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Syriza-Abtrünniger Lafazanis über Tsipras, Sparpolitik und die Wahl in Griechenland.
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Athen. Nach dem Wahltriumph Ende Januar bestimmte ihn Premier Alexis Tsipras vom "Bündnis der Radikalen Linken" (Syriza) zum Super-Minister für produktiven Wiederaufbau, Umweltfragen und Energiewesen. Sein Name: Panagiotis Lafazanis. Aus Protest gegen das dritte Kreditprogramm mit den Gläubigern schied er aus dem Kabinett Tsipras aus und gründete mit weiteren 24 Syriza-Abweichlern Ende August die "Volkseinheit" ("Laiki Enotita"/
LAE). Lafazanis spricht sich offen für einen Grexit, Griechenlands Ausstieg aus der Eurozone, aus. Seine Partei könnte Syriza Stimmen wegnehmen und damit der konservativen Nea Dimokratia den Wahlsieg bringen.
"Wiener Zeitung": Herr Lafazanis, wie werden Sie und die "Volkseinheit" (LAE) bei den Neuwahlen am 20. September abschneiden? Panagiotis Lafazanis: Wir werden die drittstärkste politische Kraft sein. Das wird von besonderer Bedeutung sein.

Weshalb?
Wir werden in Opposition zur Regierung stehen, die sehr wahrscheinlich aus Syriza und Nea Dimokratia gebildet werden wird. Diese große Koalition wird die Spar- und Reformauflagen aus dem dritten Kreditprogramm für Griechenland umsetzen. Wir sind da absolut dagegen. Es gibt aber noch einen anderen wichtigen Grund, weswegen wir im neuen Parlament in die Rolle des Oppositionsführers schlüpfen müssen.
Welchen denn?
Die rechtsextreme Goldene Morgenröte könnte sich als drittstärkste Partei etablieren. Das zeigen Umfragen. Das birgt sehr große Gefahren und muss unbedingt verhindert werden. Die Wahl der Volkseinheit ist auch darauf die beste demokratische Antwort. Wir bieten Perspektiven und Hoffnung für Griechenland. Die Goldene Morgenröte verkörpert demgegenüber den Neofaschimus, den Rechtsextremismus, die Fremdenfeindlichkeit, den Fremdenhass. Das ist das Schlimmste, was diesem Land passieren kann.
Was sind Sie und die Volkseinheit? Neo-Kommunisten, Revoluzzer, Utopisten? Oder Spaltpilze, die die erste linke Regierung in Athen gestürzt haben, wie es Tsipras nun lautstark behauptet?
Die Volkseinheit ist eine Front linker, demokratischer, progressiver und patriotischer Kräfte in Griechenland. Wir sind gegen die betriebene Austerität, die Griechenland immer weiter verarmt und verelendet. Wir wollen Griechenland auf einen anderen Weg bringen. Ich persönlich bin ein radikaler Linker, ein zutiefst demokratischer Mensch - und im guten Sinne ein griechischer Patriot.
Wie sehen Sie Berlin?
Berlin ist eine sehr schöne Stadt! (lacht) Ich habe Berlin schon vor dem Mauerfall besucht - und es wird immer schöner.
Ist das alles?
Nein, natürlich nicht. Berlin als Zentrum des deutschen Establishments verursacht große Schmerzen in ganz Europa. Wir leben in einem deutschen Europa, in einer von Deutschland bestimmten EU. Leider. Das hat keine Zukunft.
Was stört Sie konkret an der Haltung Berlins?
Wir sind gegen den Sparkurs, gegen die Austerität, die von Berlin maßgeblich gestaltet und diktiert wird. Wir sind gegen die strikte Haushaltsdisziplin, die Senkung der Löhne, der Gehälter, Renten und Pensionen, gegen den weiteren Abbau und die Aushöhlung des Sozialstaats. Der Euro kann so keine Zukunft haben. Mit ungleichen Ökonomien kann es keine Gemeinschaftswährung geben. Nirgendwo. Der Euro ist mit deutschen Kriterien und Standards geschaffen worden. Er dient unstrittig den Interessen Deutschlands. Das ist tragisch für ganz Europa, insbesondere für die ärmeren, die schwächeren Länder in der Eurozone. In der Eurozone kann Griechenland die Krise nicht überwinden und endlich wieder auf den Wachstumspfad zurückkehren.
Sie liebäugeln offen mit der Rückkehr zur Drachme. Im ersten Wahlspot der Volkseinheit steigen Sie in Athen in ein Taxi ein und der Taxifahrer fragt Sie: "Wohin soll ich Sie fahren?" Sie antworten: "Zur Münzanstalt, bitte" - und lächeln. Klarer geht es wirklich nicht.
