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"Wir verlieren Vorbildfunktion"

Von Peter Wötzl

Wirtschaft
Josef Weixelbaum, Marcella Prunbauer-Glaser, Gerhard Benn-Ibler und Rupert Wolff (v. l.) vom Rechtsanwaltskammertag sorgen sich um die Justiz. Foto: Örak

Fehlentwicklungen in Rechtspflege und Verwaltung. | Warnung vor den Budget-Giftzähnen. | Wien. Der österreichische Rechtsanwaltskammertag (Örak) ist gesetzlich beauftragt, jährlich einen Wahrnehmungsbericht über Fehlentwicklungen in der Rechtspflege und der Verwaltung vorzulegen. Darin sind Berichte und Beobachtungen von Rechtsanwälten angeführt. Heuer geht der aktuelle Bericht über Einzelfälle hinaus. Die Rechtsanwälte orten insgesamt eine systematisch überforderte Justiz.


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"Es ist einiges im Gange, das uns Sorge bereitet", sagte der Präsident des Rechtsanwaltskammertages, Gerhard Benn-Ibler am Montag. Im Fokus stehen diesmal vor allem die Begutachtungsfristen bei Gesetzen. Begutachtungsverfahren sind wichtige Instrumente, aber vielfach sind sie gar nicht mehr vorgesehen oder die Fristen sind so kurz, dass eine Begutachtung gar nicht mehr möglich ist, so Benn-Ibler. So blieben etwa für das Budgetbegleitgesetz nur drei Wochen Zeit. Benn-Ibler: "Es braucht seine Zeit, um vernünftige Stellungnahmen abzugeben."

"Verstoß gegen das Verfassungsrecht"

Beim Budget habe sich die Regierung ohnehin nicht an die in der Verfassung vorgesehenen Fristen gehalten. "Die Verfassung sieht keine Sanktionen vor, aber das heißt nicht, dass es nicht wirksames Verfassungsrecht ist. Das ist nicht gut für die Vorbildfunktion", so der Örak-Präsident. Benn-Ibler befürchtet zudem, dass durch die Fülle der Gesetzesänderungen noch gar nicht alle "Giftzähne" im Budgetbegleitgesetz bemerkt worden seien.

Auch für das Universitätsgesetz waren ursprünglich Anfang Dezember nur vier Tage zur Begutachtung vorgesehen. Schließlich wurde die Frist jetzt bis 20. Dezember verlängert.

Kritik setzt es auch an den Sparbestrebungen der Regierung. Laut einer Untersuchung des Europarats aus dem Jahr 2008 decken Österreichs Gerichtsgebühren zu 110,9 Prozent die Kosten der Justiz, mehr als in jedem anderen Land Europas. Im Budgetbegleitgesetz sollen sie erneut erhöht werden, gleichzeitig werde das Justizbudget um 1,4 Prozent gekürzt. Für die Bevölkerung werde damit der Zugang zur Justiz erschwert, das bedeute "ein Minus in der Rechtsstaatlichkeit", so Benn-Ibler.

Abgelehnt wird die Abschaffung einer verhandlungsfreien Zeit. Benn-Ibler dazu: "Im Sommer sind Zivilverfahren nicht sinnvoll durchführbar. Alle sind auf Urlaub."

Fallbeispiele

In ihrem am Montag präsentierten Wahrnehmungsbericht hat der österreichische Rechtsanwaltskammertag Fälle unzumutbarer Wartezeiten und überlanger Verfahrensdauer, unbesetzter Gerichtsabteilungen oder gesprächsverweigernder Staatsanwälte dokumentiert. Im Folgenden zwei Beispiele, die teilweise schon ins Anekdotenhafte gehen.

Überlange Verfahrensdauer. Ein Rechtsanwalt erhob für seinen Mandanten im Februar 2004 gegen ein Disziplinarerkenntnis der Disziplinarkommission für Soldaten beim Bundesministerium für Landesverteidigung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (VfGH). Das Verfahren wurde aber beim Verwaltungsgerichtshof (VwGH) weitergeführt. Erst mit Schreiben vom 21. 1. 2010 (mehr als vier Jahre nach Verbesserung der Beschwerde) wurde das Vorverfahren eingeleitet und der belangten Behörde die Aktenvorlage aufgetragen. Diese Zeitspanne erschien dem Rechtsanwalt gegenüber seinem rechtschutzsuchenden Mandanten zutreffenderweise äußerst bedenklich und so hakte er beim VwGH nach. Dieser teilte ihm mit, "es liege im Ermessen des Referenten, wann er das Vorverfahren einleite" und "es gebe ältere Verfahren und außerdem sei die Behörde ja ohnehin an keine Frist gebunden".

Versperrtes Gerichtsgebäude. Vom Bezirksgericht Graz Ost war eine Verhandlung für den 10.11. 2010 um 17 Uhr am Bezirksgericht Graz West ausgeschrieben worden. Als der Rechtsanwalt mit der Geschäftsführerin seines Mandanten um 16.50 Uhr am Gerichtsgebäude eintraf, waren sämtliche Türen verschlossen. Auf ein Klingeln reagierte niemand. Es konnte dann festgestellt werden, dass im Zimmer, das direkt am Eck links neben dem Eingang gelegen ist, noch zwei Beamtinnen anwesend waren. Diese reagierten zuerst auf ein Klopfzeichen nicht. Schließlich wurde doch das Fenster geöffnet. Unter Vorweisen der Ladung ersuchte der Anwalt um Einlass. Es wurde wörtlich entgegnet: "Wir arbeiten hier nur noch. Wir machen Überstunden. Wir machen nicht auf. Sie müssen schaun, wie Sie reinkommen." Auch das Ersuchen, mit der Verhandlungsrichterin Kontakt aufzunehmen, wurde von den Beamtinnen abgelehnt. Erst als ein Richter das Gerichtsgebäude verließ, konnte der Anwalt mit seiner Mandantin in das Gebäude, sodass sie noch rechtzeitig zur Verhandlung erscheinen konnten. Die Verhandlungsrichterin erklärte, dass es immer wieder Probleme mit den Öffnungszeiten gäbe, zumal seitens der Justizverwaltung eine längere Besetzung der Schleuse abgelehnt wurde.