Zum Hauptinhalt springen

"Wir stehen mit leeren Händen da"

Von WZ-Korrespondentin Agnes Tandler

Politik

Armee duldete lange keine bewaffnete Macht neben sich. | Geld und Waffen gingen ans Militär. | Neu Delhi. "Er war verrückt nach Uniformen", sagt Duhal Faiz. Die 52-Jährige weint und zieht ihr buntes Kopftuch tiefer ins Gesicht, als sie ein Foto ihres Sohnes Rahil zeigt. Es zeigt einen jungen, drahtiger Mann, der stolz in Polizeiuniform posiert. Erst 42 Tage war Rahil auf der Polizeischule in Manawan, nahe der ostpakistanischen Stadt Lahore. Dann erschossen ihn Terroristen bei einem brutalen Anschlag auf die Schule Ende März. Rahil war 25 Jahre alt.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

"Wir wollten nicht, dass er Polizist wird", sagt Vater Mohammed. "Aber er war nicht zu bekehren. Er liebte die Uniform, das Protokoll, den Job bei der Regierung." Doch "es ist ein gefährlicher Beruf. Und man bekommt keinen Respekt." Der 55-Jährige lebt mit seiner siebenköpfigen Familie in einem grauen, engen Vorort von Lahore, nahe der Autobahn nach Islamabad. Er repariert Elektrogeräte. In der Glas-Vitrine im Wohnzimmer, wo sich die ganze Familie eingefunden hat, stehen zwei Küchen-Mixer wie kleine Sieges-Trophäen.

Fast jeden Tag sterben in Pakistan Polizisten im Einsatz, so wie Rahil. Sind die Ersten in der Abwehrkette gegen militante Extremisten, die dem ganzen Land den Kampf angesagt haben. Selbst Lahore, das lange relativ friedlich war, ist nicht mehr sicher. Bei einer dreisten Attacke auf das Cricket-Nationalteam von Sri Lanka starben Anfang März acht Menschen, sechs davon waren Polizisten.

So wie Tanvir Iqbal: Der 27-jährige Verkehrspolizist war nicht einmal bewaffnet, als er am Liberty Market im Herzen Lahores dem Mannschaftsbus der Sportler Geleitschutz gab. In Pakistan dürfen nur Polizisten im Offiziersrang eine Waffe tragen.

Iqbals Familie lebt außerhalb von Lahore in einer staubigen Siedlung nahe der Grenze zu Indien. Auch sein Bruder Nasir ist Polizist.

"Tanvir ging zum Training, aber er hatte keine Pistole. Hätte er eine Waffe gehabt, hätte er vielleicht etwas mehr ausrichten können", sagt Nasir über den Tod seines Bruders. "Wir haben einfach nicht die Ausrüstung, um Terrorattacken abzuwenden. Die Angreifer waren mit Raketenwerfern, Kalaschnikows und Handgranaten bewaffnet. Wir stehen mit leeren Händen da, aber das ist die Politik der Regierung", schimpft er.

200 Euro pro Monat

Pakistans Polizei ist nicht nur schlecht ausgerüstet, sondern auch schlecht bezahlt. Gerade einmal 20.000 Rupien in Monat (rund 200 Euro) erhält ein Polizist wie Tanvir im Schnitt pro Monat. Das macht sie zu billigem Kanonenfutter. Jahrzehnte lang haben Pakistans Herrscher das Geld und die Waffen lieber der Armee gegeben, die Polizei ging leer aus. Das mächtige Militär wollte keine bewaffnete Macht neben den Streitkräften hochkommen lassen. In Lahore sind ganze Stadtteile vollgestopft mit Kasernen, Militäranlagen, Armeesiedlungen und stattlichen Häusern für die höheren Ränge im Ruhestand. Bescheiden und fast schäbig nehmen sich dagegen die Polizeischule in Manawan und die Unterkünfte der Polizisten aus.

Dabei ist es die Polizei, die den Kopf im Terrorkampf hinhält. Die Armee, die jahrelang oft selbst die Extremisten unterstützt hat, tut sich mit der Bekämpfung des Feindes im Inneren schwer. Im Swat-Tal schauten tausende Soldaten monatelang tatenlos zu, wie die Taliban die Region übernahmen. Inzwischen haben sich die Extremisten in der früheren Urlaubsgegend festgesetzt und erobern schon andere Regionen.

Nur nicht ins Swat-Tal

Sie schüchtern dort die Polizei ein, die dann lieber gleich daheim oder in der Polizeiwache bleibt. Der Zusammenbruch der staatlichen Ordnung bewegt viele Einwohner dazu, aus Angst lieber Schutz bei den Islamisten zu suchen.

"Die Polizei ist eines der wirkungsvollsten, aber das am schlechtesten eingesetzte Werkzeug gegen Extremismus", sagt Robert Templer von der International Crisis Group in Brüssel. "Doch verglichen mit Militär- und anderen Hilfen macht internationale Unterstützung für die Polizei nur einen winzigen Teil aus. Die USA haben beispielsweise 2007 den pakistanischen Streitkräfte 731 Million US-Dollar an Hilfen gegeben, der Polizei hingegen nur 4,9 Millionen."

Hoffen auf ein Wunder

Es ist wenig angebracht, ein Hohelied auf Pakistans Polizei zu singen. Die Sicherheitskräfte sind alles andere als "Dein Freund und Helfer von Nebenan". Die Menschenrechtskommission von Pakistan wirft den Sicherheitskräften regelmäßig Folter, Erpressung, Einschüchterung, illegale Inhaftierung und Korruption vor. Weil Pakistans Polizei aus politischen Gründen weit oben in der Hierarchie auf der Provinzebene kontrolliert wird, sind die Städte und Regionen machtlos, ihre Kräfte zu reformieren oder gar zu kontrollieren.

"Was wir brauchen, ist eine Polizei, die den alltägliche Frieden auf der Straße sicherstellt", sagt Templer. "Damit gewinnt man viel leichter die Herzen und Seelen der Menschen als mit dem Bau von Brunnen und Schulen". Für die Einwohner in den von den Taliban eroberten Gebieten kommt dieser Rat zu spät. Sie können nur noch auf ein Wunder hoffen.