Interview mit Maher Nasser, dem Leiter des UNO-Informationsdienstes in Wien, über UNO-Ziele und das Leben im Wiener Diplomaten-Kokon. | "Wiener Zeitung": Sie haben kürzlich auf die Frage nach der Bedeutung der UNO geantwortet, dass sie eine bessere Welt schaffen will. Was bedeutet das konkret für Sie, als Palästinenser und Leiter des UNO-Informationsdienstes in Wien? | Maher Nasser: Wie einer der früheren Generalsekretäre einmal sagte, wurde die UNO nicht geschaffen, um die Menschen in den Himmel zu bringen, sondern sie vor der Hölle zu bewahren.
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Die UNO hat sich über die letzten 64 Jahre hinweg der schwierigsten Probleme angenommen: Friedenserhaltung, Achtung der Menschenrechte, Terrorismusbekämpfung, Reduzierung von Treibhausgasen, nachhaltige Entwicklung, um nur einige Stichworte zu nennen.. Die repräsentativste Organisation der Welt erfüllte dabei stets ihre Rolle als Forum, Akteur und Katalysator, ohne von sich zu behaupten, perfekt zu sein.
Versuchen wir es eine Nummer kleiner: Was hat der UNO-Informationsdienst hier in Wien erreicht?
Maher Nasser: UNIS ist ein regionales Fenster der Informationsabteilung des UNO-Sekretariats in New York mit dem Mandat, die Fachorganisationen der UNO hier in Wien bei ihrer Arbeit zu unterstützen, deren Ziele bekannt zu machen und die Mitarbeit des Gastlandes und der Staaten in der Region zu fördern. Wir haben dafür im letzten Jahr die Informations-Spezialisten im VIC sozusagen zu einem Team - der UNO-Kommunikationsgruppe - zusammengeschweisst, um die Öffentlichkeit besser auf dem Laufenden zu halten, was die UNO besonders in Hinblick auf eine sichere und geschützte Welt tut.
Wenn Sie an einige der UNO-Filialen hier in Wien wie das Drogenbüro, die Weltraumbehörde oder das Kernwaffenstopp-Sekretariat denken, fällt Ihnen dann ein Beispiel ein, wo Ihr Informationsdienst massgeblich zu Errungenschaften beigetragen hat, auf die Sie stolz sind?
Maher Nasser: Keine Organisation wirkt in einem Vakuum. Egal ob Privatwirtschaft oder staatliche Organe - sie alle brauchen ein öffentliches Profil. Wir geben für die spezialisierten UNO-Organisationen Medieninformationen heraus, organisieren Pressekonferenzen oder bereiten Vorträge vor. Schliesslich besuchen jedes Jahr 50.000 Menschen das VIC, viele von ihnen Schüler und Studenten. Zum dreißigjährigen Jubiläum der UNO-City an der Donau haben wir eine Broschüre mit dem Titel '30 Wege, durch die das VIC einen Unterschied macht' aufgelegt, die einige Erfolge deutlicht macht. Oder nehmen wir die Internationale Drogen-Kontroll-Behörde (INCB) - ein unabhängiges Gremium, das die Einhaltung von Vorschriften zur Verhütung von Drogenmissbrauch überwacht. Dessen jährlicher Bericht würde mehr oder weniger nur in Archiven verstauben, wenn UNIS nicht durch eine weltweite Medienkampagne die Inhalte bekannt machen und an die Öffentlichkeit bringen würde.
Ein Palästinenser als Direktor des UNO-Informationsdienstes in einem deutschsprachigen Land erscheint zunächst gewöhnungsbedürftig. Doch offensichtlich sind Palästinenser in der UNO recht präsent und gut vernetzt.
