf 20 Prozent gesenkt.

Hier muss man differenzieren. Das eine ist es, wenn Unternehmen versuchen, dank Schlupflöchern ihre Steuerleistung zu senken. Das ist zu verurteilen. Etwas anderes ist es, einen generell niedrigen Steuersatz zu haben, der dann aber voll berappt wird. Ziel muss es sein, diese Schlupflöcher zu schließen - und die Steuersysteme zu vereinfachen.

Welche Interessen verbinden Großbritannien und Österreich?

Bei der Debatte um ein Sparbudget für die EU deckten sich unsere Interessen; Österreichs Industrie teilt unsere Ansichten, wenn es um weniger Bürokratie und Vorschriften geht; ganz generell das Thema Freihandel; und schließlich das zentrale Thema EU-Erweiterung, vielleicht nicht bei der Türkei, aber sicher, wenn es um den Balkan geht.

Susan le Jeune d’Allegeershecque ist seit September 2012 britische Botschafterin in Österreich sowie Vertreterin Großbritanniens bei der UNO und anderen internationalen Organisationen in Wien. Zuvor war sie Mitglied im Leitungsgremium des Außenministeriums in London. Dem diplomatischen Dienst gehört die Mutter zweier Söhne seit 1985 an.