Zum Hauptinhalt springen

"Wir setzen unseren Weg fort"

Von Martyna Czarnowska

Politik

Ultranationalisten schafften Einzug ins Parlament. | Geringer Frauenanteil. | Kurdische Politiker könnten Fraktion gründen. | Ankara. Von tausenden Anhängern bejubelt und beklatscht, sein Bild mit beiden zum Gruß erhobenen Händen via Leinwand dutzendfach vergrößert: Wie ein Popstar wurde der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan in der Nacht des Wahlsieges vor dem Hauptquartier seiner Partei in Ankara gefeiert. Denn dass die islamisch geprägte AKP die Parlamentswahl am Sonntag gewinnen würde, war schon im Vorfeld prognostiziert worden. Wie groß der Triumph dann aber tatsächlich werden würde, haben wohl nur wenige erwartet: Fast jeder zweite Mensch in der Türkei hat seine Stimme für die Regierungspartei abgegeben. Die AKP (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung) erhielt damit rund 12 Prozentpunkte mehr als bei der Wahl vor fünf Jahren.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 17 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

"Wir setzen unseren Weg fort", betonte denn auch Erdogan, was schon das Motto der Wahlkampagne war. Die Regierung werde sowohl ihre Reformpolitik als auch die Annäherung an die Europäische Union vorantreiben, kündigte der Premier an. Dabei könnte er allerdings im künftigen Parlament einige Hürden überwinden müssen.

EU-skeptische

Oppositionsparteien

Zwar hält die AKP in der Großen Nationalversammlung weiterhin die Mehrheit, auch wenn sie wegen des Einzugs anderer Parteien bis zu zwölf Mandate verloren hat. Doch die Opposition ist EU-skeptisch. Dabei rechnen Beobachter damit, dass die ultranationalistische MHP - die den Einzug ins Parlament geschafft hat und dort drittstärkste Kraft wird - zu schärferen Kritikern der Regierung wird als die kemalistische CHP.

Letztere wird nach dem Verlust von mehr als 30 Mandaten wohl in nächster Zeit mit dem Begleichen innerparteilicher Rechnungen beschäftigt sein. Schon jetzt fordern CHP-Mitglieder den Rücktritt ihres Vorsitzenden Deniz Baykal - der auch einen Tag nach der Wahl zu keiner Stellungnahme bereit war.

Kein Kommentar kam zunächst auch aus dem Generalstab. Dabei waren es die Militärs, die Ende April vor einem Griff der AKP nach dem Präsidentenamt und einer Gefahr für den säkulären Staat gewarnt hatten. Wie sich die Armeeführung künftig verhalten wird, ist noch unklar.

Kaum denkbar ist hingegen, dass das Militär zum Einlenken in einer für die EU zentralen Angelegenheit bereit ist: Die von Brüssel verlangte Öffnung der türkischen Häfen und Flughäfen für zypriotische Schiffe sowie Flugzeuge lehnt es ebenso ab wie den Abzug türkischer Truppen aus Nordzypern.

Eine Enttäuschung nicht nur für Frauenaktivistinnen ist der weiterhin geringe Anteil weiblicher Abgeordneter im Parlament. Die AKP hatte lediglich elf Prozent Frauen auf ihre Wahllisten gesetzt, die CHP zehn Prozent. Der Frauenanteil in der Volksvertretung könnte damit von 4,4 auf höchstens zehn Prozent wachsen.

Thema Kurden

auf der Agenda

Grund zur Freude hat allerdings die kurdisch geprägte DTP (Partei für eine Demokratische Gesellschaft). Um nicht an der Zehn-Prozent-Hürde für Parteien zu scheitern, ist sie nicht zur Wahl angetreten, sondern hat eine Vielzahl nominell parteiloser Kandidaten aufgestellt. So schafften es 23 kurdische Politiker ins Parlament, wo bereits 20 Mandatare eine Fraktion gründen können. Es wäre die erste kurdische Fraktion in der Geschichte des türkischen Parlaments.

Ihren Gegnern gilt die DTP als politischer Arm der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), der kurdischen Minderheit hingegen als Vertreterin ihrer Interessen. Besonders schwer dürfte sich die neue Gruppierung mit der MHP tun, die die Wiedereinführung der Todesstrafe für Terroristen fordert - worunter sie in erster Linie PKK-Rebellen versteht.

Frage nach Stellung des Islam unbeantwortet

Erdogan selbst hat das Thema Kurden im Wahlkampf nur unfreiwillig angesprochen. Fast völlig ausgeklammert hat er ebenso die Frage nach der Stellung des Islam. Denn beides sorgt für Emotionen. So hofften zahlreiche muslimische Frauen, dass das Kopftuchverbot an Schulen, Universitäten und öffentlichen Gebäuden gelockert werde, damit sie etwa mit bedecktem Haupt studieren können.

"Bei den Werten unseres Volkes und den Grundprinzipien unserer Republik werden wir keine Zugeständnisse machen", versprach Erdogan noch in der Wahlnacht. Zu diesen Grundprinzipien gehört der Säkularismus.