"WZ"- Interview mit dem Chef des Bundesvergabeamts. | Michael Sachs über Bauaufträge, Notwendigkeiten und Spielentscheidungen. | "Wiener Zeitung":Wie oft haben Sie mit solchen Großereignissen wie der Nordautobahn zu tun?
Michael Sachs: Das war sicher unser Jahresfall 2006. Davor war es Klagenfurt (Bau des Stadions, Anm.), dann die Polizeiautos, jetzt die Nordautobahn. Normalerweise machen wir unsere Arbeit sehr kontinuierlich und sehr ruhig, möglichst unauffällig.
Gibt es bei solchen Riesenprojekten Versuche der Einflussnahme - von welcher Seite auch immer?
Es gibt unterschiedliche Interessenslagen. Ein Auftraggeber will natürlich sein Projekt durchbringen. Der macht ja Vergaberecht nicht, weil es so lustig ist, sondern weil es eine europäische Norm ist und weil er einen gesetzlichen Auftrag hat, irgendeine Infrastrukturmaßnahme zu errichten.
Als Bundesvergabeamt (BVA) sehen wir ja nur eine Spitze des Eisbergs oder nur das Gipfelkreuz einer Eisbergspitze: Fälle, die komplex oder strittig oder so groß sind, dass jeder Konzern an einem Rechtsverfahren teilnehmen muss. Denn wie soll er sonst seiner Mutterzentrale in Deutschland oder in Amerika erklären, wenn er sich bei einer Vergabe bewirbt und nicht gewinnt. Allein die Aufwendungen für die Anboterstellung gehen teilweise die in die Millionenhöhe. Wenn der Konzern so etwas in den Sand setzt, muss er dann schon beweisen, dass er nichts unversucht gelassen hat, um doch noch zum Erfolg zu kommen. In gewisser Weise ist er dazu gezwungen, vor das BVA zu gehen.
Damit ihm das BVA das schlechtere Angebot bescheinigt und der Tochterkonzern sich rechtfertigen kann?
Ja, das kann passieren - auch aufgrund internen Kalküls. Das würde kein österreichischer Manager zugeben, aber es gibt schon einige Firmen, die erleichtert sind, wenn sie von uns einen Bescheid erhalten, in dem steht, dass ihre Preise schlechter sind. Das kann man dann der Mutter vorlegen mit dem Verweis "Ihr habt uns die Preise vorgegeben". Das reicht schon als Entschuldigung.
Die BVA-Bescheide werden gezielt instrumentalisiert?
Zum Teil schon.
Gibt es im BVA Drohanrufe oder Ähnliches?
Ich habe noch keinen einzigen Anruf irgendeines Politikers bekommen. Auch von den Konzernen nicht. Ich glaube, dass Unternehmen schon wissen wo die Grenzen sind. Wenn die überschritten werden, dann gebe es ein strafrechtliches Problem. Denn neben einem Aktenvermerk würden wir das sofort an die Staatsanwaltschaft weiterleiten. Da hätten wir keinen Schmerz.
Wobei es bei der Nordautobahn so ausgesehen hat, als würde das BVA selbst unter Beschuss kommen, nachdem es eine anonyme Anzeige über die Befangenheit eines Senatsmitglieds gegeben hat. Ihr Kollege hat dann nicht mehr an dem Verfahren teilgenommen, obwohl er juristisch gesehen nicht befangen war.
Das war eine heikle Geschichte. Der Betreffende hat sich für befangen erklärt, um den Prozess nicht zu gefährden. Wir müssen aufpassen, dass man nicht aufgrund anonymer Anzeigen Leute hinausschießt, bis einer nachgereiht wird, von dem man glaubt, dass er besser ist.
Dass der Kollege unbefangen war, zeigt allein die Tatsache, dass er ursprünglich gegen den Konzern entschieden hat, in dem sein Schwiegervater tätig ist.
Im Endergebnis machte das aber keinen Unterschied mehr, sämtliche Anträge der Baufirmen wurden zurückgezogen, weil man sich geeinigt hatte.
Wir sind antragsgebunden - wir werden erst tätig, wenn sich wer beschwert.
Es gibt ein Verfahren wie die Nordautobahn, es wird Arbeit, Zeit und Energie hineingesteckt, man findet einen Fehler und dann werden die Anträge zurückgezogen und es war alles für die Fisch'. Ist das nicht unbefriedigend?
Ja. Das ist halt unsere Jobbeschreibung. Wenn kein Streit mehr herrscht, dann sind wir nicht dran.
Ist das Bundesvergabegesetz reformbedürftig?
Verbessern kann man alles. Ob man wirklich in einem Bereich ein Gesetz mit 300 Paragraphen braucht, bin ich mir nicht sicher. Ob man überhaupt ein Vergaberecht braucht, bin ich mir auch nicht sicher. Wir haben halt eine europäische Richtlinie umzusetzen, aber ob das wirklich den Kern trifft, weiß ich nicht.
Der Kern ist doch, dass faire Ausschreibungen garantiert werden.
