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"Wir überfordern uns ständig"

Von Andreas Unterberger und Walter Hämmerle

Politik

Morak: Demokratisch reifer Umgang mit Misstönen. | Österreich hat "breiten Blick in den Spiegel" geworfen. | Meinung über Österreich ist "realistischer" geworden. | "Wiener Zeitung": Das Gedankenjahr 2005 neigt sich langsam dem Ende zu - wie fällt Ihre Bilanz aus?


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Franz Morak: So wie wir das Gedankenjahr angelegt hatten: Als einen breiten Blick in den Spiegel der Republik, sich über die Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft des Landes Gedanken zu machen. Zu Anfang gab es die Befürchtung, die Regierung feiere nur sich selbst. Dies ist sicher nicht eingetreten. Und es stimmt, was in der "FAZ" oder der "Neuen Zürcher" über Österreich steht: Wir sind auf dem richtigen Weg und längst nicht mehr der Blinddarmfortsatz, sondern in der Mitte Europas. Mein Resümee ist: Die Österreicher haben heute ein anderes Selbstbewusstsein als noch vor 20 oder auch 10 Jahren.

Nur ein anderes oder auch größeres Selbstbewusstsein?

Wir sind sicherlich selbstbewusster geworden. Die stets sehr akzentuiert formulierte literarische Kritik an uns selbst - die in Österreich eine lange Tradition von Nestroy, Grillparzer, Kraus, Bernhard bis hin zu Menasse besitzt - trifft heute auf ein stärkeres Selbstbewusstsein und größere Gelassenheit. Die jüngere Generation hat einen unbelasteteren Zugang zur Vergangenheit nach dem Grundsatz Was wiegts, das hats. Das hat natürlich auch mit einen veränderten Blick auf die Welt zu tun, wir schwimmen längst nicht mehr im eigenen Saft.

Dass es zur Realisierung der zentralen Ausstellung "Das neue Österreich" im Wiener Belvedere der Hilfe von drei Privatpersonen bedurfte, ist kein Ruhmesblatt für die Regierung.

Für das Engagement von Hannes Androsch, Herbert Krejci und Peter Weiser bin ich sehr dankbar. Ihr Einsatz, der der Liebe zu diesem Land entspringt, hat mich persönlich beeindruckt. Und die Ausstellung, die letztlich ein gemeinsames Vorhaben war, ist zu einem großen Erfolg geworden.

Das Jahr war aber auch nicht ganz frei von Misstönen. Die beiden freiheitlichen Bundesräte Kampl und Gudenus haben mit ihren Geschichtsinterpretationen über Wochen die Schlagzeilen beherrscht.

Ich glaube, dass wir einen demokratisch reifen Umgang mit diesen Ereignissen gepflegt haben. Kampl ist nicht Bundesrats-Präsident geworden.

Haben die Kommentatoren in den in- und ausländischen Medien mit ihrer geharnischten Österreich-Kritik Recht gehabt?

Das war bisweilen ein stark akzentuierter Journalismus mit so manchen literarischen Überhöhungen.

Ist die Meinung über Österreich jetzt eine bessere?

Ich würde sagen: eine realistischere.

Anlässlich der österreichischen Bedenken in der Frage eines türkischen EU-Beitritts war das Bild eines rassistischen Landes mit unaufgearbeiteter Nazi-Vergangenheit bei internationalen Kommentatoren aber wieder rasch bei der Hand.

Angesichts der Ereignisse in Frankreich stellt sich unsere Skepsis geradezu als prophetisch heraus. Unsere Position ist heute fast Konsens. Was jedoch die Frage angeht, wie die österreichische Wirklichkeit in ausländischen Medien dargestellt wird, muss man sagen: Wir sind medial ein unbekanntes Wesen Europas, unsere Medien enden an den Landesgrenzen. Besserung bringt hier wohl erst die Digitalisierung des Fernsehens.

Klar ist aber auch: Wir überfordern uns ständig mit unseren eigenen Ansprüchen. Wir sind nur 8 Millionen Menschen - und das ist im internationalen Vergleich verdammt wenig.

Für welche Inhalte soll die Marke Österreich stehen? *

Hohe Standards bei Wirtschaft, Lebensqualität, Sozialem und Kultur - das zusammengenommen macht die Marke Österreich aus.

Und Mitteleuropa spielt überhaupt keine Rolle mehr?

Im Gegenteil. Der Stellenwert zeigt sich schon allein daran, wie wir mit unseren Nachbarn umgehen.

Wie passt die Wiederentdeckung der Neutralität in die Bilanz dieses Gedankenjahres?

Die Neutralität ist nun einmal fixer Bestandteil der österreichischen Identität. So lange es kein Substitut in Form einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik gibt, sollten wir es so belassen, wie es ist.

In einer Bilanz darf der "Austrokoffer" nicht fehlen.

Hier kann ich nur sagen: Der Unterschied zwischen Erfolg und Erregung ist enorm. Die erste Auflage von 5.000 Stück ist verkauft, eine zweite bereits in Druck. Aber natürlich wäre ich glücklicher, wenn alle Autoren und Autorinnen die Chance ergriffen hätten, darin vorzukommen.