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Am 10. Februar werden die 736 EU-Parlamentarier ihre Sternstunde nützen - oder sie versäumen. Es geht um die Zähmung der EU-Regierungen und der Gier nach Daten.
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Jahrelang hat es um den Vertrag von Lissabon geknirscht und gepoltert - kaum ist er seit 1. Dezember in Kraft, verschieben sich die Machtverhältnisse. Da werden Aspiranten für Kommissariatsposten wegen Unbrauchbarkeit vom EU-Parlament nach Hause geschickt, allein das hat es vorher nicht gegeben.
Jetzt bereitet sich die europäische Volksvertretung auf den 10. Februar vor, an dem sie das von der Mehrheit der EU-Innenminister am 30. November putschartig durchgepeitschte Swift-Bankdatenabkommen mit den USA auseinander nehmen und vermutlichen kippen will. Das Abkommen sieht einen intensiven Austausch von Finanzdaten zwischen Europa und den USA vor - zur Terrorbekämpfung, wie es heißt.
Das Europaparlament hat durch die neue EU-Verfassung einen bedeutenden Machtzuwachs erhalten. Wenn es die Chance nicht wahrnimmt, aufzustehen und ein problematisches Vorhaben zu stoppen, das die Datenschutzinteressen von Millionen Bürgern aushöhlen würde, dann ist es selber schuld. Es hätte dadurch einen gewaltigen Prestigezuwachs gleich im ersten Vierteljahr der neuen Ordnung verspielt.
Das ist der institutionelle Aspekt. Dann ist da noch ein zweiter: Die Europäer werden derzeit, ob sie es wahrnehmen oder nicht, von administrativen Spähern, Datensammlern und Spezialisten für Persönlichkeitsprofile aus allen Richtungen bedrängt. Der Nacktscanner ist bloß der plumpe und physikalisch sichtbare Ausdruck der Spitzelei. Deren transkontinentale Dimension erfasst Flugpassagiere genauso wie Kontoinhaber, die Gelder überweisen, und jeden Internetsurfer, Mailschreiber und SMS-Versender.
Österreich ist wegen "Säumigkeit" unter Druck geraten: Es hat die 2006 in einer EU-Richtlinie dekretierte Vorratsdatenspeicherung noch nicht gesetzlich eingeführt. Innenministerium, Justiz und Verbrechensfahnder hätten auch gar nichts dagegen, ansonsten aber haben sich fast alle demokratiepolitisch engagierten Berufsgruppen - von Verfassungsschützern über Rechtsanwälte und den Datenschutzrat bis zum ORF und Journalisten heftig gegen die pauschale, durch keinerlei Verdachtsgründe gedeckte Speicherung sämtlicher elektronischer Kommunikationsvorgänge ausgesprochen: Wer hat wann wo mit wem telefoniert oder auf andere Weise kommuniziert?
Es kommt also viel auf einmal zusammen. Die einzige Macht - falls sie sich als solche durchsetzt -, die derzeit den verhängnisvollen Drang zur Auslöschung der letzten Flecken von Privatheit hemmen könnte, ist das Europaparlament. Das Swift-Abkommen ist das zur aktuellen Tagesordnung gehörende Thema der nächsten Woche und wird zum Test für Bürgernähe.
Auf andere Problembereiche könnte die Volksvertretung Schritt für Schritt eingehen, nicht um alle geplanten Maßnahmen abzuschaffen, aber Vernunft walten zu lassen. Diese ist nämlich im Zuge der Terroranschläge des vergangenen Jahrzehnts unter die Räder geraten.
Es geht auch um die Auseinandersetzung der Europäer mit den Amerikanern, die vieles ganz anders sehen und Menschenrechte nachweislich außer Kraft gesetzt haben - siehe Guantanamo. Überhaupt liegt der Überwachungshysterie ein schwerer logischer Fehler zugrunde. Es wird so getan, als sei alles in Ordnung, sobald die Staatsmacht über sensible Daten der Bürger verfügt. Dabei wird übersehen, dass auch die Staatsmacht ihre Kompetenzen überziehen, missbrauchen und im Extremfall verbrecherisch nutzen kann. Wenn es sein soll, sind wir nämlich alle verdächtig.