Jahrelang sicherten die Einnahmen durch die Pflichtveröffentlichungen im Amtsblatt den redaktionellen Betrieb.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 1 Jahr in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Vom Abteilungsleiter für die Abwicklung der Zentralmatura über einen neuen wirtschaftlichen Geschäftsführer für das Naturhistorische Museum bis hin zum Verkauf von schwerem Gerät des Bundesheeres. Jegliche bundesgesetzlich angeordneten Verlautbarungen müssen bis 30.6.2023 im Amtsblatt der "Wiener Zeitung" abgedruckt und anschließen online zur Verfügung gestellt werden. Neben Gesetzen und ausgeschriebenen Stellen betrifft das auch Insolvenzen, Jahresbilanzen, oder auch Tabak-Preiskundmachungen. Auch die Kundmachung über das Ende der täglich gedruckten "Wiener Zeitung" findet sich in der Ausgabe vom 19. Mai dieses Jahres. Das neue WZEVI-Gesetz besagt, dass all diese Veröffentlichungen ab 1.7.2023 auf einer neuen elektronischen Verlautbarungs- und Informationsplattform (EVI) stattfinden sollen. Einnahmen, die laut Martin Fleischhacker, dem Geschäftsführer der "Wiener Zeitung GmbH", zuvor zwischen 80 und 90 Prozent der Gesamterlöse des Hauses generiert haben, fallen nun weg. Und damit auch die Finanzierung der ältesten noch erscheinenden Tageszeitung der Welt.
Wirtschaftsvertreter begrüßen das Ende der Kostenpflicht für Pflichtveröffentlichungen in Papierform. "Diese Pflichten belasten die österreichischen Unternehmen und sonstigen Rechtsträger, die zu derartigen Veröffentlichungen gesetzlich verpflichtet sind, erheblich. Zuletzt mit 19 Millionen Euro pro Jahr, wie den Materialien zu entnehmen ist", schrieb die Wirtschaftskammer Österreich in ihrer Stellungnahme zum mittlerweile ohne wesentliche Änderungen beschlossenem Gesetzesentwurf.
Einen Teil dieser Summe stemmten große Unternehmen wie die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB), die Banken Bawag, Raiffeisen International, Erste Bank, der Lebensmittelkonzern Spar aber auch der Verbund. Jährlich wurde von ihnen jeweils ein niedriger sechsstelliger Betrag für das Veröffentlichen der Jahresbilanzen bezahlt. Und auch kleine Unternehmen kamen nicht herum, für die Gründung einer GmbH oder einer Löschung mindestens 40 Euro jährlich hinzublättern. So viel betrug die Grundvergütung, fünf Zeilen Veröffentlichungstext inklusive. Für jede weitere Zeile wurden sechs Euro fällig. Aber auch dieser Mindestbetrag sorgte bei vielen Unternehmen für Ärger, wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Amtsblatt-Redaktion erzählen.
Wegen 40 Euro Gewalt angedroht
"Die Unternehmen sind sehr skeptisch, wenn sie da eine Rechnung zugeschickt bekommen, ohne, dass sie einen Vertrag abgeschlossen haben. Manche haben sich wahrscheinlich nicht mehr daran erinnern können, dass sie das bei der Gründung einer GmbH mitunterschrieben haben", sagt der Leiter der Amtsblatt-Redaktion Harald Wegscheidler. In seinen rund 20 Jahren als Chef sei das regelmäßig vorgekommen. "Wir haben ihnen dann immer gesagt, dass sie hier bei der falschen Stelle anrufen, weil wir nur das ausführende Organ der gesetzlich verpflichtenden Einschaltungen sind." Ein Anrufer ging sogar so weit, dass er Gewalt androhte. "Der hat dann gesagt, dass er mein Gesicht gegoogled hat und dass er mir einen Holzprügel über den Schädel zieht, wenn ich das Haus verlasse", sagt Wegscheidler. Auch kam es vor, dass das Team der Amtsblatt-Redaktion relevante Inhalte vorab wusste, über die am nächsten Tag berichtet werden würden.
