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Wir sind das Problem, vor dem wir davonlaufen

Von Christian Ortner

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Christian Ortner.

Europa will gleichzeitig sparen und investieren. Das ist so einfach wie eine natürlich herbeigeführte Schwangerschaft ganz ohne Sex.


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Eingeklemmt zwischen skeptischen Geldgebern und aufrührerischen Wählern, haben sich die meisten Regierungen Europas informell auf eine eigentümliche Theorie verständigt: In der Eurozone, so der weitgehende Konsens (mit Ausnahme der Deutschen), müsse zwar auf der einen Seite gespart werden, auf der anderen Seite müsse aber "die Wirtschaft angekurbelt" und "investiert" werden, um Wachstum zu generieren. Das hat den Vorteil, sich ganz gut anzuhören und damit Wähler-kompatibel zu sein. Der Nachteil dieser "Sparen plus Investieren"-Formel ist lediglich, dass sie entweder gröberer ökonomischer Unfug oder aber ein bloß semantischer Trick ist.

Denn wer investieren will, muss dazu Geld ausgeben. Wer dieses Geld nicht hat, der muss es sich ausborgen, sich also weiter verschulden. Sich weiter zu verschulden und gleichzeitig zu sparen, ist ökonomisch leider ganz und gar unmöglich. Gleichzeitig sparen und investieren ist ungefähr so einfach wie eine natürlich herbeigeführte Schwangerschaft unter Beibehaltung der Jungfräulichkeit.

Es sei denn, man betrachtet dieses Konzept wie Maria Fekter. Österreichs Finanzministerin hat ja deponiert, "Projektbonds" zur Finanzierung von wachstumsgenerierenden EU-Projekten zuzustimmen - freilich mit der kleinen Einschränkung, dass die Finanzierung nur aus schon vorhandenen Mitteln stammen dürfe. Eine an sich vernünftige Haltung, die aber auf der semantischen Finte beruht, als "Investition" zu vermarkten, was ökonomisch ein Nullsummenspiel ohne jegliches zusätzliches Wachstum darstellt.

Der tiefere Grund dieser intellektuellen Eiertänze der politischen Eliten Europas: Es gebricht ihnen noch immer am Mut, die ebenso einfache wie schmerzliche Erkenntnis anzunehmen, dass auf eine Phase kollektiven Überkonsums eine Phase kollektiven Unterkonsums folgen muss. Wer lange über seine Verhältnisse gelebt hat, muss irgendwann Verzicht üben. Ökonomisch heißt das in der Regel: eine härtere Rezession mit sinkendem Wohlstand, steigender Arbeitslosigkeit und schmelzenden Ersparnissen.

Leider reagiert der Wähler meist recht ungehalten, wenn man ihn auf diesen Zusammenhang hinweist, und versucht reflexartig, die Wirklichkeit abzuwählen wie jüngst in Frankreich oder Griechenland.

Das ist der eigentliche Kern jener Krise, die über Europa hinwegfegt: dass den Wählern von der politischen Klasse über Jahrzehnte höchst erfolgreich eingeredet wurde, der Susi-Sorglos-Vollkaskostaat mit Menschenrecht auf Grundversorgung, Flatscreen und Smartphone für alle könne ad infinitum auf Pump aufrecht erhalten werden. Blöd, dass der Wähler nun daran mit der gleichen Überzeugung glaubt wie der Veganer an die Schädlichkeit des T-Bone-Steaks. Nach langjähriger kollektiver Gehirnwäsche sind einfache ökonomische Fakten kaum noch kommunizierbar. "Irgendwann werden die Europäer einsehen müssen," unkt die "F.A.Z.", "dass ihnen nicht verkehrte Parteiprogramme Probleme bescheren, sondern dass sie selbst das Problem sind, vor dem sie davonlaufen."