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"Wir verbringen sehr viel Zeit mit Konfliktmanagement"

Von Stephanie Liechtenstein

Politik
Sajdik sieht seine Aufgabe in der Deeskalation.

Der OSZE-Sondergesandte für die Ukraine, der österreichische Botschafter Martin Sajdik, im Interview über die stockende Umsetzung der Minsker Vereinbarungen und die Lage im Konfliktgebiet in der Ostukraine.


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"Wiener Zeitung": Sie sind seit 2015 Sondergesandter des OSZE Vorsitzes für die Ukraine. Das heißt, Sie führen Verhandlungen für die OSZE in der Trilateralen Kontaktgruppe mit Vertretern der Ukraine, Russlands sowie der Separatisten über die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen. Wie muss man sich die Treffen in der Trilateralen Kontaktgruppe vorstellen?Martin Sajdik:Unsere gemeinsame Aufgabe ist die Umsetzung der Minsker Vereinbarung. Hinzu kommen noch das tägliche Management des Konfliktes und die Sicherstellung, dass sich der Konflikt nicht weiter ausbreitet. Diese Aufgaben erledigen wir im Sinne der Minsker Vereinbarung, die besagt, dass die Ukraine ein einheitliches Land bleiben soll. Das nimmt sehr viel Zeit und Mühen in Anspruch.

Wie gestaltet sich derzeit die Situation für die Zivilbevölkerung im Konfliktgebiet?

Im Vergleich zu anderen Konfliktherden im post-sowjetischen Raum hat der Konflikt in der Ostukraine zu einer sehr hohen Anzahl an Binnenflüchtlingen geführt. Derzeit gehen wir von 1,5 Millionen Binnenflüchtlingen aus, die immer wieder in das Konfliktgebiet zurückkehren, etwa um Verwandte zu besuchen oder nach ihren Häusern zu sehen. Es ist wichtig zu verstehen, dass die Kontaktlinie keinen historischen, ethnischen oder sprachlichen Grenzen folgt, sondern einfach durch die militärische Seite des Konfliktes entstanden ist. Diese militärische Linie führt durch urbanes Gebiet und reflektiert kaum die Topographie des Landes. Das führt zu großen Problemen etwa bei der Wasserversorgung für die Zivilbevölkerung, da das Wasser teilweise aus dem ukrainisch-kontrollierten Gebiet nach Donezk fließt. Das macht die Arbeit für uns besonders schwierig und führt dazu, dass wir sehr viel Zeit mit Konfliktmanagement verbringen.

Wie gelingt es, Vertrauen zwischen den Konfliktparteien herzustellen?

Wir haben im persönlichen Bereich ein akzeptables Verhandlungsklima. Wie wir in Minsk miteinander sprechen, stimmt allerdings häufig nicht mit dem überein, was dann an der Front passiert. Das Bittere ist, dass das, was wir in Verhandlungen in Minsk erreichen, häufig in der konkreten Umsetzung ein Problem darstellt.

Was muss getan werden, damit die Minsker Vereinbarungen umgesetzt werden? Wie sind die Konfliktseiten dazu zu bringen, sich über die Priorisierung der Schritte im Abkommen zu einigen? Kiew möchte Sicherheitsgarantien, Moskau hingegen einen politischen Dialog.

Die Minsker Vereinbarungen legen in den ersten Punkten eindeutige Priorität auf Sicherheitsfragen. Diese Sicherheitsfragen sind nicht gelöst, da es bisher keinen länger anhaltenden, nachhaltigen Waffenstillstand gibt. Gleichzeitig hat man aber begonnen, auch über die politischen Fragen zu sprechen und Wirtschaftsthemen sowie humanitäre Aspekte aufzugreifen. Die beiden Konfliktseiten legen unterschiedliche Prioritäten auf unterschiedliche Themen. Nach gelegentlich von ukrainischer Seite geäußerter Ansicht hätte man in Minsk nie über die politischen Punkte reden dürfen, da man zuerst alle Sicherheitsfragen hätte klären müssen. Das ist allerdings nur die Theorie. Ich stehe auf folgendem Standpunkt: Wenn man schon zulässt, dass politische, wirtschaftliche und humanitäre Themen verhandelt werden, obwohl ein nachhaltiger Waffenstillstand noch nicht erreicht wurde, so sollte man auch wirklich über alle Punkte reden. Das würde auch den letzten Punkt inkludieren, nämlich die Rückgewinnung der Kontrolle durch die Ukraine über die Grenze zu Russland. Dieser Punkt ist völlig offen, da darüber nicht geredet wird. Die Kontrolle über die Grenze ist dabei in der Realität nur ein Aspekt der Ausübung der staatlichen Souveränität über die - dann mit einem Sonderstatus ausgestatteten - ehemaligen "Separatistengebiete".

Haben Sie den Eindruck, dass die Konfliktseiten wirklich an einer nachhaltigen Lösung des Konfliktes interessiert sind?

Ich bin aus dem Konflikt bis heute nicht klug geworden. Wir dürfen nicht vergessen: Es handelt sich hier um Kräfte, die einander jahrhundertelang kennen. Man fragt sich, wozu brauchen sie einen Österreicher und meine Kollegen aus der Türkei, Frankreich, Deutschland und der Schweiz, um den Konflikt beizulegen? Aber sie brauchen uns, denn sonst würde die Situation weiter eskalieren. Sie sind miteinander verwoben, aber doch so verschieden.

Zur Person

Martin Sajdik

geb. 1949, war bis zu seiner Ernennung zum OSZE-Sonderbotschafter für die Ukraine der Ständige Vertreter Österreichs bei der UNO. Zuvor war der Jurist unter anderem österreichischer Botschafter in China und Russland.