Maher Nasser: Wenn man die UNO-Charta aufschlägt, dann heisst es gleich zu Beginn 'Wir, die Völker...' . Es macht daher keinen Unterschied, ob jemand Amerikaner, Österreicher, Deutscher oder eben Palästinenser ist. Sobald man für die Vereinten Nationen arbeitet, muss man der Organisation Loyalität beweisen und nationale Interessen treten in den Hintergrund. Ich kenne tatsächlich viele Palästinenser, die in der UNO arbeiten und amerikanische, deutsche oder österreichische Pässe haben. Das Schicksal meines Volkes brachte es mit sich, dass viele Flüchtlinge darunter sind, die über eine hohe Bildung und grosse Mobilität verfügen, letzteres manchmal unfreiwillig. Wie auch ich selbst, traten viele über die Fürsorge- und Arbeitsagentur für palästinensische Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) in die Dienste der Vereinten Nationen.
Lebt die internationale UNO-Gemeinschaft in Wien nicht in einem Kokon, da sie kaum mit der österreichischen Bevölkerung in Berührung kommt und umgekehrt die Österreicher wenig Zugang zu diesen Diplomaten haben?
Maher Nasser: Diese Kategorisierung kann ich nicht wirklich teilen. Ich habe jetzt in Österreich, den USA, in Ägypten, in Jordanien und in Palästina gelebt und man pflegt überall Umgang mit Leuten, mit denen man etwas gemeinsam hat. Etwa die Arbeit, eine gemeinsame Sprache wie das globale Englisch oder Kinder in der gleichen Schule. Viele Kontakte ergeben sich über die Kinder, deren Freunde und deren Eltern hier in Wien an den internationalen Schulen. Während UNO-Personal in vielen Städten der Welt jedoch in einer Art diplomatischem Ghetto wohnt, leben wir hier über ganz Wien verteilt. Meine Familie und ich zum Beispiel im 13. Bezirk.
Wenn Sie sagen, dass Sie mit Leuten umgehen, mit denen Sie etwas gemeinsam haben, heisst dass, Sie hätten mit Wienern und anderen Österreichern nur wenig gemein, fühlen sich erhaben oder einfach anders oder unterlegen?
Maher Nasser: Nein, nein. Ganz im Gegenteil, Österreicher sind doch ebenfalls Ausländer in vielen Staaten, wo sie arbeiten und leben. Und viele sind nach Wien aus dem Umland zugewandert und müssen sich ebenso wie wir einleben. Als ich in den 1990er Jahren zum ersten Mal in Wien war, erwartete meine Frau unser erstes Kind und wir wohnten im 9. Bezirk. Dort hatten wir eine österreichische Nachbarin, die auch ihr erstes Kind bekam. Derartige Gemeinsamkeiten meine ich, wenn es um den Aufbau sozialer Beziehungen geht. Und schliesslich arbeiten eine Menge Österreicher im VIC, mit denen ich befreundet bin. Wir sind doch alle einfach nur Menschen.Wie verkraften Sie negative Erfahrungen wie jene, als ein Wiener Wohnungsbesitzer den Mietvertrag nicht unterschreiben wollte, als er von Ihrer Herkunft erfuhr?
Maher Nasser: Das betrachte ich als Einzelfall und ich fand innerhalb von ein, zwei Wochen eine andere Wohnung in Wien. Hier kann auch die UNO noch viel Arbeit leisten, damit Intoleranz und Xenophobie abgelegt werden. Im letzten Jahr feierten wir den 60. Jahrestag der Universellen Menschenrechtsdeklaration. Und wenn mich dieser Vorfall etwas gelehrt hat, dann das, dass Voreingenommenheit gegenüber anderen Rassen und Völkern noch nicht völlig überwunden ist und wir mehr für die Umsetzung der Menschenrechte tun müssen.
Wie kommunizieren Sie, Ihre Frau und Ihre drei Kinder mit den Bürgern des Gastlandes, ohne die deutsche Sprache völlig zu beherrschen, und wie gehen die Österreicher damit um?
