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Wir Supermarkt-Kassiererinnen

Von Christian Ortner

Gastkommentare
Christian Ortner.

Immer mehr Unternehmen lagern immer mehr Arbeit an ihre Kunden aus. Warum lassen wir uns das gefallen?


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In manchen Filialen einer großen heimischen Supermarkt-Kette ist gerade ein eher unwürdiges Schauspiel zu beobachten: Kassiererinnen, die nicht an der Kasse ihren Dienst verrichten, sondern Kunden dazu anlernen müssen, an Kassenautomaten zu bezahlen - die genau diese Kassiererinnen wegrationalisieren werden, sobald sich die Kundschaft an die neue Zahlungsweise gewöhnt hat. Was früher Dienstleistung hieß, wird immer mehr zu einer Leistung, die der Kunde gefälligst selbst zu erbringen hat. Nicht nur im Handel: Banken halten ihre Klienten zunehmend dazu an, von der Überweisung bis zum Kreditantrag selbst elektronisch zu erledigen, was früher ein Bankangestellter übernommen hätte, und bei Airlines ist es wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis die Fluggäste nicht nur das Check-in selber erledigen, sondern auch ihre Menüs in der automatischen Bordküche selbst aufwärmen und die Maschine betanken müssen.

Im Grunde ist das eine Art von versteckter Preiserhöhung quer durch die Branchen. Unternehmen wälzen Arbeit auf die Kunden ab und bieten somit zum selben Preis weniger Leistung (was eigentlich auch in die Inflationsrate eingerechnet werden müsste). Rechnet man zusammen, wie viel Zeit heute ein durchschnittlicher Konsument damit verbringt, Arbeit zu erledigen, die früher Mitarbeiter von Unternehmen übernahmen, kommt wahrscheinlich überraschend viel zusammen.

Wer je auch nur ein paar komplziertere Flüge und Hotelübernachtungen selbst gebucht hat, weiß, dass dafür schnell ein halbes Wochenende draufgeht. Und natürlich jede Menge Jobs: Denn das ist ja letztlich der Sinn der Übung. So hat erst jüngst Bank-Austria-Chef Willibald Cernko die Schließung von Filialen und den damit verbundenen Personalabbau damit begründet, dass "heute ja jeder seine Bankfiliale auf seinem Mobiltelefon in der Hose hat". Das stimmt zwar auf der einen Seite, deutet aber auch auf eine Marktlücke hin, die angesichts der allgemeinen digitalen Turbo-Rationalisierung immer größer wird, erstaunlicherweise aber kaum entsprechend bewirtschaftet wird: die gute alte Dienstleistung in höchster Qualität. Dass immer mehr Menschen Online-Banking nutzen, liegt nämlich nicht zuletzt daran, dass ihnen das Beratungsgespräch in der Filiale keine wirklich brauchbaren Erkenntnisse gebracht hat. Und das "Do-it-Yourself"-Check-in am Flughafen schätzt, wer weiß, wie herb die Behandlung durch das leibhaftige Bodenpersonal sein kann. Vermutlich würden gar nicht so wenige Menschen etwas happigere Kontogebühren akzeptieren - wenn sie dafür wirklich erstklassige Beratung erhielten. Sie fänden auch etwas höhere Preise im Supermarkt okay - wenn sie dafür etwa ihre Waren an der Kassen auch noch eingepackt bekämen, wie das in den USA Standard ist. Im Reisebüro würden sie durchaus eine ordentliche Gebühr dafür zahlen, dass ihnen ein Profi die Tickets und Hotels bucht, wie es ja da und dort auch schon heute möglich ist. Dass nicht mehr findige Entrepreneure diese Marktnischen nützen, liegt wohl auch daran, dass angesichts des massiv unternehmerfeindlichen Klimas in Österreich eine ordentliche Portion Wahnsinn nötig ist, um eine Firma zu gründen. Übernehmen wir halt alle in Zukunft auch noch den Job der Supermarkt-Kassiererin.