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Wir sind alle zum Erfolg verdammt

Von Ingrid Deltenre

Gastkommentare
Ingrid Deltenre ist Generaldirektorin der European Broadcasting Union (EBU).

Es gibt kein Entweder-Oder von Öffentlich-Rechtlichen und Privaten. | Es werden beide gebraucht.


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Die große, unverhandelbare Gemeinsamkeit aller Medien ist ihre Zweckbestimmung, der Gesellschaft nützlich zu sein: bei der Organisation des Alltags, beim Durchschauen der Zusammenhänge in Politik, Wirtschaft und Kultur, aber auch bei Entspannung und Unterhaltung. Gemeinsam stehen wir in der Pflicht, Nutzen zu stiften und Wirkung zu erzielen, indem wir die Bedürfnisse unserer Kundschaft verstehen, uns zu eigen machen und erfüllen. Ob öffentlich-rechtlich oder privat: Wir sind alle zum Erfolg verdammt.

Unser Informationsauftrag bedeutet, dass wir Komplexität reduzieren und Verständlichkeit herstellen, um im besten Fall Verständnis zu finden. Das ermöglicht erst die Ausübung demokratischer Rechte. Doch Demokratie lebt nicht von Wahlen allein. Sie braucht gemeinsame Werte: Toleranz, Zusammengehörigkeit, Respekt vor der Vielfalt. Dabei spielen die Medien eine wichtige Rolle.

Doch insbesondere die Druckmedien sind dabei derzeit in der gleichen Lage wie seinerzeit der Postillon von St. Gotthard, als der Eisenbahntunnel eröffnet wurde. Er hatte eine wunderbare Kutsche, aber die Leute wollten schneller fahren und haben ihn gezwungen, etwas Neues anzubieten, etwa Nostalgiereisen ...

Der Druck auf klassische Medien ist groß, entsprechend gereizt das Klima. Zeitungsverleger kämpfen vielerorts gegen populäre Internet-Portale der Öffentlich-Rechtlichen und fordern thematische Beschränkung. Die Argumentation der Verleger verkennt die neue Realität. Um beim Postillon zu bleiben. Weil er weniger Kunden hat, will er den anderen Kutschern die Lizenz wegnehmen, statt sich als Lokführer auszubilden.

Es gibt kein Entweder-Oder von Öffentlich-Rechtlichen und Privaten. Es werden beide gebraucht.

Dass Druckmedien in einer strukturellen Krise stecken, darf man inzwischen laut sagen. Was bei Privaten die Veränderung der Nutzergewohnheiten, die Verlagerung der Kleinanzeigen ins Interne und der Einfluss der Gratispresse ist, ist bei den Öffentlich-Rechtlichen die Auseinandersetzung mit Politik. Es ist überall dasselbe. Politiker wissen, wie wichtig glaubwürdige Medien sind, und versuchen, diese unter ihre Kontrolle zu bringen. In den Rundfunkräten herrscht Proporz, Personalentscheidungen sind oft parteipolitisch. In manchen Fällen geht der Druck weiter. Besonders deutlich war das
Problem in den letzten Wochen in Griechenland zu sehen. Politiker behandelten einen Sender wie einen Staatsbetrieb, den man ohne Debatte schließen kann. Doch wenn unabhängige Medien fehlen, werden Politiker nicht zur Rechenschaft gezogen. Korruption und Misswirtschaft sind die Folge.

Im Printbereich sehen wir erfolgreiche Geschäftsmodelle, die kompromisslos auf Qualität und Vertiefung setzen wie "Die Zeit" oder der "Economist". Viele Medien mit allen ihren Portalen, Blogs, Tweets und Shitstorms können von solchen Beispielen lernen. Denn in erster Linie geht es darum, das Prinzip der Selbstverantwortung beizubehalten, auch in schlechten Zeiten. Die Art der Finanzierung - ob staatlich oder von Seiten großer Anzeigenkunden - darf jedoch nie das Wichtigste berühren, das ein Medium zu verlieren hat, nämlich seine Unabhängigkeit.