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"Wir sind einfach einen Tick sensibler"

Von Andreas Wirthensohn

Reflexionen

Die gebürtigen Steirerinnen spielen im Frauenfußball-Team des FC Bayern München und sprechen über ihre Erfahrungen und unzulässige Vergleiche mit männlichen Spielern.


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"Wiener Zeitung":Wie oft müssen Sie sich abschätzige Kommentare über den Frauenfußball anhören?Viktoria Schnaderbeck: Glücklicherweise passiert das nur noch selten. Tatsächlich wird nach dem Spiel manchmal lautstark nach einem "Trikottausch" gerufen, doch zum Glück nur noch spaßeshalber. Aber früher war das der "Klassiker".

Carina Wenninger: Von den Zuschauern auf dem Platz kommen solche Äußerungen mit Sicherheit nicht mehr. Wenn Sie die Leute auf der Straße fragen, sagen die einen, dass sie inzwischen das eine oder andere WM- oder EM-Spiel gesehen haben und dass Frauenfußball wirklich toll ist, während andere abwinken und meinen, das sei überhaupt nichts für sie. Das hat aber meist damit zu tun, dass sie unseren Fußball ständig mit dem Männerfußball vergleichen, und das darf man in meinen Augen eigentlich nicht.

Woran liegt das, dass so gerne verglichen wird?Wenninger: Das hat sicher auch damit zu tun, dass es sich um eine Mannschaftssportart handelt. Wenn Sie sich zum Beispiel Tennis anschauen, dann ist es natürlich so, dass die Nummer 100 der Männerweltrangliste die besten Frauen vermutlich vom Platz fegt, aber das spielt in der Wahrnehmung des Sports keine Rolle und führt nicht dauernd zu Vergleichen. Dabei hinken wir technisch oder auch taktisch den Männern gar nicht so weit hinterher, aber athletisch und von der Physis her können wir eben nicht mithalten.

Was ist Ihnen lieber: "Frauenfußball" oder "Damenfußball"?Schnaderbeck: Eindeutig Frauenfußball.

Wenninger: Mir auch, aber das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass wir hier in Deutschland spielen, während in Österreich oft noch ein wenig galanter vom Damenfußball die Rede ist. Aber das klingt natürlich etwas behäbiger als Frauenfußball. So als würde man sich die Trikots nicht schmutzig machen.

Was macht das Besondere des Frauenfußballs aus?Schnaderbeck: Ich glaube, dass bei uns noch mehr Herz und Leidenschaft dabei ist, denn es geht ja nicht ums große Geld. Als wir letztes Jahr den DFB-Pokal gewonnen haben, sind wir auch als Mannschaft noch einmal deutlich stärker zusammengewachsen. Die emotionale Ebene ist eindeutig stärker ausgeprägt. Bei den Männern scheint mir das doch etwas egoistischer ausgerichtet zu sein.

Wenninger: Frauen sind ihrem Sport noch ein wenig stärker verbunden, denn wir haben beinahe das gleiche Trainingspensum wie die Männer, sind aber alle Amateure und können nicht vom Fußball leben.

Macht es einen Unterschied, ob Sie von einem Mann oder von einer Frau trainiert werden?Schnaderbeck: Trainerinnen sind meiner Erfahrung nach eher bemüht, eine engere Beziehung zu den Spielerinnen aufzubauen. Männer hingegen sind etwas distanzierter, was mir aber wichtig erscheint, um sich Respekt zu verschaffen und die Spielerinnen gleichberechtigt zu behandeln. In der deutschen Bundesliga gibt es, soweit ich weiß, im Moment gar keine Trainerin mehr.

Wenninger: Andererseits zeigt natürlich das Beispiel der deutschen Nationalmannschaft, dass man auch mit einer Frau an der Spitze erfolgreich sein kann. Aber wichtig ist in der Tat, dass das Verhältnis zwischen Trainer bzw. Trainerstab und Mannschaft nicht zu freundschaftlich wird.

Als guter Frauentrainer muss man doch spezifische Eigenschaften mitbringen?Wenninger: Naja, wir Frauen sind natürlich in der Tat anders gestrickt. Das heißt, ein Trainer muss auf einiges mehr eingehen als bei den Männern. Man muss zum Beispiel stärker aufpassen, was man sagt, weil wir Frauen uns oft mehr Gedanken machen. Man muss also schon gewisse Voraussetzungen mitbringen, um Frauen erfolgreich zu trainieren.

