1. Mai: Die SPÖ sieht sich im Abwehrkampf, die Regierung tritt demonstrativ zu einem Ministerrat zusammen.
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Wien. "In Wien werd’s ihr nix reiß’n!", "Nie vergeben, nie vergessen", "Sicherungshaft ist ein Verbrechen!" Nicht nur klassische Slogans, auch teils derbe Sprüche fanden sich am Mittwoch auf den Transparenten der einziehenden Sektionen der Wiener SPÖ beim traditionellen Maiaufmarsch. Gleich mehrere zentrale Punkte standen heuer im Fokus: die Stärkung der Geschlossenheit in der Partei, der rote Abwehrkampf gegen die Bundesregierung und die Verteidigung Wiens als einzig verbliebene sozialdemokratische Bastion sowie natürlich die Mobilisierung für die EU-Wahl. "Zusammen sind wir Wien. Zusammen sind wir Europa", lautete folglich auch das Motto der diesjährigen Maifeiern.
Gleichzeitig feierte man "100 Jahre Rotes Wien". Der zum zweiten Mal auf der Festtribüne zu den Genossen sprechende Wiener Bürgermeister Michael Ludwig und seine Mitstreiter nutzten dies auch für eine Würdigung der Gründungsväter der Sozialdemokratie wie Victor Adler, Ferdinand Hanusch oder Karl Seitz. Es sei das letzte Mal, dass die Gewerkschafter der Wiener Gebietskrankenkasse als Vertreter ihrer Institution aufmarschierten, kritisierte Ludwig vor allem die Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger scharf.
"Schicksalswahl" für Europa
Rund 120.000 sollen am Maiaufmarsch teilgenommen haben, die SPÖ sprach von einer "Rekordbeteiligung". Laut Polizei kamen zur Schlusskundgebung auf dem Rathausplatz 12.000 Personen. Vor allem die Flächenbezirke scheinen massiv mobilisiert zu haben, vielleicht auch, um einer möglichen wetterbedingten schwachen Beteiligung entgegenzutreten. "Wien steht auf, wenn es gegen die Stadt geht", appellierte Ludwig an SPÖ-Mitglieder und Sympathisanten. Er sei stolz darauf, dass Wien "eine weltoffene Stadt" sei, und freue sich auf die bald stattfindende "Europride"-Parade, bei der Zigtausende in Wien erwartet würden. Maximal ausgekostet wurde der beachtliche Erfolg der Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter (FSG) bei den zurückliegenden AK-Wahlen.
Nach Ludwig durfte die 28-jährige Wiener Frauensprecherin Marina Hanke auf die Bühne - auch ihre Rede fiel emotional aus. Man stehe "auf den Schultern von Riesen", zollte Hanke den alten roten Idolen Tribut. Aber: "Wenn wir zurückblicken, darf das nur ein kurzes Verweilen sein", mahnte sie. Hanke ortete einen "Klassenkampf von oben" seitens der ÖVP-FPÖ-Koalition, sie sprach von "täglich neuen Grauslichkeiten" gegenüber den Arbeitnehmern, die sich "die da drüben am Ballhausplatz" einfallen lassen würden. Auch Hanke beschwor Wien als "Bollwerk der Demokratie und der Menschenwürde".
Gleich nach Hanke hielt dann AK-Präsidentin Renate Anderl eine ebenfalls recht emotionale Rede. Die Arbeiterkammer sei "so beliebt wie noch nie", stellte sie fest. "Reaktionäre Kräfte" würden hier wie in ganz Europa das erkämpfte Selbstbestimmungsrecht der Frauen unterminieren. "Täglich ein neuer Einzelfall, täglich zieht der Bundeskanzler neue rote Linien." Anderl attackierte den Leistungsbegriff der Bundesregierung: All diejenigen, die in der Früh aufstehen und arbeiten gehen - "manche selbst, wenn sie krank sind", seien "die wahren Wiener Leistungsträger". Auf "Beleidigungen" der ÖVP-FPÖ-Regierung gegenüber der Arbeiterkammer sei sie "stolz", so Anderl.
Als "Brandstifter am gemeinsamen Europa" bezeichnete EU-Spitzenkandidat Andreas Schieder die erstarkte extreme Rechte und fragte die Anwesenden: "Welche Farbe hat der Feuerlöscher?" Der Dank dafür waren Sprechchöre.
Wie üblich als Letzte sprach die amtierende Bundesparteivorsitzende, Klubchefin Pamela Rendi-Wagner. Es war ihre erste Rede am 1. Mai. Die zuletzt wegen ihrer medialen Performance unter Druck geratene SPÖ-Chefin setzte voll auf das Thema Sicherheit - im sozialen Sinne. Sie selbst habe "Chancen gehabt" als junger Mensch, meinte sie, die türkis-blaue Bundesregierung habe "den österreichischen Weg" des "sozialen Ausgleichs" verlassen. Sie erkenne das Land nicht wieder, so Rendi-Wagner. Die FPÖ sei "eine falsche Freundin" der Arbeitnehmer. An die Grenzüberschreitungen der Blauen dürfe man "sich nicht gewöhnen". Die SPÖ-Chefin schloss ihre Rede mit einem Angriff auf den Vizekanzler und die FPÖ-Politikerin Ursula Stenzel, die den ORF mit einem Nazi-Volksgerichtshof verglichen hatte: "Herr Strache, Frau Stenzel - treten Sie zurück!"
Steuerreform im Ministerrat
"Die da drüben am Ballhausplatz", also die Mitglieder der Bundesregierung, waren unterdessen demonstrativ zu einem Ministerrat zusammengetreten. Das Verkünden der Steuerreform von Türkis und Blau war medienwirksam um den traditionellen Festtag der Sozialdemokraten platziert worden - das Pressefoyer nach dem Ministerrat am Mittwoch nutzten Kanzler und Vizekanzler ihrerseits für Angriffe auf die SPÖ. Dieser sei die "Höchststeuerbelastung" und die "Rekordarbeitslosigkeit" zu verdanken, waren sich ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz sowie FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache einig. Nicht der guten Konjunktur, so die Behauptung, sondern ihrer Regierungsarbeit sei es zu verdanken, dass die Arbeitslosenzahlen rückläufig seien.
"Wir senken die Steuern- und Abgabenbelastung", so die erneute Ansage des Bundeskanzlers. In mehreren, "vernünftigen" Etappen wolle man die Steuerreform durchziehen, verteidigte Finanzminister Hartwig Löger das Vorhaben - "damit wir sicherstellen können, gleichzeitig Überschüsse zu erwirtschaften".
Am Nachmittag lud Bundeskanzler Kurz gemeinsam mit Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger und Familienministerin Juliane Bogner-Strauß zu einem großen "Familienfest" in den Schönbrunner Schlosspark. Geboten wurden dabei regionale Kulinarik und mehr als 50 Kinderstationen - inklusive Bühnenprogramm.