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Wir tragen alle einen Griechen in uns

Von Engelbert Washietl

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Der Autor ist Sprecher der "Initiative Qualität im Journalismus"; zuvor "Wirtschaftsblatt", "Presse" und "Salzburger Nachrichten".

Dass sich die alten Hellenen gleich drei Rachegöttinnen hielten, muss Gründe haben. Sie nehmen ganz Europa zum Werkzeug ihres furiosen Tuns.


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Das Rache-Trio teilte sich vor ein paar Tausend Jahren die Arbeit auf drei Kostenstellen auf. Die Alekto war für unersättliche Jagdlust zuständig, die Megaira hatte den neidischen Zorn gepachtet und die Tisiphone war Spezialistin für Vergeltung. Das Potenzial reicht für die Rache des Hellenismus an Europa. Warum Rache? Vielleicht, weil ganz Europa zwar die griechische Kultur inhaliert und markttauglich gemacht hatte, aber bis ins 19. Jahrhundert brauchte, um die dankbare Begeisterung für das klassische Griechenland zu erfinden.

Jetzt haben wir den Salat. Wer sich noch erinnert, wie die Bewohner der nördlich der Linie Korfu-Istanbul anzunehmenden Zivilisation 2010 über die griechischen Freunde herfielen, als deren Verrat an Europas Grundprinzipien von Ehrlichkeit und haushälterischer Moral offenbar wurde, ahnt, dass dieser Zorn der Gerechten nicht allein mit einem Kulturgefälle zu erklären ist.

Die Ouzo-Brenner, Oliven-Züchter und Schafkäse-Kneter hatten offenbar eine empfindliche Stelle des europäischen Selbstbewusstseins getroffen. Die Empörung über das Schlechte im Nächsten ist dann am größten, wenn die Keime des Schlechten auch in den Empörten nisten.

Da haben sich doch der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (er war auch einer der Empörten) und seine Experten glatt um 55,5 Milliarden Euro verrechnet. Bei einer solchen Summe lässt sich schwer sagen, "das kann halt passieren". Innerhalb weniger Tage erweist sich der Rechenfehler als ansteckend - auch Irland hat sich um drei Milliarden geirrt. Spätestens seit den Hilfs- und Umschuldungspaketen für Griechenland rechnet offenbar überhaupt niemand mehr mit, weil mathematische Präzision den totalen Frust bereiten würde. Jetzt warten erfahrene Österreicher gebannt, wann es bei uns so weit sein wird. Vermutlich wird Österreich als erstes EU-Mitglied einen negativen Rechenfehler entdecken, also einen, der die Lage verschlimmert, während Deutschland und Irland ja großes Glück in den Abrechnungskolonnen erspäht haben.

Sind wir alle Griechen?

Am Mittwoch trat in Wien die Beamtenlohnrunde zusammen. Das wird ein Fest für Fritz Neugebauers Lebenswerk als Beamtengewerkschafter und für Gehaltserhöhungen, die mit der realen Situation der Staatsfinanzen nicht kompatibel sind. Ist die landesübliche Freude an einer wohl ausgestatteten Bürokratie wirklich so viel anders als die der Griechen, die die Schaffung einiger Zehntausend Jobs im Staatsdienst als Wahlgeschenk begrüßten? Und ist der Überraschungs-Coup des griechischen Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou mit der Volksabstimmung wirklich so anstößig, wenn in Österreich FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache eine "große Volksbefragung" gleichzeitig über Euro-Rettungsschirm, Solidaritätsabgabe, Wehrpflicht, Studiengebühren und Frühpension fordert? Wenn er sich durchsetzt, steht im Lande wirklich alles.

Also Vorsicht mit Generalverurteilungen. In uns sonstigen Europäern sitzt immer auch ein Grieche.