Schnaderbeck: Wir sind einfach einen Tick sensibler. Was aber nichts über die mentale Stärke aussagt, da muss man wirklich unterscheiden. Fakt aber ist: Frauentrainer müssen anders kommunizieren als Männertrainer.

Inwiefern hat sich seit der WM 2011 am Interesse für Frauenfußball etwas geändert?Wenninger: Es hat sich durchaus etwas bewegt. So ist geplant, dass wir mit dem FC Bayern künftig nicht mehr draußen am Stadtrand in Aschheim spielen, sondern im Grünwalder Stadion in der Stadt, was dann hoffentlich auch mehr Zuschauer anlocken wird. Aber wie in anderen Bereichen auch ist entscheidend, dass man erfolgreich ist. Insofern war für uns als Mannschaft der Pokalsieg 2012 wichtiger als die WM.

Schnaderbeck: Immerhin waren wir in der Saison 2011/12 die einzigen "Bayern", die einen Titel geholt haben, das hat Respekt, Anerkennung und mediales Interesse natürlich schon gesteigert. Aber es wird wohl immer so sein, dass wir uns diese Aufmerksamkeit härter erarbeiten müssen, weil wir sie nicht als selbstverständlich voraussetzen können. Aber die Aufmerksamkeit der Medien könnte schon noch größer und vor allem kontinuierlicher, also unabhängiger von Großereignissen sein.

Sie beide nennen als Lieblingsspieler Lionel Messi. Gibts auch Spielerinnen, die für Sie Vorbild sind?Wenninger: Das ist gar nicht so einfach, wenn man aktiv so nahe dran ist. Natürlich ist die Brasilianerin Martha eine ganz beeindruckende Spielerin, und auch vielen Amerikanerinnen schaut man gerne zu. Bei den Deutschen hat das einen eigenen Bezug, da wir ja ständig gegeneinander antreten und die "Vorbilder", gegen die man als Jugendliche unbedingt spielen wollte, dann Gegner auf dem Platz sind. Und mit manchen ist man sogar befreundet.

Schnaderbeck: Als ich als kleines Kind zum ersten Mal ein Spiel des österreichischen Nationalteams gesehen habe, habe ich anschließend gesagt: Mein Vorbild ist Nina Aigner. Aber als ich dann selbst mit ihr gespielt habe, in der Nationalmannschaft und im Verein, hat sich das relativiert.

Wenninger: Stimmt, Nina Aigner ist in Österreich eine Art Aushängeschild. Natürlich auch die Rekordnationalspielerin Sonja Spieler und Gertrud Stallinger, die übrigens alle beim FC Bayern gespielt haben. Und nicht zu vergessen die Amerikanerin Mia Hamm, die für viele eine Art Ikone ist.

Ist für Sie die Geschichte des Frauenfußballs als "Emanzipationsprojekt" noch ein Thema?Schnaderbeck: Nein, dafür haben sich die Rahmenbedingungen in den letzten zehn, fünfzehn Jahren doch zu sehr verändert, und wirklich um Anerkennung oder gar das Recht, als Frauen Fußball zu spielen, müssen wir heute zum Glück nicht mehr kämpfen.

Wenninger: An Emanzipation habe ich eigentlich nie gedacht. Das Wichtigste war von klein auf der Spaßfaktor: Fußball war meine Leidenschaft und die einzige Sportart, von der ich einfach nicht mehr weggekommen bin.

Wann haben Sie gespürt, dass Fußball ihre "Berufung" ist? Sie haben ja lange gemeinsam mit den Buben in einer Mannschaft gespielt.Wenninger: Ich habe schon im Kindergarten mit den Buben Fußball gespielt und bin dann später mit einem Schulfreund einfach zum Training mitgegangen. Und da ich viele von den Burschen schon aus der Schule kannte, war es für mich relativ leicht, mich da hineinzufinden. Und wenn man dann auch noch ein bisschen was kann am Ball, erntet man durchaus Bewunderung. Also, solange die körperlichen Unterschiede noch nicht zu groß sind, funktioniert das Miteinander recht reibungslos.

Sie, Carina, machen eine Ausbildung als Automobilkauffrau, Viktoria, Sie sind Marketingkauffrau. Träumen Sie davon, irgendwann vom Fußballspielen leben zu können?Schnaderbeck: Realistisch ist vielleicht, für eine gewisse Zeit nur Fußball zu spielen und nichts anderes zu tun. Aber dass man als Fußballerin irgendwann ausgesorgt hat, ist vermutlich nicht zu erwarten. Es kann sein, dass das bei einigen deutschen Nationalspielerinnen dank Werbeverträgen und Prämien möglich ist, aber wir als Österreicherinnen müssen da wohl kleinere Brötchen backen.

