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Erstmals treten die arabischen Parteien Israels mit einer gemeinsamen Liste an. Sie könnte zur drittstärksten Kraft werden.
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Jerusalem. Der Ort wirkt improvisiert, und das hat seine Gründe. Erst vor einem Monat wurde aus diesen kleinen Büroräumen ein Wahlkampfbüro. Die Teppichböden alt und grau, der Putz an der Wand blättrig, das Licht der Neonröhren bissig grell in den niedrigen Zimmern, deren kleine Fenster kaum ausreichend Tageslicht hereinströmen lassen. "Zu vermieten" steht noch immer auf einer Plane, die neben der Eingangstür hängt. Die Zeit war knapp, und der Ort im Zentrum von Nazareth, der größten arabischen Stadt in Israel, war zu haben. Immerhin galt es die israelische Parteienlandschaft umzugestalten.
Wenn Israel am heutigen Dienstag ein neues Parlament wählt, soll von hier aus die drittgrößte Kraft in die Knesset einziehen: die Vereinigte Liste der vier arabischen Parteien, wovon eine, die linke Hadash-Partei, auch jüdische Politiker zu ihren Mitgliedern zählt. Es wäre eine Premiere. Knapp 20 Prozent der israelischen Bevölkerung sind Araber, und seit der Staatsgründung nehmen arabische Parteien an den Wahlen teil. Eine kritische Größe, um nachhaltig Einfluss im Parlament zu nehmen, hatten sie jedoch nie, bei den letzten Wahlen erreichte die stärkste von ihnen nur 3,65 Prozent.
Die arabischen Parteien blieben zersplittert. Ihr Spektrum reicht von islamischem Traditionalismus bis zu atheistischem Kommunismus. Scharen sie sich jedoch zu einer Liste zusammen, ist ein Minimum von zehn Prozent - und damit zwölf Sitzen - in Reichweite. Ayman Odeh, Anwalt in Haifa und der Vorsitzende der Vereinigten Liste, hofft auf noch mehr: "Unser Ziel sind 15 Sitze", sagt er. Damit wäre Odeh, käme es zu einer großen Koalition zwischen dem amtierenden Regierungschef Benjamin Netanjahu (Likud) und seinem Herausforderer Isaac Herzog (Arbeitspartei), der Vorsitzende der größten Partei außerhalb der Regierung - und damit Oppositionschef.
Es wäre ein beachtlicher Einstand für die "Vereinigte Liste". Aber auch so ist ihr Zusammenschluss eines der meist diskutierten Themen im aktuellen Wahlkampf. Noch nie zuvor einigten sich die Arabischen Parteien auf einen gemeinsamen Auftritt, und kaum je erschienen ihre zukünftigen Abgeordneten derart progressiv. Odeh ist Atheist, mit Aida Touma-Sliman und Hanin Zoabi haben aufgrund ihrer Listenplätze außerdem zwei Feministinnen ihren Sitz im Parlament auf sicher, ebenso der einzige jüdische Kandidat der Vereinigten Liste, Dov Khenin.
Eine Frage des Überlebens
"Der Wille des Volkes" lautet der Wahlslogan der Vereinigten Liste, und sie hat in der Tat gute Chancen bei den arabischen Wählern: Gingen in den vergangenen Wahlen jeweils kaum mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten an die Urne, werden es am 17. März laut Umfragen 70 Prozent sein - wenn nicht mehr. "Die rassistische Politik der Regierung Netanjahus und die Brutalität des Krieges gegen Gaza im Sommer 2014 haben den Ausschlag gegeben", sagt Odeh. "Die arabische Bevölkerung wünscht, dass wir mit einer Stimme sprechen." Tatsächlich hat insbesondere das sogenannte Nationalstaatsgesetz, das im vergangenen November von Mitgliedern des regierenden Likud vorgebracht wurde, für Entsetzen in der arabischen Bevölkerung gesorgt. Das Gesetz sah in seiner ursprünglichen Fassung vor, Arabisch als offizielle Sprache neben Hebräisch abzuschaffen und Jüdisches Religionsrecht als Grundlage für die Schließung von Gesetzeslücken zu erklären. Zwar blockierte der Bruch der bisherigen Koalition die Verabschiedung des Gesetzes, aber Odeh macht sich keine Illusionen: "Werden die rechtsgerichteten Parteien die Wahlen gewinnen, wird diese Politik fortgeführt werden", sagt er. Deshalb sei der Parteizusammenschluss ein derart bedeutender Schritt: "Boykottieren wir die Wahlen, werden andere Parteien die Sitze einnehmen. Wollen wir mit demokratischen Mitteln etwas ändern, müssen wir ins Parlament."
Die Kritik an der Regierung ist indes nicht der einzige Grund für den gemeinsamen Auftritt. Es ging für die Parteien ums Überleben. Im März 2014 hat die Knesset entschieden, das Quorum für den Parlamentseintritt von 2 auf 3,25 Prozent der Wählerstimmen zu erhöhen - ein Schritt, um die traditionelle Unberechenbarkeit des Parlaments einzudämmen, vor allem aber ein Versuch der rechten jüdischen Parteien, dem Eintritt arabischer Abgeordneten hohe Hürden zu setzen.
