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"Wir stehen für eine moderate Politik"

Von Petra Ramsauer

Politik
Saß 17 Jahre in Haft: Ennahdha-Führungsmitglied Arbaoui.
© Ramsauer

Ein Führungsmitglied der islamischen Ennahdha über Tunesiens Zukunft und was die Partei vom Beispiel Ägypten gelernt hat.


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Tunis. Entspannt und gut gelaunt empfängt Noureddine Arbaoui die "Wiener Zeitung" im Hauptquartier der tunesischen Ennahdha-Partei. "Montplaisir" heißt das noble Viertel Tunis, in dem die drei Jahrzehnte verbotene Bewegung heute stolz in einem Hochhaus residiert. Schwarze Ledersofas und Fauteuils, dunkler Glastisch prägen Arbaouis karges Büro, in dem nur ein einziges Bild zu sehen ist: eine Aufnahme der Altstadt Jerusalems. Der 63-jährige Psychologe zählt zu den einflussreichsten Führungsfiguren der Partei, ist Teil des Polit-Büros, agierte seit der Revolution 2011 als ihr Sprecher. 1991 war er für wenige Monate der Führer der islamistischen Bewegung, die auf Basis der tunesischen Muslimbruderschaft hervor ging. 17 Jahre saß er im Gefängnis, zu einem überwiegenden Teil in Einzelhaft.

Doch die größte Krise der Ennahdha ist derzeit zu bewältigen. Nach dem Triumph bei den Wahlen 2011 mussten die Islamisten diesen Herbst eine Wahlniederlage verdauen und landeten auf dem zweiten Platz. Der 88-jährige Beji Caid Essebsi wurde nun zum Präsidenten gekürt. Dessen Partei "Nida Tunis", "Ruf Tunesiens" - gegründet erst 2012 - gewann die Parlamentswahlen im Oktober. Unter dem gestürzten Autokraten Zine el-Abidine Ben Ali war Essebsi Parlamentssprecher, zuvor Innen- und Außenminister. Sowohl als Parteichef wie auch als Präsidentschaftskandidat gelang es Essebsi, mit einer einzigen Parole zu punkten: Er steht für den Kampf gegen den Einfluss von Islamisten. Im Gespräch mit der Wiener Zeitung erklärt der führende Islamist Arbaoui, warum dies trotzdem, die normalste Sache in der Welt der Demokratie sein kann.

"Wiener Zeitung": Sie wirken sehr gut gelaunt, nahezu erleichtert, obwohl Ihre Partei zuletzt herbe Niederlagen verdauen musste.Noureddine Arbaoui: In einer Demokratie, gerade in einer so jungen Demokratie wie jener Tunesiens, definiert sich ein echter Sieg nicht durch ein bestimmtes Ergebnis. Wir haben das Land in einer sehr schwierigen Periode regiert. Eigentlich ist es normal, dass solche Kräfte dann bei Wahlen auch einmal verlieren. Für uns bedeutet Erfolg, dass es in unserem Land geglückt ist, politische Normalität zu schaffen. Und dazu zählt eben, dass man eine Wahl gewinnt, die nächste verliert, dann vielleicht wieder gewinnt. Wir haben nach 2011 interimistisch die Macht übernommen, dafür gesorgt, dass der Übergang nach dem Sturz Ben Alis so reibungslos wie möglich verläuft, dass wir dem Land mit einer neuen Verfassung eine stabile Basis geben. Und es hat geklappt; ist doch ein guter Grund für gute Laune.

Trotz dieser Erfolge, von denen Sie sprechen, haben Ihre Landsleute nicht Ennahdha als stärkste Kraft im neuen Parlament bestätigt. Gestärkt wurden stattdessen eine politische Bewegung und deren Führer Essebsi, der sich als anti-islamistischer Schutzpatron inszenierte. Was lief falsch für Ihre Bewegung?

