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Föderalismus-Streit kocht seit 90 Jahren. | Verfassungsreform bisher gescheitert. | Experten: "Es fehlt der politische Wille." | Wien. Provisorien haben es an sich, dass sie oft viel länger halten als gedacht. Ein solches Provisorium stellte 1918 die aus der Konkursmasse der k.u.k. Monarchie erstandene Republik Österreich dar. Faktisch fußte der neue Staat auf einem Kompromiss - geschlossen zwischen den früheren Kronländern und der "Konstituierenden Nationalversammlung" in Wien. Produkt des Ringens war der föderative Bundesstaat, der 1920 verfassungsrechtlich verankert wurde und der bis heute bei vielen Verfassungsexperten und Politikern für Kopfzerbrechen sorgt. | Sieben Ministerien mit Familienleistungen befasst | Fußkilometergeld für spazierende Beamte | Wissen: Der Österreich-Konvent
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Hauptgrund ist die nach Ansicht vieler unverhältnismäßige Aufteilung der politischen Kompetenzen zwischen Bund und Ländern - freilich unter Begünstigung Letzterer. Den beschließenden Abgeordneten von 1920 war dieses Machtgefälle bewusst, auch "dass dem Verfassungsentwurf Mängel von nicht geringer Gewichtigkeit anhaften", wie es etwa der christlich-soziale Politiker Ignaz Seipel in einer Rede im Parlament formulierte. Der Entwurf enthalte "nichts über die Grund- und Freiheitsrechte der Bürger" sowie keine Kompetenzabgrenzungen "in der Frage des Schul-, Erziehungs- und Volksbildungswesens", sagte Seipel. Auch finde er "eine Lücke in Bezug auf die Regelung der finanziellen Auseinandersetzung zwischen dem Bunde, den Ländern und den Gemeinden".
In dieselbe Kerbe schlug auch der SPÖ-Parlamentarier Robert Danneberg: "Wir Sozialdemokraten verhehlen uns nicht, dass die Verfassung, die da vor uns liegt und nun Beschluss werden soll, nur ein Stückwerk ist", das "den Namen einer Verfassung gar nicht verdient".
"Nur keine Schritte"
Dass das "Stückwerk" 1920 dennoch verabschiedet wurde, rechtfertigten die Politiker mit dem Argument, der erzielte Kompromiss sei immer noch besser als keine Verfassung. "Man muss mit den Realitäten rechnen", erklärte dazu Seipel.

Tatsächlich hat sich die Realität zwischen Bund und Ländern seit rund 90 Jahren nicht verändert. An ihr gescheitert ist zuletzt auch der Österreich-Konvent, dessen Vorschläge für eine Verfassungsreform bis jetzt von der Politik nicht umgesetzt wurden. "Der Konvent wäre in fachlicher Hinsicht schon geeignet gewesen, allein der politische Wille hat gefehlt", erinnert sich der damalige SPÖ-Chefverhandler und jetzige Volksanwalt Peter Kostelka im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". An eine Verfassungs- oder Föderalismusreform glaubt er nicht. "Die politischen Interessen sind massiv, daher wird es nur kleine Schritte geben", meint Kostelka.
Kaum Chancen für eine Veränderung sieht auch der ehemalige Rechnungshof-Präsident und Konvent-Verhandler Franz Fiedler. Auch wenn man sich 2005 nicht über alle Themen habe einigen können, so seien dennoch die Vorausbedingungen "sehr positiv" gewesen. "Bis 2008 ist weiterverhandelt worden, nur umgesetzt wurde nichts", betont Fiedler. "So aber hat der Bund das Match schon verloren."
Überbürokratisierung
Geht es nach ihm, hätten sich die Abgeordneten 1920 für einen Einheitsstaat und nicht für den Föderalismus entscheiden sollen, erklärt der Ex-Präsident. "Das wäre rückblickend besser gewesen, so wurde das unbefriedigende Verhältnis nur perpetuiert." Und: "Wenn sich etwas einmal überlebt hat, dann muss man es als überlebt betrachten."
Die Konsequenzen dieses seit über 90 Jahren schwelenden Streits zu spüren bekommen neben dem Fiskus vor allem die Steuerzahler, zeigen sich Fiedler und Kostelka überzeugt. Wegen teurer Extra-Touren der Bundesländer würde der Staat unter Überbürokratisierung leiden, die dem Konsumenten jährlich 1,1 Prozent des BIP, also 3,3 Milliarden Euro koste, sagt Fiedler. Motto: "Der Bund zahlt und die Länder schaffen an."
Was aber nicht bedeutet, dass sich SPÖ und ÖVP in den letzten Jahren nicht um eine Lösung im Kompetenzstreit bemüht hätten. Allerdings verliefen die Vorstöße für eine Staats- und Verwaltungsreform im Sand. Die Kritik an den Zuständen ist nicht neu. Auch die Wortwahl nicht. "Dieses Gesetzespaket ist nur ein Stückwerk", urteilte der BZÖ-Abgeordnete Herbert Scheibner im Jahr 2007. Ein Provisorium eben.