Der Kommandant des österreichischen Kontingents am Golan über Einsatzrisiken und wie es nun weitergeht.
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"Wiener Zeitung": Ist eine geordnete Übergabe der vom Golan abziehenden Österreicher an die nachrückende Blauhelm-Truppe aus Fidschi gewährleistet?Paul Schneider: Beim jetzt angepeilten Zeithorizont für den Abzug ist das sehr schwierig. Weil es nicht einfach nur darum geht, dass man ein paar Unterkünfte übergibt, Computer oder Nachtsichtgeräte, sondern es geht darum, dass wir das in fast 40 Jahren angesammelte Wissen über die nördliche Zone am Golan in ein paar Tagen weitergeben sollen. Da sprechen wir von Patrouillenwegen, von markierten Minenwegen, da sprechen wir von den Bewegungen der verschiedenen Gruppen im Raum. Das Verhalten der Menschen in der Zone richtig zu interpretieren ist in den vergangenen Monaten immer wichtiger geworden, weil man daraus rasch ablesen konnte, ob da etwas im Busch ist oder nicht. Nach dem jetzigen Stand werden wir mit dem Nachfolgekontingent vermutlich gar nicht mehr in Berührung kommen. Die Notfallplanung der Undof sieht vor, die von uns verlassenen Positionen aus dem Stand heraus zu besetzen. Diese Truppen werden dann diese Positionen an die nachfließenden Kräfte übergeben.
Das hört sich ein wenig nach stiller Post an.
Das ist tatsächlich nicht ideal. Eine andere Möglichkeit haben wir aber aufgrund des Zeitplans nicht. Es ist allerdings im Gespräch, dass wir einen gewissen Teil des Schlüsselpersonals ein wenig länger hier belassen. Allerdings lautet die eindeutige Vorgabe, dass diese Kräfte sich auf der israelischen Seite des Golan aufzuhalten haben, also westlich der sogenannten Alphalinie.
Konnte das Kontingent zuletzt den Auftrag laut UN-Mandat erfüllen?
Das Mandat konnte sicherlich nicht mehr im vollen Umfang erfüllt werden. Der Grund: Die Bewegungsfreiheit war im gesamten Raum mittlerweile sehr stark eingeschränkt. Aufgrund der Tatsache, dass wir vor allem in den Nachtstunden häufig beschossen worden sind, wurde die Patrouillentätigkeit auf Befehl des indischen Force-Commanders seit gewisser Zeit aus Sicherheitsgründen ausgesetzt. Wir hatten also nur mehr ein sehr eingeschränktes Bild darüber, was in der Nacht passiert. Zudem mussten wir seit mehr als einem Jahr mit einer ständigen Verletzung der Waffenstillstandzone leben, weil sich militärische Kräfte innerhalb der sogenannten Separationszone aufgehalten haben - was nicht vorgesehen ist und einen klaren Verstoß darstellt.
Aber wir mussten das wohl oder übel akzeptieren, weil wir mit unseren beschränkten Mitteln eines leichten Infanteriebataillons nicht imstande sind, eine mechanisierte militärische Einheit mit Kampfpanzern und schwerer Artillerie aus dem Einsatzraum zu drängen. Aber: Die eigentliche Aufgabe, syrische und israelische Streitkräfte auseinanderzuhalten, das gelingt bis heute - auch wenn wir uns zuletzt auf sehr dünnem Eis bewegt haben.
Die Bundesregierung hatte die Sicherheit der Truppe und den Beitrag Österreichs für den UN-Friedenseinsatz am Golan abzuwägen.
Das Risiko am Golan ist ohne Zweifel in den vergangenen Monaten ganz eminent gestiegen. Und zwar nicht erst, wie in vielen Medien fälschlicherweise verbreitet, wegen eines Scharmützels am 6. Juli um einen unbedeutenden Grenzposten, sondern wir standen seit mehr als einem Jahr mitten im Bürgerkrieg. Es wurde mit Artillerie sehr nah an unsere Positionen geschossen, ob aus Unvermögen, Versehen oder mit Absicht, sei dahingestellt. Tatsache ist: Wir sind wiederholt beschossen worden - und zwar nicht nur am Transport nach Damaskus am 29. November 2012, wo es ja auch Verletzte gab, sondern hier in der Zone während unserer Patrouillentätigkeit.