Wenninger: Wir könnten vermutlich schon sagen, jetzt spielen wir ein Jahr nur Fußball und lassen alles andere ruhen. Aber in meinen Augen - und ich glaube, ich kann da für viele andere sprechen - ist es vor allem für den Kopf gar nicht so schlecht, neben dem Fußball auch etwas anderes zu machen, also etwas, das mit Fußball nichts zu tun hat. Das sorgt für die nötige Bodenhaftung und ist natürlich auch wichtig, falls man sich verletzt bzw. für die Zeit nach der Karriere.

Schnaderbeck: Vor allem wenn es einmal nicht so läuft, hilft es doch sehr, den Fokus auf etwas anderes richten zu können. Aber wir Frauen sind insgesamt vielleicht etwas realistischer und glauben anders als so mancher U19-Spieler nicht, dass wir’s auf alle Fälle und immer bis nach ganz oben schaffen.

Carina, Sie haben schon viele Höhen und Tiefen beim FC Bayern erlebt. Erinnern sie sich noch an den 7. Juni 2009?Wenninger: Oje, da haben wir am letzten Spieltag die Meisterschaft verloren, die eigentlich zum Greifen nahe war. Am Ende hat uns in der Tordifferenz ein einziges Tor gegenüber Potsdam gefehlt. Wir mussten an diesem Tag beim Tabellenletzten Crailsheim antreten, parallel spielte Potsdam gegen Essen, und als wir mitbekamen, dass Potsdam ein richtiges Feuerwerk abbrannte, wurden wir immer nervöser. Ich saß in diesem Spiel nur auf der Bank, aber die Anspannung war auch dort deutlich spürbar. Als es am Ende nicht gereicht hat, war das ein ganz bitterer Moment.

Und dann kam der 15. Mai 2012.Schnaderbeck: Ja, das war großartig, dass wir da als Außenseiter gegen den großen FFC Frankfurt den DFB-Pokal geholt haben. Die Kulisse in Köln mit 20.000 Zuschauern war ganz neu und aufregend für uns, und unsere junge Mannschaft hatte eigentlich keiner auf der Rechnung.

Wenninger: Vor wichtigen Spielen zeigt uns unser Trainer gerne einen Zusammenschnitt der besten Szenen aus diesem Spiel, und nicht nur ich bekomme dann immer noch Gänsehaut. Es gibt weniges, was mich so richtig mitreißt, aber das gehört definitiv dazu. Ich glaube, der erste große Titel ist einfach der schönste.

Waren Sie bei aller klubinternen Solidarität auch stolz, in der vorigen Saison den einzigen Titel für den FC Bayern geholt zu haben?Schnaderbeck: Naja, wir haben die Niederlage der Männer gegen Chelsea live im Stadion miterlebt und waren anschließend auch noch auf dem Bankett, wo wir natürlich gerne beide Titel gefeiert hätten. So aber war die Stimmung verständlicherweise ziemlich gedrückt und unser Erfolg kam nicht so recht zur Geltung. Aber wir wissen natürlich auch: Als Frauenabteilung des FC Bayern sind wir abhängig von den Erfolgen der Männer. Ohne sie wären die Bedingungen hier nicht so gut, wie sie es aktuell sind.

Inwiefern sind Sie als Teil des großen FC Bayern mit Vorbehalten, aber auch Erwartungen gegenüber dem Verein konfrontiert?Wenninger: Neulich beim Hallenpokal in Magdeburg war das sehr deutlich zu spüren, dass sehr viele Zuschauer nicht unbedingt speziell für eine andere Mannschaft, sondern in erster Linie gegen uns waren. Das hat eindeutig mit den Männern zu tun, die gerade wegen ihrer großen Erfolge wie kaum eine andere Mannschaft polarisieren und natürlich auch viele "Neider" auf den Plan rufen. Andererseits ist es natürlich so, dass bei Auswärtsspielen oft mehr Zuschauer kommen als üblich, weil der Name "FC Bayern" sie ins Stadion lockt. Wir profitieren zudem davon, dass es inzwischen in fast jedem Ort in Deutschland einen Bayern-Fanklub gibt, der sich dann denkt, wenn schon die Männer nicht kommen, dann gehen wir eben zu den Frauen! Das war beispielsweise beim DFB-Pokalfinale 2012 in Köln offensichtlich.