"Bei einem Siemens-Deal, der dann aber doch nicht zustande kam, haben wir eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben müssen", sagt der Chef des Amtsblattes. Ein anderes Mal wurde sogar der Druck am Abend nach hinten geschoben, weil noch ein Deal abgewickelt werden musste. Das Skurrilste hatte laut Wegscheidler aber mit einer Vereinsauflösung zu tun. "Die Vereine, die sich aufgelöst haben, mussten damals bei uns eine Schaltung tätigen und damit dann später zum Vereinsregister gehen, um den Eintrag dort zu löschen. Und damals hat sich der Verein der Abstinenten Eisenbahner aufgelöst", erzählt der langjährige Amtsblatt-Chef.
Miterlebt hat das auch Karl Koller, der sich im April nach 50 Dienstjahren im Haus in die Pension verabschiedete. Nach seinem Ausscheiden kümmerten sich bis zuletzt sieben Personen um die Produktion des Amtsblattes. Zwei davon sind von den Kündigungsmaßnahmen betroffen, bei zwei läuft die Befristung noch für ein Jahr und drei Personen bleiben dem Unternehmen erhalten. Insgesamt sollen ab dem 1. Juli fünf Personen die neue elektronischen Verlautbarungs- und Informationsplattform (EVI) betreuen.
In der politischen Debatte wurde oftmals der Konflikt mit dem EU-Recht als Ausgangslage für ein neues Gesetz ins Treffen geführt. Weil im Jahr 2019 auf europäischer Ebene ein Digitalisierungspaket mit dem Ziel "Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger zu stärken und Nachhaltigkeit und Wohlstand in einer menschengerechten digitalen Zukunft sichern" beschlossen wurde, waren die politisch Verantwortlichen hierzulande der Meinung, dass die Pflichtveröffentlichungen vereinfacht werden müssten. Die Richtlinie 2019/1151 verlangt die Möglichkeit, dass es für Unternehmen einfacher und kostengünstiger werden müsse, ausschließlich online zu gründen und auch weitere zu veröffentlichende Unterlagen online einzureichen.
EU-Gesetzgebung als einfachste Ausrede
Im 26 Absatz der Richtlinie findet sich allerdings auch folgende Passage: "Um eine Störung der bestehenden Verfahren zur Offenlegung zu vermeiden, sollte es den Mitgliedstaaten freistehen, Informationen zu Gesellschaften auch ganz oder teilweise im nationalen Amtsblatt zu veröffentlichen, wobei sichergestellt sein muss, dass die Informationen vom Register elektronisch an das nationale Amtsblatt übermittelt werden. Diese Richtlinie sollte die nationalen Vorschriften über den rechtlichen Stellenwert des Registers und die Rolle des nationalen Amtsblatts nicht berühren."
Das Ende der gedruckten "Wiener Zeitung" ausschließlich auf die europäische Gesetzgebung zu schieben, sei laut dem ersten Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments, Othmar Karas (ÖVP) zu einfach. "Es wäre sehr billig, die EU zum Sündenbock machen zu wollen. Alle Beteiligten wussten seit Langem: Früher oder später hätte das Finanzierungsmodell der "Wiener Zeitung" durch Pflichteinschaltungen ohne Zweifel ersetzt werden müssen. Es ist allerdings hanebüchen, zu behaupten, dass das ein Grund für das Ende der "Wiener Zeitung" als gedruckter Tageszeitung hätte sein müssen", sagt der EU- Spitzenpolitiker Karas.
Der erste Vizepräsident des EU-Parlaments hält das Ende der gedruckten Tageszeitung auch demokratiepolitisch für problematisch. "Medienvielfalt und Medienfreiheit sind Säulen der liberalen Demokratie und die "Wiener Zeitung" ist nicht nur die älteste Tageszeitung Österreichs und der Welt - sie ist allen voran ein exzellentes journalistisches Produkt. Ich sehe sie in der österreichischen Medienlandschaft als unverzichtbar an und werde sie als Abonnent auch persönlich vermissen", so der ÖVP-Europapolitiker.
Diesen Artikel finden Sie in Printform am 30. Juni 2023 – ein letztes Mal – in Ihrer "Wiener Zeitung".