Wir haben uns die Stimmenbewegung der Parlamentswahlen sehr exakt angeschaut und dabei ist augenscheinlich, dass die Jugendlichen zu Hause blieben. Viele, die uns 2011 gewählt haben, kamen nicht mehr zu den Wahlurnen. So erklärt sich, warum wir bei den Parlamentswahlen von 51 Prozent auf ein Drittel der Stimmen zurückgefallen sind. Daran lässt sich überhaupt nichts beschönigen. Die Wirtschaft bietet den Jugendlichen nicht jene Chancen am Arbeitsmarkt, die sie sich erhofft hat. Ein Fünftel hat keine Arbeit. Doch es geht dabei nicht bloß um uns; eigentlich nicht einmal einzig um Tunesien. Der arabischen Jugend, die den Aufstand gegen die Diktatoren getragen hat, fehlt die Hoffnung. Hier muss sich die Politik dringend etwas überlegen.

Viele arabische Jugendliche wenden sich nun radikalen Bewegungen zu. Besonders in Tunesien, das mit 3000 Kämpfern die größte Gruppe unter den ausländischen Kämpfern des Islamischen Staates stellt. Ihre Gegner sagen, die Ennahdha-Partei hätte nicht genug zur Eindämmung des extremistischen Islamismus getan - im Gegenteil. Ihre Regierung musste nach Protesten sogar zurücktreten und im Jänner einer Übergangsregierung Platz machen.

Das ist ein Unsinn. Wir sind strikt gegen diese radikalen Gruppen aufgetreten, es gibt keine Verbindungen zwischen unserer Gruppe und Extremisten. Das ist ein Lügengebäude, um Angst zu schüren. Wir haben das Interesse des Landes vor unsere eigenen gestellt. Viele haben uns auch nicht zugetraut, dass wir einfach so die Macht abgeben. Ich glaube, wir haben als politische Bewegung unsere Reife bewiesen.

Ennahdha stammt wie die Partei von Ägyptens Ex-Präsident Mohammed Mursi aus dem Sammelbecken der Muslimbruderschaft.

Das stimmt so längst nicht mehr. Wir stehen für eine moderne, moderate Politik und haben uns von der Muslimbruderschaft verabschiedet.

Der Präsident Ihrer Bewegung, Rachid Ghannouchi, trat allerdings während seines Exils als Sprecher der internationalen Muslimbruderschaft auf.

Und als Vordenker einer Verbindung von politischem Islam und Demokratie. Das charakterisiert auch unsere Politik. Und wir haben auch von dem Beispiel Ägyptens gelernt. Dort haben die Muslimbrüder versucht, alleine zu regieren, wir suchten die Koalition mit anderen, säkularen Parteien und haben eine Verfassung erarbeitet, die zu den modernsten der arabischen Welt zählt. Dazu stellten wir auch keinen Kandidaten bei der Präsidentenwahl auf.

Bereuen Sie dies? Nun hat Ihr erklärter Widersacher nicht bloß die Mehrheit im Parlament, sondern ist auch Staatschef.

Wir werden mit jedem Präsidenten arbeiten, den das Volk wählt. Wir unterstützen den demokratischen Prozess in dem Land ohne Wenn und Aber.

Könnten Sie sich auch vorstellen, mit dessen Partei im Parlament eine Koalition einzugehen?

Die Hälfte der Abgeordneten, die Essebsis Partei Nida Tunis jetzt ins Parlament entsandt hat, war zuvor bei der Einheitspartei von Ben Ali Mitglied. Würden wir mit dieser Gruppe eine Koalition eingehen, würden wir mit jenen regieren, die uns früher eingesperrt und gefoltert haben. Zugleich wäre es für die Stabilität Tunesiens entscheidend, wenn die beiden größten Gruppen gemeinsam regieren würden. Wie wir vorgehen, werden die Parteigremien entscheiden. Wie, das weiß ich noch nicht, denn wir könnten auch wertvolle Arbeit in der Opposition leisten.