Wie sieht es mit den Erwartungen aus?Schnaderbeck: Naja, manche glauben schon, dass wir Bayern-Frauen ähnlich viel Geld verdienen wie die Männer und nichts anderes als eine Millionärstruppe sein können.

Wenninger: Aber wer sich ein bisschen auskennt, weiß, dass der FC Bayern bei den Frauen etwas ganz anderes ist als bei den Männern. Wir haben hier nicht die Mittel wie Frankfurt oder Wolfsburg, um einen Kader aus lauter Nationalspielerinnen zusammenzustellen. Aber es stimmt: Gewisse Blößen darf man sich als FC Bayern nicht geben, etwa in Frankfurt mit sieben Gegentoren zu verlieren. Die Art, wie man sich auch bei Niederlagen präsentiert, ist hier schon sehr wichtig.

Sie müssen sich doch wünschen, dass der Verein einmal richtig Geld investiert.Schnaderbeck: Klar würden wir nicht nein sagen, wenn die Bedingungen noch besser wären. Aber andererseits hätten wir dann wohl nicht mehr das, was uns auszeichnet, nämlich eine große mannschaftliche Geschlossenheit und Teamstärke.

Wenninger: Natürlich ist es schade, wenn immer wieder wichtige Spielerinnen den Verein verlassen. Aber wir haben eine sehr ausgeglichene Mannschaft mit sehr vielen gleichwertigen Spielerinnen und können dadurch Abgänge oder verletzungsbedingte Ausfälle sehr gut kompensieren.

Am 10. Juli beginnt die Frauen-EM in Schweden. Österreich, das noch nie an einer EM oder WM teilgenommen hat, hat sich knapp nicht qualifiziert, als Gruppenzweiter war Russland in den Playoffs eine Nummer zu groß (0:2 und 1:1). Wie enttäuscht waren Sie nach der verpassten Qualifikation?Wenninger: Die Leistung vor allem in den Spielen gegen Dänemark macht doch Mut für die Zukunft. Unter dem neuen Trainerteam und mit dem nationalen Zentrum für Frauenfußball in St. Pölten hat sich zuletzt sehr viel getan im österreichischen Frauenfußball. Auch die österreichische Liga ist inzwischen ausgeglichener als noch vor ein paar Jahren. Und wir Legionärinnen können natürlich dadurch, dass wir Woche für Woche in dieser starken Liga spielen, einiges ins Nationalteam einbringen. Insofern sollte in der Qualifikation für die nächste WM in Kanada, wo es unter anderem gegen Frankreich und Finnland geht, der zweite Platz definitiv unser Ziel sein.

Abschließend noch ein Tipp: Wer wird Europameister?Schnaderbeck: Ich schätze Frankreich und Deutschland am stärksten ein.

Wenninger: Das wäre in der Tat eine tolle Endspielpaarung. Aber insgesamt ist es enger geworden, andere Nationen haben aufgeholt. Und das kann nur gut sein.

Zur Person
Carina Wenninger und Viktoria Schnaderbeck, beide 1991 in der Steiermark geboren, kamen 2007 gemeinsam vom DFC LUV Graz zum FC Bayern München, wo sie sich im Laufe der Jahre zu Stamm- und Führungsspielerinnen zunächst in der 2. Mannschaft und dann im Bundesligateam der Frauenmannschaft entwickelt haben. Ihr "Arbeitsbereich" ist in der Regel die Defensive: Während Wenninger als Innenverteidigerin agiert, besetzt Schnaderbeck zumeist die Schaltstelle zwischen Abwehr und Mittelfeld. Ih größter Erfolg war bisher der Gewinn des DFB-Pokals 2012.

In der österreichischen A-Nationalmannschaft debütierten beide im Mai 2007 im Spiel gegen Polen und gehören seither regelmäßig zum Kader. Für die nahe Zukunft wünschen sie sich in der ÖFB-Auswahl vor allem ein Länderspiel gegen Deutschland, das es bei den Frauen bisher noch nie gab.

Vom 10. bis 28. Juli findet in Schweden die Frauenfußball-EM statt, bei der zwölf Mannschaften um den Titel spielen. Titelverteidiger ist Deutschland, das alle fünf Turniere seit 1995 gewinnen konnte. Österreich scheiterte denkbar knapp erst in der Playoff-Runde der Qualifikation, nachdem das Team von Trainer Dominik Thalhammer in der Gruppenphase Platz 2 hinter Dänemark belegt hatte.

Andreas Wirthensohn, geb. 1967, ist freier Lektor, Übersetzer und Literaturkritiker und lebt in München.