Ich glaube, dass die meisten Ausschreibungen vor dem BVA nicht halten würden - weil man sehr leicht Fehler machen kann. Wenn man wirklich geschickt ist, weiß man am Ende schon, was rauskommt. Aber natürlich ist es notwendig, dass man Transparenz und Fairness wahrt. Das ist unser Job. Und wir im Bundesvergabeamt waren teilweise auch einmal auf der anderen Seite, da braucht man uns nichts vorzuspielen. Wir kennen die Tricks, wie man Ausschreibungen in eine ganz bestimmte Richtung bringt. Unser Job ist es, die Leitplanken festzulegen: Dass sich alles innerhalb eines einigermaßen sinnvollen Wettbewerbs abspielt. Ich will keinem Auftraggeber unterstellen, dass er absichtlich tendenziös und damit rechtswidrig handelt. Er will seine bekannten Geschäftspartner. Wenn ich einen neuen Lieferanten bekomme, ist das mit irrem Aufwand verbunden. Das mach ich nicht als Privater - warum also der Staat? Da ist ein bisschen ein Spannungsverhältnis.
Direktvergaben, also ohne Ausschreibungen, sind mit 40.000 Euro begrenzt.
Jeder Häuselbauer kann freihändig mehr vergeben als ein Beamter, der zusätzlich ein internes Regelungswerk hat. Da frage ich mich, wo das große Interesse der EU sein kann - bei diesen Dimensionen wird der Binnenmarkt nicht gestört.
Wobei das Bundesvergabegesetz von der Idee her schon richtig ist. Die Frage ist nur, ob wir wirklich so detaillierte Regelungen für Spezialisten brauchen. Ein Mittelstandsunternehmen, das keine eigene Rechtsabteilung hat, schaut natürlich zweimal, ob es sich dafür steht, noch einen Anwalt zu beauftragen.
Das gilt natürlich auch für die Seite der Auftraggeber. In kleinen Gemeinden kann man doch nicht davon ausgehen, dass man mit dem Vergaberecht vertraut ist?
Wir müssen von der Prämisse ausgehen, dass jeder Bürgermeister die Gesetze kennt. Ich glaube aber auch, dass das Bewusstsein, dass es hier Spezialvorschriften gibt, noch nicht so stark ausgeprägt ist. Hier herrscht Informationsbedarf. Das wirklich Schwierige ist aber auch, wenn Erkenntnisse des EuGH (Europäischen Gerichtshof) kommen, die wie ein Gesetz gelten und - wenn man Pech hat - gegen den nationalen Gesetzeswortlaut gehen. Das schau ich mir an, dass jeder Gemeindesekretär nichts anderes tut, als täglich EuGH-Urteile abzurufen. Das kann man in Wirklichkeit nicht zumuten.
In den Gemeindeämtern gibt es keine Vergabeexperten?
Als Vertreter des Bundesvergabeamt habe ich keinen Einblick, was dort passiert. Zur Kontrolle sind andere zuständig. Und die kontrollieren zusammen nur 200 Fälle pro Jahr. Das ist im Vergleich zu unseren 111 nicht so schlimm. Vor Ort wird nicht so gestritten wird, weil die Volumina deutlich geringer sind.
Bei der Nordautobahn hat man sich zwei Jahre gestritten und sich dann hinter verschlossenen Türen doch geeinigt. Ist das Bundesvergabeamt obsolet?
Ja und nein. Das Interesse eines Strafrichters müsste doch sein, keinen einzigen Fall zu bekommen. Wenn keine Straftaten passieren, wäre es ideal. Und unser Interesse müsste es sein, dass das Vergaberecht in Österreich funktioniert. Dass die Fälle abnehmen.
Aber es funktioniert auf einer nicht-öffentlichen Ebene.
Vom Prinzip ist es nicht so falsch. 20 Prozent der Anträge werden zurückgezogen. Manchmal sind die Antragssteller dankbar, weil sie erkennen, in welche Richtung die Meinung der Behörde geht. Wir sehen uns als Dienstleister, um für Auftraggeber und Bieter Klarheit zu schaffen, wo die Grenzen im Vergabebereich liegen. Unsere Bescheide haben bei einer Anfechtung vor dem Verwaltungs- und Verfassungsgerichtshof eine Bestandswirkung von 99 Prozent. Das ist sehr ordentlich. Ich bin nicht unzufrieden mit unserer Arbeit, auch wenn sie immer wieder kritisiert wird.
Gibt es die perfekte Ausschreibung?
Wenn man will, findet man in jeder Ausschreibung etwas. Aber die meisten Fehler sind nicht spielentscheidend.
Es gibt kaum einen Bauauftrag, der nicht vor das Bundesvergabeamt geschleppt wird. Parallel wird weiterverhandelt. Kommt man sich da nicht wie ein Spielball vor?
Wir sehen uns überhaupt nicht als Spielball. Die Firmen versuchen legitimerweise, ihre Interessen zu wahren. Und manchmal geht es um ein Austesten der Grenzen. Gegen "Spielball" wehre ich mich aber. Denn die Leitung im ganzen Verfahren haben immer noch wir.