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"Wir sind schon mitten im Pflegenotstand"

Von Karl Ettinger

Politik

Bei Experten und in Bundesländern herrscht Verärgerung über Ignoranz der Bundesregierung für fehlende Finanzierung.


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Die Pflege ist nach wie vor nicht sexy genug und nicht dringlich genug." Nur mit Sarkasmus kann sich der Salzburger Pflegedirektor Karl Schwaiger im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" erklären, warum von der von ÖVP und Grünen für den heurigen Herbst angekündigten Pflegereform nichts zu sehen ist. Das Budget 2022 hält er für eine Bestätigung seines ernüchternden Befundes. Zwar gibt es künftig Geld für Community nurses als Ansprechpartner in Gemeinden zur Pflege und verstärkte Ausbildung. Es gibt aber weit und breit kein Konzept für die Finanzierung, nicht einmal für die Mehrkosten in den kommenden Jahren.

Für den Fachmann aus der Praxis ist es unverständlich, dass seit längerem Änderungen im Pflegebereich ausbleiben. Schwaiger bedauert daher, dass man in der Bundesregierung "die Zeichen der Zeit nicht erkannt" habe. "Wir sind schon mittendrin im Pflegenotstand. Das ist für alle ersichtlich", prangert er an. Es fehle schon jetzt an Personal, um alle Betten für die Langzeitpflege in Heimen belegen zu können. Ähnliches wurde im Vorjahr bereits in Oberösterreich beklagt, das ORF-Radio-"Morgenjournal" hat in der Vorwoche über die gleiche Situation in steirischen Pflegeheimen berichtet.

Neue Ansprechpartner in den Gemeinden

Die Bundesregierung hält dem entgegen, dass noch vor der Sommer im Nationalrat die gesetzlichen Weichen für die Community nurses gestellt worden sind. ÖVP und Grüne führen seit der Budgetrede in der Vorwoche die neuen Aufwendungen für den Pflegesektor ins Treffen. So hebt Sozial- und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) hervor, die Regierung mache "einen ersten wichtigen und konkreten Schritt im Sinne eines Einstiegs in eine umfassende Pflegereform" mit der finanziellen Unterstützung der Auszubildenden für Pflege- und Sozialbetreuungsberufe. Dazu sind insgesamt zusätzlich 150 Millionen Euro für drei Jahre bis 2024 vorgesehen, 50 Millionen Euro mehr pro Jahr, wie in seinem Büro erläutert wird.

Weiters seien für das Pilotprojekt Community Nurses rund 50 Millionen Euro aus dem EU-Wiedeaufbaufonds bis 2024 budgetiert, 18 Millionen Euro pro Jahr. Außerdem sei die finanzielle Grundlage für die Verlängerung des Pflegefonds geschaffen. In den kommenden beiden Jahren würden laut Sozialressort zum weiteren Ausbau der sozialen Dienste und zur Qualitätssicherung insgesamt rund 900 Millionen Euro zur Verfügung stehen.

Oberösterreichs Soziallandesrätin und SPÖ-Landeschefin Birgit Gerstorfer sieht in der fehlenden Sicherung der Pflegefinanzierung hingegen das Problem schlechthin. Zuletzt haben auch ÖVP-Gemeindevertreter und Bürgermeister dringend mehr finanzielle Unterstützung bei der Pflege verlangt. "Die Gemeinden sind einfach nicht mehr in der Lage, die Pflege in Zukunft zu zahlen", warnt Gerstorfer. Sie hat daher bereits vor Wochen einen Aufschrei der roten Soziallandesräte mit Wiens Stadtrat Peter Hacker in Richtung Bund losgelassen.

Experten wie auch Gemeindevertreter sehen allerdings viel Klärungsbedarf, was Community nurses in den geplanten 180 Gemeinden betrifft. Für Oberösterreichs Soziallandesrätin handelt es sich dabei in Wahrheit lediglich um die klassische Hauskrankenpflege, die mit Serviceaufgaben auf lokaler Ebene ergänzt werde. Der Pflegedirektor aus Salzburg befürchtet, dass der Bund nur bis 2024 die Kosten für dieses neue Aufgabengebiet und Personal tragen werde, danach könnten die Gemeinden auf den Kosten sitzen bleiben. Es wäre nicht das erste Mal, dass es den Kommunen so ergeht: "Die Gemeinden fragen schon skeptisch, was ist danach?"

Vor allem Personal fehlt an allen Ecken und Enden

Für SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner ist die zusätzliche Summe für die Pflege ebenfalls lächerlich gering. Damit könne man "den Pflegenotstand nicht bekämpfen", hat sie zuletzt dem für das Budget zuständigem Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) direkt an den Kopf geworfen. SPÖ, Gewerkschaft und der rote Pensionistenverband treten für eine Milliarde zusätzlich zu bisher rund fünf Milliarden Euro an Mitteln für Pflege ein. Dieses Steuergeld soll auch durch eine Vermögens- und Erbschaftssteuer für "Reiche" ab einer Million Euro hereinkommen. Größter Brocken ist bisher das Pflegegeld für rund 460.000, für das im Gegensatz zu den Heimen der Bund aufkommt.

Schwaiger ist mit anderen Fachleuten einig, dass das fehlende Pflegepersonal das größte Problem darstellt. Deswegen kritisiert er heftig, dass mit den Budgets 2022 bis 2024 von Sozialminister Mückstein nur die Ausgaben "einfach fortgeschrieben" würden, wenngleich die Erhöhung der Mittel für die Ausbildung positiv sei.

Das Sozialministerium setzt auf weitere positive Anreize, damit Pflege- und Betreuungspersonen langfristig im Beruf verbleiben. Freilich müssen konkrete Maßnahmen erst mit den Bundesländern abgestimmt werden.