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"Wir vollziehen hier nur ein Gesetz"

Von Katharina Schmidt

Politik

Asylwerber dürfen Erstaufnahmestelle bis zu sieben Tage nicht verlassen. | Lokalaugenschein in Traiskirchen. | Franz Schabhüttl, Leiter des Asyllagers, fordert im Interview Überarbeitung der Genfer Konvention.


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Traiskirchen. Eigentlich wollte Regierungsrat Franz Schabhüttl heute Heidelbeeren sammeln gehen. Der drohende Regen wird ihn wohl davon abhalten, sagt der Leiter der Betreuungsstelle Ost. So steht es zumindest auf seiner Visitenkarte, besser bekannt ist die Erstaufnahmestelle für Asylwerber unter dem Namen ihres Standorts: Traiskirchen. Dort gilt, wie auch in der zweiten großen Erstaufnahmestelle des Bundes im oberösterreichischen Thalham, seit 1. Juli die Anwesenheitspflicht für Asylwerber, die nach heftiger Kritik in "Mitwirkungspflicht" umbenannt wurde.

Das Verwaltungsgebäude auf dem 1896 als "k.u.k. Kadettenschule" errichteten Areal wird gerade saniert - von außen. Drinnen hat es nach wie vor den Charme einer Kaserne, abgenutzt und praktisch. Im Besprechungsraum, wo Landkarten die vergilbten Wände zieren, zieht Schabhüttl einen Monat nach Einführung der Mitwirkungspflicht eine erste Bilanz: "Wenn ein Asylwerber etwas vom Staat will, dann kann man sich erwarten, dass er auch selbst seinen Beitrag leistet und da ist."

Nach der Erstbefragung bekommen Asylwerber eine rote Karte, an der man sofort erkennt, dass sie unter die Mitwirkungspflicht fallen. Die Information darüber stehe in 36 Sprachen zur Verfügung. Fünf Tage lang dürfen die Asylwerber dann die Erstaufnahmestelle nicht verlassen, bei Bedarf kann diese Frist um zwei Tage verlängert werden, was aber bisher nicht notwendig gewesen sei, sagt Schabhüttl.

Und prinzipiell können die Asylwerber ohnehin das Gelände verlassen, wie er unermüdlich betont. "Wir vollziehen hier nur ein Gesetz", man halte niemanden fest. Am Lagereingang werde notiert, warum der Besitzer der roten Karte das Lager verlässt - ohne Konsequenzen für das Asylverfahren. Nur wer von der Polizei außerhalb des Lagers aufgegriffen wird, laufe Gefahr, in Schubhaft genommen zu werden. Bis dato sei das nicht vorgekommen.

"Perverses Spielchen der Schlepper"

Eine weitere noch junge Verschärfung aus 2010 ist die Altersfeststellung mittels Röntgen, die manche Asylwerber über sich ergehen lassen müssen. Minderjährige genießen im Asylverfahren besonderen Schutz, daher machen sich laut Schabhüttl viele jünger, als sie sind. Der älteste "Minderjährige" sei 54 Jahre alt gewesen. "Das ist Betrug, ein perverses Spielchen, das ihnen ihr Schlepper einredet."

"Geist der Konvention passt heute nicht mehr"

Laut dem Leiter der Erstaufnahmestelle kommt nämlich "niemand ohne Schlepper nach Österreich". Und das zu organisieren, brauche es Zeit und Geld - "wer arm und am Leben verfolgt ist - das sind so viele wie noch nie -, der kommt nie und nimmer nach Europa, weil er Geld und Zeit nicht hat". Daher fordert Schabhüttl eine Evaluation der Genfer Flüchtlingskonvention und eine Anpassung an die neuen Gegebenheiten. "Der Geist der Konvention passt heute überhaupt nicht mehr." Es gehe aber nicht darum, sie aufzuweichen: "Nicht, dass Sie denken, ich wäre herzlos."

Abgeklärt trifft es wohl eher. Beim Rundgang durch das 10,5 Hektar große Areal merkt man ihm an, dass Schabhüttl den Job schon seit mehr als 20 Jahren macht. "Man muss für sich selbst etwas finden, dass es einem nicht unter die Haut geht", sagt er.

426 Personen leben gerade auf dem Areal, mehr als 480 dürfen es nach einer Abmachung der damaligen Innenministerin Maria Fekter mit Landeshauptmann Erwin Pröll aus 2010 nicht sein. Früher waren oft mehr als 1000 Personen hier untergebracht - was bei der lokalen Bevölkerung immer wieder zu Ärger geführt hat. So erzählt etwa eine junge Frau im Einkaufszentrum, dass sie früher ständig angeflirtet worden sei. Mittlerweile sei die Situation aber besser.

Die meisten der Asylwerber in Traiskirchen sind junge Männer, die in kleinen Gruppen herumstehen und gelangweilt Musik hören oder sich gedämpft unterhalten. Es gibt einen Spielplatz, ein Haus für unbegleitete Minderjährige und eines nur für Frauen. Vor dem Infopoint tummeln sich die meisten Menschen. Dort gibt es seit Einführung der Mitwirkungspflicht einen Kiosk, wo die wichtigsten Dinge verkauft werden. Zigaretten zum Beispiel. In der Turnhalle daneben wird gerade trainiert. Boxen, Tischtennis und ein wenig Krafttraining, mehr zu tun haben die Männer hier nicht. Richtig Spaß auch nicht. In Traiskirchen wird nicht gelacht.

So geht es auch in der Außenstelle des Bundesasylamts ernst zu. Dort finden unter anderem die Erstbefragungen statt. "Man stumpft ab mit der Zeit", sagt Andreas Ratkivic von der Polizei Traiskirchen, Und: "Es ist nicht anzuraten, sich in die Geschichten persönlich zu vertiefen." Sein Kollege versucht gerade, einem Asylwerber zu erklären, warum er seine Verwandten nicht nach Wien mitnehmen darf.

"Everything okay, everything okay"

Als der Rundgang beendet ist, kommen gerade Asylwerber neu an. Vater, Mutter, drei Kinder. Ihr ganzes Hab und Gut ist in einer kleinen Reisetasche verstaut. Die Erwachsenen wirken erschöpft, starren in die Luft, ein Kind quengelt. Mit Asylwerbern zu sprechen, ist verboten, das geht nur außerhalb der Anlage. Dort sitzt eine Gruppe junger Inder. Einer kann ein bisschen Englisch. "Everything okay", sagt er. Drei Mal.

Wenig später beginnt es zu regnen. Regierungsrat Franz Schabhüttl wird heute wohl keine Heidelbeeren mehr sammeln.