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"Wir sind der Wissensverkäufer"

Von Rosa Eder-Kornfeld

Wirtschaft

Warum Normen nicht Hindernisse, sondern Chancen sind.


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Für Babys gemacht, von Experten genormt: Nicht nur Schnuller müssen kindersicher sein.
© Foto: fotolia

Wien. "Wir sind kein Amt und keine Behörde. Bei uns braucht man keine Antragsformulare auszufüllen." Elisabeth Stampfl-Blaha, seit 1988 bei Austrian Standards tätig und seit Februar dieses Jahres Nachfolgerin von Gerhard Hartmann, der 23 Jahre lang an der Spitze des ehemaligen Österreichischen Normungsinstituts (ON) stand, muss gegen Mythen und Missverständnisse ankämpfen.

"Wir entscheiden auch nicht, was genormt wird, sondern bringen die am Normungsgeschehen Beteiligten an einen Tisch. Das sind Verantwortliche aus Unternehmen, Verwaltung und Wissenschaft sowie Verbraucher", sagt die neue Direktorin im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".

Derzeit gibt es etwa 25.000 Normen für das Wirtschaftsleben und den Alltag in Österreich, angefangen vom Schnuller fürs Baby über die Schultasche des Taferlklasslers bis zu Tauchschulen, Kunsttransporten und Bestattungsdienstleistungen.

Der Konsument kann darauf vertrauen, dass er eine bestimmte Qualität einkauft, und weiß meist gar nicht, welch intensiver Prozess oft dahintersteht. Bis eine neue Önorm fertig ist, vergehen durchschnittlich ein- bis eineinhalb Jahre, bei einer europäischen Norm (EN) sind es zwei bis drei Jahre.

"Zum Teil wirft man Norm und Gesetz in einen Topf", spricht die Wienerin Stampfl-Blaha einen weiteren weit verbreiteten Irrtum an. "Eine Norm ist eine unverbindliche Empfehlung."

Wozu sollen Unternehmen dann überhaupt gemäß den gültigen Normen produzieren oder Dienstleistungen anbieten? "Ein französischer Kollege von mir hat das einmal sehr schön bildhaft beschrieben: Wenn Sie vor einem unbekannten Gebiet stehen, wo Sie nicht wissen, wie der Untergrund ist, dann können Sie den bereits getretenen bewährten Weg gehen, wo schon vorher jemand gegangen ist, oder nicht. Das ist Ihre Entscheidung. Oder Sie wollen auf einen Berggipfel. Da können Sie den Wanderweg benutzen, Sie können aber auch querfeldein hinaufklettern", sagt Stampfl-Blaha.

Standards schaffen Transparenz

Insbesondere kleine und mittelgroße Unternehmen, die mit großen Anbietern mithalten wollen, tun gut daran, sich an die Spielregeln zu halten. "Standards schaffen Transparenz und sind die Sprache des internationalen Handels", so die Managerin. Europäische Normen ermöglichen es, auf mehreren Auslandsmärkten zugleich zu reüssieren.

Pro Jahr entwickeln in Österreich rund 6000 Expertinnen und Experten in mehr als 180 Komitees rund 2000 neue Normen und Standards beziehungsweise passen sie den Marktbedürfnissen an. Die Aufgabe von Austrian Standards ist es, den Informationsfluss zwischen allen Beteiligten zu koordinieren. Jeder, der Interesse hat, kann aktiv an der Gestaltung von Normen mitwirken. Im Normen-Entwurf-Portal können alle verfügbaren Norm-Entwürfe kommentiert werden.

Auf europäischer Ebene mitbestimmen

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Elisabeth Stampfl-Blaha steht seit 1. Februar 2013 an der Spitze von Austrian Standards, wo sie bereits 1988 startete. Die 55-jährige promovierte Wirtschaftswissenschafterin und Juristin ist seit Anfang 2012 auch Vizepräsidentin der Internationalen Normungsorganisation ISO.

Austrian Standards, das rund 125 Mitarbeiter beschäftigt, finanziert das österreichische Normungssystem im Wesentlichen aus dem Verkauf von Normen und Dienstleistungen. "Wir sind der Wissens- und Know-how-Verkäufer. In unserem Webshop können Sie sich an die 260.000 Dokumente downloaden, aber wir bieten auch aufbereitete Fachinformationen an", betont Stampfl-Blaha.

Die Österreicher konnten übrigens schon bei den europäischen Normen mitbestimmen, bevor das Land noch den Antrag auf EU-Mitgliedschaft gestellt hat: 1961 wurde das Europäische Komitee für Normung CEN unter Beteiligung Österreichs gegründet. Heute arbeiten österreichische Fachleute in mehr als 80 Prozent der europäischen und internationalen Technischen Komitees bei CEN und ISO (Internationale Organisation für Normung) mit - und prägen damit die eigenen Rahmenbedingungen entscheidend mit.

"Gerade für ein kleines Land ist es wichtig, es nicht anderen zu überlassen, Standards zu setzen", sagt Stampfl-Blaha. Marktorientierte Normen "made in Austria" haben heute europäische beziehungsweise weltweite Gültigkeit, etwa für Tauchschulen, Callcenter oder Übersetzungsbüros.

Meilensteine der Normung
1901 wurde als erstes nationales Normungsinstitut die British Standards Institution gegründet. 1917, mitten im Ersten Weltkrieg, entstand in Deutschland das Deutsche Institut für Normung (DIN).
Am 23. September 1920 fand die konstituierende Sitzung des "Österreichischen Normenausschusses für Industrie und Gewerbe" Ö.N.I.G. statt. Erster Präsident war Wilhelm Exner. Die ersten 13 Fachausschüsse mit 400 Experten nehmen ihre Arbeit auf. Schwerpunkte waren Maschinenbau, Elektrotechnik und Kraftfahrzeugbau.
1921 erschien die erste ÖNORM. Sie regelte metrische Gewinde.
1932 wurde der Name Ö.N.I.G. in "ÖNA Österreichischer Normenausschuß" geändert.
1946 wurde die Weltnormenorganisation ISO gegründet, 1961 das Europäische Komitees für Normung CEN. Dies war die Geburtsstunde der Europäischen Normung.
1969 änderte der ÖNA seinen Namen in "ON Österreichisches Normungsinstitut".
1971 erfolgte die Neufassung des Normengesetzes, das bis heute den rechtlichen Rahmen für die Tätigkeit von Austrian Standards Institute bildet.
1987 erscheint die erste Ausgabe der Internationalen Normenreihe zum Qualitätsmanagement, ISO 9000. Damit sind erstmals auch Managementmethoden Thema der Normung.
1999 wird die zehntausendste ÖNORM veröffentlicht: ÖNORM EN 71-1 über die Sicherheit von Spielzeug. Das österreichische Normenwerk umfasst mit Ende des Jahrtausends genau 10.594 Dokumente.
2000 werden erstmals Dienstleistungen auf Normkonformität zertifiziert.
2008 gründete das Österreichische Normungsinstitut das Tochterunternehmen "Austrian Standards plus GmbH".
Seit April 2009 tritt das Österreichische Normungsinstitut als "Austrian Standards Institute" auf.
Quelle: www.austrian-standards.at