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"Wir sind durch die Krise getaucht"

Von Martina Madner

Politik

Zwar ist 2009 die Beschäftigung eingebrochen, die Krise am Arbeitsmarkt war aber geringer als jene der Wirtschaft.


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Betriebsversammlungen wie beim Lkw-Produzenten MAN in Steyr gab es in der Krise häufig.
© MAN/E. Schwarz

Wien. Es war schon im August 2008, als Erich Schwarz in seinem Urlaub ein Anruf ereilte: "Von unserem Produktionsvorstand, er hat mir gesagt, ich soll sofort aus dem Urlaub zurückkommen, wir haben null Aufträge." Es war die Produktion der Lkw- und Busproduktion MAN in Steyr. Normalerweise seien zu dieser Zeit Aufträge für rund 8000 neue Fahrzeuge monatlich eingegangen. "Null, das gibt es ja nicht, hab ich mir gedacht", erzählt der MAN-Arbeiterbetriebsratsvorsitzende heute.

Alarmiert telefonierte er mit anderen aus dem Unternehmen, keine Entwarnung, im Gegenteil: Bei einem Europatreffen in München im September, wo die Mutter des Fahrzeug- und Maschinenbaukonzerns sitzt, bewahrheiteten sich die Befürchtungen nicht nur, die Situation war noch dramatischer: "Der Standort in Steyr war stark betroffenen. Da hatten wir sogar schon Stornierungen von Aufträgen erhalten."

Der Wirtschaftseinbruch

Es war der Beginn einer der größten Wirtschaftskrisen weltweit, die sich nach jener auf den Finanzmärkten, auch in Österreich breitmachte. Also entwickelte man bei MAN in Steyr für die damals 3300 Mitarbeiter einen Krisenplan, arbeitete parallel aber auch erst den Auftragsrückstau ab: "Das Glück war, dass die Produktion 2008 ausgebucht war, aber keiner hat gewusst, wie lange das so geht. Ein, zwei Monate lang hätten wir gar nichts tun müssen", sagt Schwarz. Aber die Auftragslage blieb länger schlecht, "50 Prozent weniger".

Und zwar nicht nur bei MAN. Helmut Hofer, Arbeitsmarktexperte des Instituts für Höhere Studien (IHS), sagt: "Gerade international stark verflochtene Branchen, wie zum Beispiel die Sachgüterproduktion, und da vor allem solche, die vergleichsweise teure Produkte herstellen, waren rasch von der Krise betroffen." Solche wären zum Beispiel Autoproduktion, deren Zulieferer, aber auch Stahlproduzenten.

Eine Auswertung des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo zeigt, dass die Wirtschaftsleistung 2008 nicht mehr stieg, mehr noch: Noch im ersten Quartal lag das erwirtschaftete Bruttoinlandsprodukt bei 75,8 Milliarden Euro, im zweiten schon bei 100 Millionen Euro weniger. Im dritten Quartal 2008 aber lag das Bruttoinlandsprodukt bereits bei 75 Milliarden und im vierten sogar bei nur 74,1 Milliarden Euro. "Es war eine Wirtschaftsschrumpfung damals", stellt Wifo-Arbeitsmarkt-Experte Helmut Mahringer fest. Über die gesamte Krise hinweg ging das BIP sogar um 3,8 Prozent zurück.

Erste Betroffene: Leiharbeiter

Die Situation besserte sich also nicht rasch, sondern dauerte länger an. "Da haben wir noch gar nicht gewusst, welche Ausmaße das annehmen wird", sagt-Schwarz von MAN. Also setzte man im Unternehmen den Krisenplan um: Eine der ersten Maßnahmen war es, von den 550 Leasingarbeitskräften 500 nicht weiter zu beschäftigen. "Das war schon wild", sagt Schwarz, wobei er einräumt: "Glück im Unglück war da noch, dass wir einer der ersten betroffenen Betriebe waren, deshalb haben andere Firmen in der Region noch gesucht, und einige sind noch unterkommen."

Generell zeigt sich aber, dass Leasingarbeitskräfte, die man auch Zeit- oder Leiharbeiter nennt, nicht nur bei MAN, sondern auch generell die ersten und außerdem am stärksten Betroffenen der Wirtschaftskrise waren. Sie wurden damals nicht nur an die Arbeitskräfteüberlasser zurückgestellt, sondern arbeitslos. So kommt es, dass 2008 im Jahresdurchschnitt noch 76.598 Personen in der Arbeitskräfteüberlassung beschäftigt waren, 2009 aber nur mehr 64.189 - die Beschäftigung von Leiharbeitern ging also um 16,2 Prozent zurück.

Arbeitszeit ging zurück

Zurück zu MAN nach Steyr, es brauchte auch einen Krisenplan für die Stammbelegschaft, den Betriebsrat und Geschäftsführung mit Unterstützung der Sozialpartner entwickelten. So kam es, dass erst Urlaube abgebaut und freie Tage, die später eingearbeitet werden sollten, vorgezogen wurden.

