Nach dem Atomdeal scharrt die Wirtschaft in den Startlöchern, Kritik von Menschenrechtsaktivisten verhallt.
Wien. Es war ein ungewöhnlicher Anblick am Donnerstagmorgen vor der Wirtschaftskammer in Wien: Die iranische Flagge und die österreichische Flagge wehten den aus 15 Ländern angereisten über 370 Besuchern entgegen.
Daneben drei Demonstranten des irankritischen Bündnisses "Stop the Bomb", die gegen die Veranstaltung demonstrierten. "Mit den Judenhassern und Holocaustleugnern soll man keine Geschäfte machen", forderten sie.
Nur elf Tage nach Abschluss des historischen Atom-Deals zwischen dem Westen und dem Iran ist Wien wieder Gastgeber eines großen Iran-Events am Donnerstag und Freitag. Die Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) rief zur EU-Iran-Konferenz in Wien und hunderte Firmen aus Österreich und der EU folgten der Einladung. Der Zweck der Veranstaltung war klar vorgegeben: Die EU will - nach einem Jahrzehnt Sparflamme - wieder ihren Fuß in die iranische Wirtschaft setzen.
Der Chef des Hauses, WKÖ-Chef Christoph Leitl, ging in seinem Statement auf die Demonstranten ein. "Da draußen demonstriert ’Stop the Bomb‘, und ich sage Ihnen eines: Die Bombe wurde durch Verhandlungen und Dialog verhindert", sagte er und verwies auf das Motto "Kooperation statt Konfrontation". Irans Vizeölminister Hossein Zamaninia schmunzelte über Leitls Bemerkung, er wolle sie ergänzen: Es habe nie eine Bombe gegeben. Seine Regierung könnte bis 2020 Verträge über rund 50 Öl- und Gasprojekte im Wert von 185 Milliarden Dollar abschließen, lockte der Minister.
Privatisierungspläne Irans locken westliche Unternehmen
Teherans Führung wolle den Öl- und Gassektor, die Bergbau- und Metallindustrie sowie den Auto- und Autozulieferbereich ausbauen, sagte Handelsminister Mohammad Reza Nematzadeh. Die Privatisierungspläne der Regierung böten gute Möglichkeiten.
Umgekehrt will der Iran auch in Europa investieren. "Der Iran ist nicht mehr der gleiche Markt wie vor 10 Jahren. Wir sind nicht mehr an einer einseitigen Einfuhr von Gütern und Maschinen aus Europa interessiert. Vielmehr wollen wir einen beidseitigen Handel sowie eine Zusammenarbeit in Entwicklung, Design und Maschinenbau", ergänzte er. Um das zu ermöglichen, wolle der Iran nach Aufhebung der Sanktionen der Welthandelsorganisation beitreten und Handelsabkommen mit der EU und zentralasiatischen Ländern schließen.
Aus österreichischer Sicht ist für Leitl der Atom-Deal kein Neubeginn. So unterstrich er gegenüber "Wiener Zeitung", dass Österreich nicht erst jetzt nach dem Deal anfangen müsse, Delegationen in den Iran zu schicken und von Null anzufangen. "Wir hatten heuer schon sieben Events, und heute ist der achte, und bis Jahresende kommen noch sieben hinzu", ergänzte er. Das bilaterale Handelsvolumen (die österreichischen Iran-Exporte beliefen sich 2014 auf 213,7 Millionen Euro, die Importe auf 19,3 Millionen) soll mittelfristig auf eine Milliarde Euro verfünffacht werden. Österreich habe auch in schwierigen Zeiten wie in dem vergangenen Jahrzehnt immer gute Kontakte zu Teheran unterhalten und Leitl sei stolz, dass die Regierung immer als Brückenbauer fungiert habe. Das historische Abkommen mit dem Iran, so Leitls Wunsch, solle nun als "Vorbild für andere Konfliktlösungen wie etwa des Russland-Ukraine-Konflikts" dienen. Angesprochen auf die Kritik, dass die WKÖ trotz der katastrophalen Menschenrechtslage im Iran nur ans Geschäft denke, meinte Leitl, dass die WKÖ sich an alle Beschlüsse und Sanktionen halte und man nicht "der Schiedsrichter der Welt" sei. Durch die Wirtschaftsbeziehungen, die nach der Aufhebung der Sanktionen schleunigst intensiviert werden sollen, entstehe eine Win-Win-Situation für alle, und durch menschliche Kontakte trage man zum Frieden bei.
Menschenrechtsorganisation listet Hinrichtungen auf
Einem Bericht von Amnesty International zufolge hat der Iran in der ersten Jahreshälfte fast 700 Menschen hinrichten lassen. 694 Todesurteile seien bis Mitte Juli vollstreckt worden, meldete die Menschenrechtsorganisation am Donnerstag unter Berufung auf "glaubwürdige Berichte". Dies sei ein "beispielloser Anstieg". Die iranischen Behörden hätten bis zum 15. Juli 246 Hinrichtungen offiziell bestätigt.
2014 seien nach offiziellen Zahlen 289 Menschen hingerichtet worden, Amnesty geht von mindestens 743 Tötungen aus.
Fix ist, dass der österreichische Bundespräsident Heinz Fischer vom 7. bis 9. September in die Islamische Republik reisen wird. Er ist damit das erste EU-Staatsoberhaupt seit 2004 und nimmt eine große Delegation mit, darunter Leitl und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner.
Letzterer erklärte am Donnerstag, dass heimische Unternehmen gut im iranischen Markt positioniert seien. Der Minister erwartet, "dass Österreich zusammen mit Deutschland, Frankreich und Italien zu jenen Ländern gehören wird, denen die Einigung und das neue Klima mehr nützen werden als anderen Ländern".
Nächste Woche fliegen sowohl die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini, als auch der französische Außenminister Laurent Fabius nach Teheran. Fabius wird ohne Unternehmenschefs reisen. Er will mit Präsident Hassan Rohani vor allem politische Gespräche führen. Im Sender France Inter erklärte Fabius, er hoffe, dass die harte Haltung, die Frankreich bei den Atomverhandlungen eingenommen habe, sich nicht schädlich auf französische Geschäfte auswirken werde.