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"Wir stärken die Demokratie"

Von Matthias G. Bernold

Politik
Straßen anders nutzen: Beim World Parking Day oder – so wie auf dem Bild – beim Wiener Projekt "Grätzloase".
© Agenda 21

Der US-Amerikaner Matthew Passmore, Erfinder des World Parking Day, im Interview.


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Wien. Der US-Amerikaner Matthew Passmore erfand vor zehn Jahren in San Francisco den Parking Day und nutzte als Erster gebührenpflichtige Parkplätze für urbane Interventionen. Heute ist aus seinem Projekt eine globale Bewegung geworden.

Der Parking Day - gegründet im Jahr 2005 - findet weltweit jeden dritten Freitag im September statt. Künstler, Aktivisten und Bürger nutzen dabei kostenpflichtige Parkplätze im öffentlichen Raum für urbane Interventionen: Pop-up-Cafés, Gemüsegärten, Galerien und Ähnliches.

Mit der "Grätzloase", die "Wiener Zeitung" berichtete, institutionalisierten Stadt Wien und Agenda 21 die Idee: Bürger werden eingeladen, Interventionen einzureichen und den öffentlichen Raum alternativ zu nutzen. Eine Jury wählt unter den eingelangten Ideen aus. Im Interview erklärt Matthew Passmore, worin die politische Bedeutung solcher Projekte liegt.

"Wiener Zeitung": Was noch vor ein paar Jahren unvorstellbar war, wird zusehends Realität: Städte auf der ganzen Welt reduzieren den Autoverkehr, fördern den öffentlichen Verkehr, Radfahren und Zufußgehen. Warum gerade jetzt?Matthew Passmore: Weil alle Städte dieselben Probleme haben. Jahrzehntelang wurden Städte immer autogerechter: Straßen breiter und zahlreicher. Jetzt setzt sich die Erkenntnis durch, dass damit immer nur noch mehr Autoverkehr und letztlich Abgase, enorme Kosten und Stau erzeugt wurden. Dass dies alles gerade jetzt geschieht, hat damit zu tun, dass die richtigen Persönlichkeiten an die Macht gelangt sind: Etwa Enrique Peñalosa in Bogota, Janette Sadik-Khan in New York oder Boris Johnson in London. Sie haben verstanden, dass wir nicht weitermachen können wie in den letzten 50 Jahren. Der Autoverkehr wird auf eine angemessene Größe zurechtgestutzt.

Was ist eine angemessene Größe für den Autoverkehr?

Wir müssen es schaffen, dass das Auto als Werkzeug dort verwendet wird, wo es Sinn macht. Autos sind äußerst nützliche Maschinen. Ich besitze selbst eines, genauso wie ich mehrere Fahrräder besitze. Aber in vielen Städten ist die Mobilität aus der Balance geraten. Zu viel Geld und Energie floss in die Förderung des motorisierten Individualverkehrs. Mit negativen Auswirkungen für die Menschen in den Städten. Die Balance müssen wir jetzt wiederherstellen.

Wie?

Durch massive Investitionen in die Fußgänger- und Radfahrerinfrastruktur. Von einigen außergewöhnlichen Städten abgesehen, ist es derzeit so, dass nur ein Bruchteil der Aufwendungen für den Straßenbau und deren Erhaltung den Fußgängern und Radfahrern zugutekommt. Aber mit einem entsprechenden Umbau der Städte ändern wir die Erfahrung der Leute. Die erleben die Stadt dann nicht mehr eingesperrt in eine Blechbox, sondern als Lebensraum, den man gemütlich durchqueren und durchradeln kann. Das macht Spaß, und es ändert die Balance.

Weltweit steigt zwar die Nutzung des Fahrrades. Aber - vor allem in den Entwicklungsländern - es explodieren auch die Kfz-Verkaufszahlen. Weltweit sind mehr Autos unterwegs als jemals zuvor. Wie kann man gegensteuern?

In den Städten, wo ich lebe, kaufen junge Menschen immer weniger Autos, und sie machen immer später den Führerschein. In aufstrebenden Städten in Entwicklungsländern ist das Kfz Statussymbol und Objekt der Sehnsucht. Viele Städte dort steuern geradewegs in einen Verkehrskollaps und wiederholen die Fehler des Westens. Die Antworten sind allerdings da wie dort dieselben: Es muss unkomfortabler und teurer werden, mit dem Auto zu fahren. Und es muss Alternativen geben. Ganz ohne mechanisierten Transport kommen wir nicht aus.

Innerhalb von zehn Jahren wuchs der Parking Day zur weltweiten Bewegung an. In wie vielen Städten wird er durchgeführt?

Als wir vor ein paar Jahren zu zählen aufgehört haben, waren es 975 Installationen in sechzehn Städten auf allen Kontinenten. Aktivisten in Iran, in Madagaskar, in Venezuela oder Südkorea waren dabei. Sie machten auf die unterschiedlichsten Probleme aufmerksam. Und sie schufen die unterschiedlichsten Einrichtungen: Grünraum, Urban Gardening, Kunstgalerien, sogar Kliniken. Feststeht: Wir haben ein Netzwerk etabliert, in dem sich tausende Menschen austauschen. Es gibt aber dutzende Städte, in denen Leute einen Parking Day veranstalten, ohne dass wir es mitkriegen. Das ist genauso o.k.

Der Parking Day ist eine feine Sache. Aber es ist ein Tag im Jahr. 364 andere Tage gehört der öffentliche Raum den Autos. Wie kann der Aktionstag zu einer dauerhaften Veränderung beitragen?

Es gibt verschiedentlich Versuche, die Idee als dauerhafte Form zu manifestieren. Etwa die Parklets in San Francisco, wo die Stadt der Öffentlichkeit Parkplätze zur Verfügung stellt, um darauf alternative Nutzung zu ermöglichen. Inzwischen gibt es in der Stadt 60 dieser für eine beschränkte Zeit vermieteten Parklets, und sie werden für Cafés und Restaurants verwendet, für Galerien und sonstige Events. Das ist eine kostengünstige Möglichkeit, Autoinfrastruktur zu verringern. Schanigärten, wie ich sie in Wien gesehen habe, und das Projekt "Grätzloase" gehen in die richtige Richtung.

Worin sehen Sie die politische Bedeutung des Parking Day?

Vor allem auch darin, den Bürgerinnen und Bürgern zu zeigen, dass ihnen der öffentliche Raum in der Stadt gehört. Dass sie es selbst in der Hand haben, ihre Stadt zu gestalten. In diesem Sinn stärkt der Parking Day das Selbstbewusstsein der Bürger und die Demokratie.

Matthew Passmore hat vor zehn Jahren in San Francisco den Parking Day erfunden und hat als Erster
gebührenpflichtige Parkplätze für urbane Interventionen genutzt.