Im Blick hatten sie vor allem Hanin Zoabi, die 2009 als erste Frau einer arabischen Partei in die Knesset gewählt wurde. Für rechte Politiker ist Zoabi ein rotes Tuch: Sie nahm 2010 am Gaza-Konvoi an Bord der "Mavi Marmara" teil, fordert eine Verständigung mit der im Gaza-Streifen regierenden Hamas und verlangt das Ende des jüdischen Charakters Israels zugunsten eines staatlichen Zusammenschluss Israels und Palästinas ohne präferierten Nationalcharakter. Während Zoabi die aktuelle Regierung als "faschistisch" bezeichnet, werfen ihr Mitglieder des Likud Verharmlosung von Terror vor und versuchten wiederholt, sie aus dem Parlament zu suspendieren oder ihr das Antrittsrecht für die Wiederwahl zu verweigern. Erst letzten Monat hat der Oberste Gerichtshof einen Beschluss der Wahlkommission, Zoabi von den kommenden Wahlen auszuschließen, annulliert. Gegenüber der "Wiener Zeitung" bezeichnet sie den Vorstoß nicht als persönlichen Angriff, sondern als "Versuch, die Redefreiheit für Araber einzuschränken."
Am unteren Ende
Zoabis pointierte Haltung bringt ihr Sympathie entgegen auch aus jenen eher traditionellen Kreisen der arabischen Bevölkerung, die dem modern-säkularen Auftritt der 45-Jährigen ansonsten wenig abgewinnen können. "Israel muss sich entscheiden, ob es ein jüdischer oder ein demokratischer Staat sein will. Beides zusammen ist nicht zu haben, ohne die Rechte von Minderheiten einzuschränken." Den Palästinensern im Westjordanland gehe es durch die israelische Besatzung zwar schlechter, "aber immerhin anerkennt Israel sie als Palästinenser. Wir haben diese Selbstbestimmung nicht. Wir sind zwar Staatsbürger, aber unsere kulturelle Identität wird nicht anerkannt. Wir tauchen im Staat nicht auf - nicht in den Schulbüchern, nicht in den Medien, nicht einmal auf der Wetterkarte."
Identität, Selbstbestimmung, Minderheitsrechte - es sind nationale Anliegen, die die Vereinigte Liste zusammengeführt hat. Wie lange der Schulterschluss nach den Wahlen anhalten wird, bleibt ein Fragezeichen, zumal sich die Liste auch jüdischen Wählern öffnen will und ihre Werbeclips zur Wahlkampagne vor wenigen Tagen auch in Hebräisch veröffentlicht hat. "Wir sind nicht die einzige Gruppe, die im Staat unterrepräsentiert ist", sagt Odeh. Dasselbe gelte für jüdische Israelis mit orientalischer Herkunft, deren Eltern oder Großeltern aus dem Irak, Jemen oder Äthiopien in einen von russischen und europäischen Juden dominierten Staat eingewandert waren und sich seither am unteren Ende des sozialen Gefälles befinden.
"Die Hälfte des Staatsbudgets wird für Sicherheitszwecke verwendet, jedes Jahr fließen Milliarden in die Siedlungspolitik", so Odeh. Geld, das an anderen Orten fehle. Auch das gehört zu den Kernforderungen der Vereinigten Liste: ein Rückzug aus den besetzten Gebieten, das Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge von 1948 und die sofortige Wiederaufnahme mit Friedensgesprächen mit der Palästinenserführung in Ramallah. Forderungen, die auch Netanjahus Herausforderer Herzog, sollte er der nächste Regierungschef werden, so kaum erfüllen wird.
Auch wenn die Vereinigte Liste drittstärkste Kraft in der künftigen Knesset werden sollte, in der Regierung wird sie mit großer Wahrscheinlichkeit somit nicht vertreten sein. "Der letzte Premierminister, der auf die arabischen Parteien zuging, war Yitzhak Rabin", sagt Hanin Zoabi. "Und wir wissen, was daraus geworden ist." Er wurde vor zwanzig Jahren ermordet, durch die Kugel eines rechtsextremen jüdischen Fundamentalisten.
In Österreich lebende israelische Staatsbürger haben nicht die Möglichkeit, hier ihre Stimme abzugeben.
In der Alpenrepublik leben laut Statistik Austria insgesamt 1496 Personen israelischer Staatsangehörigkeit (Stichtag 1. Jänner 2014). Mit insgesamt 1290 israelischen Staatsbürgern hat sich die überwiegende Mehrheit (rund 86 Prozent) in Wien niedergelassen, weit dahinter folgt Niederösterreich mit 55 Personen. An dritter Stelle befindet sich Oberösterreich mit 28 Israelis. 2129 in Österreich ansässige Personen wurden in Israel geboren. Etwa 82 Prozent (1743) davon leben in Wien. Von 2009 auf 2010 stieg die Zahl der Zuzüge von 187 auf 195, die Zahl der Wegzüge sank. Auch 2012 sowie 2013 ist der Wanderungssaldo gestiegen.
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