Maher Nasser: Verglichen zu der Zeit, in der ich zum ersten Mal in Wien arbeitete, sind heute viel mehr Österreicher mit der englischen Sprache vertraut, wozu auch das Internet beigetragen hat. Mein Deutsch reicht mittlerweile auch zumindest für einen kleinen Plausch und meine Frau spricht gut Deutsch. Unsere Kinder haben Freude daran, eine neue Sprache und eine andere Kultur kennenzulernen, obwohl sie in der Schule auf Englisch unterrichtet werden.
Was hält Sie davon ab, Ihre beiden Töchter und den Sohn auf eine österreichische Schule zu schicken?
Maher Nasser: Dazu reichen ihre Deutschkenntnisse nicht aus und wir sind eine mobile Familie. Ich habe schon einmal 4,5 Jahre in Wien gearbeitet, dazu 4,5 Jahre in Amman, 4,5 Jahre in New York, 2,5 Jahre in Kairo und nun bereits wieder über ein Jahr in Wien. Die Lehrpläne der nationalen Schulen an all diesen Orten sind unterschiedlich. Da bleibt eigentlich nur das internationale Schulsystem.
Auch wenn der durchschnittliche Wiener nichts weiter über die UNO-City gehört hat, so weiss er doch, dass viele Mitarbeiter nach Feierabend das VIC mit prall gefüllten braunen Papier-Sackerln voller Einkaufsgut aus der "Commissary" verlassen. Was ist der Zweck dieses sagenumwobenen Supermarktes hinter hochgesicherten Zäunen und warum brauchen Diplomaten das in einem Land voller 'Billas'?
Maher Nasser: Ich sehe das etwas anders. Als das VIC vor 30 Jahren eröffnet wurde, gab es in Wien nicht besonders viele internationale Spezialitäten. Damit sich die UNO-Angestellten aus über 100 Ländern aber etwas heimischer fühlen konnten, stellten ihnen die österreichischen Gastgeber eine Einkaufsmöglichkeit zur Verfügung, wo noch nach Dienstschluss Produkte aus ihren Heimatländern angeboten wurden. Wenn Sie länger in den USA leben, freuen Sie sich auch über ein original Wiener Schnitzel und über Tafelspitz oder die Deutschen über Sauerkraut und Bratwurst. Solche Commissaries gibt es deshalb auch in Genf oder Nairobi und in den meisten UNO-Friedensmissionen. Ich glaube nicht, dass die Einheimischen ein Problem damit haben. Die meisten schauen schon etwas tiefer und sind stolz, eines der vier UNO-Hauptquartiere in ihrem Land zu beherbergen, das Österreich und seiner Hauptstadt zusätzliches internationales Gewicht verleiht.
Wenn Sie mit Ihrer ersten Dienstzeit in Wien in den 1990er Jahren vergleichen, wie hat die UNO Österreich seit dem verändert?
Maher Nasser: Das ist gar nicht so einfach in Metern oder Tonnen zu belegen. Aber wenn man sich allein den 22. Bezirk anschaut, dann sieht man eine tolle Entwicklung, seit die UNO dort beheimatet ist. Ich habe Zahlen aus dem Jahr 2002 gesehen, wonach die einzelnen Wiener UNO-Büros hunderte Millionen von Euro in Österreich ausgeben und Arbeitsplätze für tausende Österreicher schaffen. Wichtiger ist jedoch die gewachsene Internationalität des Landes. Österreich spielt verglichen mit anderen Ländern seiner Grössenordnung in einer weit höheren Liga, beispielsweise als Friedensstifter. Seit 1948/49 haben etwa eine Million Männer und Frauen in UNO-Friedensmissionen gedient. Allein 60.000 davon kamen aus Österreich, das sind sechs Prozent! Derartiges Engagement für die Lösung globaler Probleme trug der Republik Österreich bereits zum dritten Mal einen zeitweiligen Sitz im UNO-Sicherheitsrat ein, den sie derzeit bis 2011 innehält. Dazu kommen jährlich zahlreiche gewichtige Konferenzen in Wien, so dass der hervorragende internationale Status Österreichs deutlich sichtbarer ist als vor 15 oder 20 Jahren.