Moment! Lassen Sie mich eines klarstellen: Für uns ist keine Währung ein Fetisch. Seien Sie versichert: Wir hätten absolut kein Problem mit dem Euro, falls wir unser fortschrittliches Programm im Euro umsetzen könnten. Ich sehe aber nicht, wie sich das verwirklichen ließe. Das ist nur mit einem Umsturz in der Eurozone und in der EU möglich. Bedingung dafür ist aber, dass ein Land oder eine Gruppe von Euroländern einen alternativen Weg in der Eurozone einschlägt. Das ist bisher freilich nicht passiert.
Tsipras’ Dogma lautete: "Kein Bruch (mit der Eurozone), aber auch keine Unterwerfung (unter die öffentlichen Geldgeber)." Dieser Weg ist offenbar gescheitert. Stehen Sie und die Volkseinheit für den Bruch?
Wir sind keine Maniker des Bruchs! Wir wollen nicht den Bruch nur um des Bruchs willen. Wir wollen, dass unser Land die Krise überwindet und langsam, langsam zum Wachstum zurückkehrt. Das würde bei der jetzigen Politik aber unweigerlich zum Bruch mit der Eurozone führen. Für diese Politik trägt das deutsche Establishment eine besondere Verantwortung.
Sind Sie persönlich von Tsipras’ sagenhaftem Purzelbaum hin zu einer Fortsetzung des rigorosen Sparkurses enttäuscht? Sie haben schließlich viele Jahre lang Seite an Seite gekämpft.Die Sache ist simpel: Tsipras hat ein Kreditprogramm mit Spar- und Reformauflagen mit Griechenlands öffentlichen Gläubigern vereinbart, das ein sehr großes Übel für unser Land darstellt. Schlimmer noch: Ich fürchte, mit diesem dritten Kreditprogramm wird Griechenland, seiner Wirtschaft, dem griechischen Volk die letzte Kugel gegeben! Deswegen gehen Tsipras und wir von der Volkseinheit nun getrennte Wege.
Sie werden von der Syriza-Spitze mit dem ungeliebten deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble gleichgesetzt, der zuletzt einen temporären Ausstieg Griechenlands aus der Eurozone vorgeschlagen haben soll.
(Lächelt). Das ist Unfug, einfach lächerlich. Mich beschäftigt gar nicht, was Herr Schäuble offenbar vorschlägt oder auch nicht. Ich sehe das so: Herr Schäuble bedient die reaktionärsten Interessen Deutschlands. Mich persönlich interessieren weder seine Überzeugungen noch seine Vorschläge zu Griechenland, falls er sie überhaupt gemacht hat. Ich habe gar nichts mit Herrn Schäuble zu tun. Wir sind wie der Teufel und das Weihwasser.
Griechenland schuldet weiterhin eine gigantische Summe. Ende Juni waren es genau 312,8 Milliarden Euro. Werden die Gläubiger ihr Geld irgendwann wiedersehen?
Wie soll das, bitte schön, möglich sein? Die griechische Staatsschuld kann doch gar nicht beglichen werden! Sie ist viel zu hoch, schon längst nicht mehr tragfähig. Da ist es unerheblich, ob man politisch links oder rechts steht. Ich bin diesbezüglich ein Realist. Mit jedem neuen Kreditprogramm wächst diese Staatsschuld weiter - und wird so immer unbezahlbarer. Das ist ein Teufelskreis. Sachlich und nüchtern betrachtet: Es gibt nur eine Lösung: eine Schuldenstreichung im großen Stil. Nur so kann das griechische Drama gelöst werden.
"Die Schuld" hat in der deutschen Sprache zwei Bedeutungen: "Schulden haben" und "schuld für etwas sein". Empfinden Sie keine Schuld für die griechischen Schulden?
Nein. Schuld haben diejenigen, die diese Schulden produziert haben. Das betrifft bestimmte einheimische Akteure, aber auch die Aufsichtsbehörden in Europa, die offensichtlich versagt haben, und nicht zuletzt die profitgierigen Gläubiger. Die kleinen Leute hier in Griechenland tragen jedenfalls keine Schuld.
Ist eine Koalition zwischen der Volkseinheit und Syriza möglich?
Nur wenn Syriza das Kreditprogramm samt seiner Auflagen kündigt.
Panagiotis Lafazanis (63) gehörte zur Führungsriege der Kommunistischen Partei und wurde 1992 Mitglied des Syriza-Vorgängers Synaspismos. Seit Ende August ist der studierte Mathematiker Vorsitzender der neu gebildeten Partei "Volkseinheit" (LAE).