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"Wir sind des Krieges so müde"

Von Veronika Eschbacher

Politik
Mohammad Asif Sediqi: Der studierte Mediziner ist Vizesprecher des afghanischen Oberhauses.
© vee

Der Vizesprecher des afghanischen Oberhauses Mohammad Asif Sediqi über die Verschlechterung der Sicherheitslage.


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"Wiener Zeitung": Die Zahl der zivilen Opfer des Konflikts in Afghanistan hat einen neuen Rekord erreicht. Im ersten Halbjahr 2015 sind laut UNO 1592 Zivilisten getötet und 3329 weitere verletzt worden. Was ist der Grund für diesen Anstieg?Mohammad Asif Sediqi: Einerseits liegt das am militärischen Übergang (der Nato-Kampfeinsatz lief Ende 2014 aus, die verbliebenen ausländischen Truppen konzentrieren sich seither auf die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte, sind selbst aber praktisch nicht mehr in Kämpfe mit Aufständischen involviert, Anm.). Die Aufständischen, ja die gesamte bewaffnete Opposition, hat auf diese Zeit gewartet. Gleichzeitig spielen gewisse Nachbarstaaten Afghanistans nicht ehrlich, weswegen wir nun mit so einer Situation konfrontiert sind.

Mit dem Nachbarstaat meinen Sie vermutlich Pakistan. Kabul ist immer recht schnell damit, Islamabad die Schuld in die Schuhe zu schieben. Es gibt aber heute auch auf pakistanischer Seite Bemühungen, nehmen wir etwa den Armee-Chef General Raheel Shareef, dem ehrliche Ambitionen im Terrorkampf nachgesagt werden.

Wir beobachten seit 14 Jahren, also seit dem Fall der Taliban, dass sich alle ihre Kommandeure in Pakistan befinden. Der Taliban-Führer Mullah Omar starb in einem Krankenhaus im pakistanischen Karachi, wie ja kürzlich bekannt wurde. Al-Kaida-Chef Osama bin Laden wurde im pakistanischen Abbottabad von US-Truppen getötet. Taliban und Al-Kaida verfügen über Trainingscamps und Ressourcen in Pakistan. Wann immer wir Taliban verhaften in Afghanistan, sagen sie, dass sie über die pakistanische Grenze zu uns gekommen sind. Die Kämpfer werden auch in Pakistan medizinisch behandelt.

Aber es war auch Pakistan, das Anfang Juli die Taliban für Friedensgespräche an den Verhandlungstisch gebracht hat.

Unser Präsident Ashraf Ghani und mehrere hochrangige Vertreter unseres Sicherheitsapparates haben gehofft, dass man gute Beziehungen mit Islambad etablieren kann. Sie haben sich mehrere Male getroffen. Aber jetzt sehen wir, dass sie nicht ehrlich sind in ihrem Umgang mit Afghanistan, im Kampf gegen die Taliban und Al-Kaida. Wer weiß, vielleicht ändert sich das doch irgendeines Tages - vor allem, wenn die internationale Gemeinschaft Druck auf Pakistan ausübt.

Tut denn Kabul genug im Kampf gegen die Aufständischen respektive um sie zu weiteren Friedensgesprächen (Runde zwei platzte kürzlich) zu bewegen?

Die afghanische Regierung hat immer versucht, dem Land Frieden und Stabilität zu bringen. Die Regierung hat viele Male die internationale Gemeinschaft dazu aufgerufen, uns in unserem Kampf mit den Taliban zu unterstützen. Das hat diese auch getan. Dennoch quälen uns weiter terroristische Angriffe. Die jetzige Einheitsregierung tut alles in ihrer Macht stehende, um Frieden herzustellen. Wir sind des Krieges so müde. Wir haben alles zerstört in Afghanistan. Kinder haben ihre Väter verloren, Frauen ihre Ehemänner. Wir haben viele Probleme. Vor allem aber wollen wir Frieden. Frieden ist für Afghanistan so wichtig wie Sauerstoff für den Menschen.