Sie hätten also ein anderes Mandat und bessere Ausrüstung gebraucht?
Es gab vonseiten Österreichs immer wieder Vorstöße in diese Richtung. So gab es etwa den Versuch, entsprechend bewaffnete Pandur-Radpanzer in den Einsatzraum am Golan zu bringen. Das ist aber an der Bürokratie - nicht der österreichischen - gescheitert. Die Übereinkunft zwischen Österreich und den Vereinten Nationen, das sogenannte Memorandum of Understanding - MOU -, sah das nicht vor, was die Dinge verkomplizierte.
In manchen Medien wurde der Eindruck erweckt, dass der Golan-Einsatz eine Picknick-Mission war. Und wenn es einmal kracht, dann wollen die österreichischen Soldaten schnellstmöglich nach Hause, hieß es in manchen Zeitungskommentaren sinngemäß.
Dieser Eindruck ist vollkommen zu Unrecht entstanden. Die Mitglieder des Kontingents leben seit vielen Monaten mit einem enormen Risiko. Sie haben nach Granateinschlägen nicht in Bunkern gewartet, bis die Rauchwolke vorüberzieht, sondern haben weiterhin ihren Auftrag erfüllt. Wir haben bei jeder Gefechtspause sofort die Beobachtung wieder aufgenommen, haben Präsenz gezeigt, um unseren Auftrag zu erfüllen.
Unseren Soldaten Feigheit vorzuwerfen, ist eine unglaubliche Entgleisung. Tatsache ist: Wir hatten insgesamt nur zehn Personen, die vorzeitig nach Hause gegangen sind - und zwar nicht, weil sie selbst das wollten, sondern weil sie dem Druck ihrer Familien nachgegeben haben. Und das ist ja wohl auch verständlich, angesichts der Sorge, die viele Familien hatten. Aber bedenken Sie: nur zehn Personen von insgesamt fast 400 Soldaten!
Sie lassen nun aber die Inder und die Filipinos hier zurück.
Als Soldat lässt man ungern Kameraden in einer schwierigen Situation zurück. Man geht wirklich nicht mit gutem Gefühl, wenn man weiß, welche Probleme und welche Gefahren nicht zuletzt durch unseren Abzug auf die Kameraden warten. Der indische Force-Commander, der uns am vergangenen Freitag bei der Kommandantenbesprechung verabschiedet hat, meint: Österreich ist die Seele und das institutionelle Gedächtnis dieser Mission. Dem kann man nur zustimmen: Wir haben den Raum besser gekannt als andere, wir haben die Leute hier gekannt und eine spezielle Art und Weise, an Probleme heranzugehen. Das hat fast 40 Jahre ausgezeichnet funktioniert. Wir haben in unserem Verantwortungsbereich für Stabilität gesorgt.
Halten Sie eine Rückkehr der Österreicher an den Golan für denkbar?
Das ist eine rein politische Entscheidung. Militärisch wäre das jederzeit möglich, das ist keine Frage. Die Kapazitäten und das Know-how wären vorhanden. Aber aus meiner rein persönlichen Perspektive würde ich sagen: Wenn man sich entschlossen hat, das Kapitel Golan zu beenden, dann sollte man es beenden. Und nicht das Gulasch noch einmal aufwärmen. Wir sind weg, wir sind Geschichte und die anderen müssen das jetzt so gut wie möglich machen.
Oberstleutnant Paul Schneider ist 1965 in Lilienfeld, Niederösterreich, geboren, verheiratet und Vater von drei Kindern. Eingerückt 1984, 1989 kam er zu den Pionieren. 2005 bis 2006 war im Verteidigungsministerium für die österreichische EU-Präsidentschaft tätig. Wenn er vom Golan (Schneider war 1993/94 bereits einmal dort) zurückkehrt, ist er im Verteidigungsministerium wieder für die Einsatzvorbereitung der Auslandskontingente zuständig.