Wirtschaftskammer-Experte Rolf Gleißner nennt darüber hinaus auch Teilzeitvereinbarungen und Bildungskarenzen als Sofortmaßnahmen der Betriebe in dieser Krisenzeit. Das wirkte sich auf die durchschnittliche Arbeitszeit der unselbständig Beschäftigten aus - wenn auch weit weniger als der Wirtschaftseinbruch: Von 2005 bis 2007 lag die Arbeitszeit bei Vollzeitbeschäftigten inklusive Überstunden quer über alle Branchen hinweg konstant bei 44,4 Stunden, 2008 aber sank sie auf 44,1 Stunden pro Woche - und 2009 lag sie bei 43,9 Stunden.

Kurz arbeiten

All diese Maßnahmen reichten aber nicht, deshalb entdeckten Politik, Sozialpartner und Unternehmen ein davor lange ruhendes Kriseninstrument wieder: die Kurzarbeit. "Wobei es da anfänglich bürokratische und finanzielle Hürden gab", sagt Gleißner. Diese wurden nun in der Krise in mehreren Schritten beseitigt: War die Höchstdauer davor auf 12 Monate beschränkt, konnte sie erst auf 18, letztlich auf bis zu 24 Monaten ausgeweitet werden. Außerdem übernahm der Staat bzw. das AMS die Sozialversicherungsbeiträge für die Kurzarbeitenden, wenn Kurzarbeit in den Betrieben vereinbart war. Die Arbeitszeit konnte zwischen 10 und 90 Prozent reduziert werden. Ein Beispiel: Wurde die Arbeitszeit auf 50 Prozent reduziert, erhielten die Mitarbeiter oft 90 Prozent ihres Einkommens weiter, einen Teil der Kosten der 40 Prozent weniger Arbeitsleistung übernahm das AMS, den Rest das Unternehmen.

Kurzarbeit wurde aber auch schon vor diesen Änderungen vermehrt eingesetzt: Am 13. Oktober 2008 kam die Eilt-Meldung, dass Magna-Steyr mit 2600 eine große Anzahl an Mitarbeitern zur Kurzarbeit anmeldete. Da die Autohersteller ihre Produktion wegen schwacher Nachfrage drosselten, zählte man Ende Oktober bereits 4000 Kurzarbeiter im steirischen Autocluster und 500 im oberösterreichischen.

Ende November 2008 hieß es bereits: "Die Kurzarbeit in Österreich explodiert", rund 25.000 Arbeitnehmer in 50 Betrieben sind derzeit in Österreich von Kurzarbeit betroffen bzw. bedroht. Letztlich waren es laut Wifo 66.965 Personen beziehungsweise rund 26.000 Kurzarbeiter im Jahresdurchschnitt - darunter auch 11.000 der Voest, welche von KTM und Engel, aber auch von MAN.

Im November gab es im Betrieb zuerst Informationen in den Abteilungen, dann in einer Vollversammlung: "Da war es still, man hätte eine Stecknadel fallen hören können", sagt Schwarz. Der Betriebsrat konnte verkünden, dass keine Kündigungen anstünden, sondern es "Kurzarbeit mit 90 Prozent Nettoersatzrate gab. Da gab es dann Applaus, weil alle froh waren. Es hat sich ja jeder Sorgen um seinen Arbeitsplatz gemacht", sagt Schwarz. Letztlich wurde bei MAN 16 Monate lang kurzgearbeitet. "Wir haben es geschafft, die Krise durchzutauchen." 300 Mitarbeiter haben sich zwar über eine Arbeitsstiftung für Umschulungen entschieden und den Betrieb verlassen, Kündigungen gab es aber keine.

Erleichterung

Das Wifo berichtet von rund 6500 Arbeitsplätzen, die zumindest vorübergehend gesichert wurden und den Anstieg der Arbeitslosigkeit dämpfen konnten. Kündigungen gab es in der Sachgüterproduktion trotzdem: Die Beschäftigung in Unternehmen, die Waren herstellen, ging von 602.340 im Jahr 2008 um 5,3 Prozent auf 570.388 im Jahr 2009, und 2010 nochmals auf 563.121 zurück. Generell kostete das erste Krisenjahr 1,5 Prozent an Arbeitsplätzen. "Der Arbeitsmarkt schrumpfte, aber weit weniger als die Wirtschaft", sagt Mahringer.

Weil aber unabhängig von der Wirtschaftskrise seit 2008 auch das Arbeitskräfteangebot bis 2017 um rund 412.000 auf 3,57 Millionen Personen stieg - durch mehr Frauen und Migranten, die dazu kommen, aber auch Ältere, die länger bleiben -, sinkt die Arbeitslosigkeit nicht gleichermaßen.

Nach dem sprunghaften Anstieg der Arbeitslosen (ohne Schulungsteilnehmer) um 22,6 Prozent bzw. 48.056 im Jahr 2009 auf mehr als 260.000 Personen, ging sie zwar in den beiden Jahren danach auf das Vorkrisenniveau zurück, stieg dann aber wieder an und erreichte 2016 mit 354.332 Arbeitslosen den vorläufigen Höchstwert und erholt sich erst jetzt wieder - was, so Mahringer, "typisch für große Wirtschaftskrisen ist."