Der neue Kern der SPÖ: Mit seiner Welser Rede gibt Christian Kern der Sozialdemokratie eine neue Richtung - und wischt Dogmen beiseite, Leistungsgedanke wird forciert. | Kerns "Plan A" zum Download.
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Wels/Wien. Die zweistündige Rede von Bundeskanzler Christian Kern in Wels war mit Spannung erwartet worden, und der Bundeskanzler enttäuschte diese Erwartung nicht. Kern will Österreich erneuern und beginnt damit bei seiner Partei. "Die Veränderung muss bei uns selbst beginnen", forderte er. "Wir haben unseren Weg verlassen, nicht die Menschen. Ich möchte mich für die Enttäuschungen, die wir als Sozialdemokratie bereitet haben, bei allen entschuldigen", sagte er.
Inhaltlich räumt er etliche Dogmen beiseite, etwa in der Bildungspolitik. Der freie Zugang zu Universitäten wurde von ihm in Frage gestellt. Kern will aber keine Studiengebühren, sondern eine Leistungsselektion für die Unis, sprich: Aufnahmeprüfungen. Nach der Volksschule soll jeder Schüler ein Tablet erhalten, auf dem die Schulbücher gespeichert sind. Und Bildung soll künftig in einem Ministerium gebündelt werden. Zudem will er das Wahlrecht in Richtung Mehrheitswahlrecht umbauen, die stärkste Partei soll zusätzliche Mandate erhalten. "Wir sind zuversichtlich, nach der nächsten Wahl die Nummer 1 zu sein", sagte Kern im Vorfeld der Rede.
Sein Versprechen: Bis 2020 sollen 200.000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden, ein Drittel der Regulierungen für Unternehmen gestrichen werden.
Auch soziale Gerechtigkeit definiert Kern neu. So soll der Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen, der immer noch bei etwa 22 Prozent liegt, geschlossen werden. Auch die Spaltung des Arbeitsmarktes will Kern bekämpfen. "Die Kluft zwischen jenen, die fixe Jobs haben, und jenen, die in prekären Arbeitsverhältnissen sind, muss kleiner werden." 1,5 Millionen Arbeitnehmer in Österreich arbeiten derzeit Teilzeit. Kern fordert nun einen Mindestlohn von 1500 Euro für Vollzeitarbeit im Rahmen eines Generalkollektivertrages.
Wesentliche Neuerungen sollen aber den Sozialversicherungen bevorstehen, vor allem den Krankenkassen. "Die medizinischen Leistungen müssen vereinheitlicht werden", fordert Kern. Das wird wohl bedeuten, dass die Unterschiede zwischen Selbständigen und Unselbständigen aufgehoben werden. Auch etliche Betriebskassen, wie jene der Eisenbahn, könnten in Gebietskrankenkassen eingegliedert werden. Es wäre dies die größte Veränderung im Gesundheitswesen. Aber auch bei den Ärzten soll es eine Vereinheitlichung geben, die je nach Bundesland unterschiedlichen Honorarordnungen sollen harmonisiert werden. Kern will aber auch die beträchtlichen Rücklagen der Sozialversicherungen dem Gesundheitssystem zugänglich machen. Die liegen immerhin bei 3,7 Milliarden Euro, davon etwa 2,5 Milliarden in liquider Form. Sie sollen bei schweren Erkrankungen herangezogen werden können, um die damit verbundene Armutsfalle zu entschärfen.
Wirtschaftsverfahren österreichweit einheitlich
Die Gesetzgebung der Landtage soll abgeschlankt werden. In den wirtschaftsnahen Bereichen soll es künftig nicht mehr neun, sondern nur noch eine, österreichweite, Regelung geben. Das betrifft die Bauordnung genauso wie das Gewerberecht. "Es hat keinen Sinn, die Bundesländer abzuschaffen", sagte Kern. "Wir müssen aber die Wirtschaftsverfahren vereinheitlichen."
Insgesamt will er die SPÖ auf wesentliche Themen konzentrieren: "Es hat keinen Sinn, den Mond anzubellen." Beim Thema Integration etwa ist das zweite Kindergartenjahr viel wichtiger als die Kopftuch-Debatte. Der Kritik am Establishment will Kern ein "Östablishment" gegenüberstellen: "Wir geben Wähler, die sich von der Sozialdemokratie abgewandt haben, nicht kampflos auf." Sein Programm, das in den kommenden Tagen und Wochen heftig diskutiert werden dürfte, nennt er eine "Palastrevolution". Die Veränderung des politischen Systems Österreichs steht hinter seinem "Plan A" (wie Austria).
Insgesamt soll das in acht Kapitel gegliederte Programm 8,5 Milliarden Euro kosten, aber Mehreinnahmen von 8,7 Milliarden Euro bringen, also aufkommensneutral sein. Ein Beispiel sind etwa die Ankurbelung des sozialen Wohnbaus und zusätzliche Kapitalstützungsmaßnahmen für Firmen-Neugründungen, sprich: Start-ups. Da kommen Versicherungen, Abfertigungs- sowie Pensionskassen ins Spiel. Die haben etwa 100 Milliarden Euro zu veranlagen, in einem recht rigiden Schlüssel in Anleihen und Aktien. Eine Milliarde davon soll für Risikokapital für Start-ups gewidmet werden, Kern will etwa 80 Prozent davon mit Bundesgarantie ausstatten. "Wir haben ein Start-up-Paket in Höhe von 185 Millionen bereits beschlossen, das reicht bei Weitem nicht." Da das Zinsumfeld derzeit alles andere als erfreulich ist, sind die Versicherungen durchaus bereit, in diesem Bereich zu investieren.
Auch für sozialen Wohnbau soll es eine Tranche aus diesem (privaten) Veranlagungsvolumen geben, da vor allem in den Ballungszentren dringend Wohnraum geschaffen werden muss. Das Geld würde von Wertpapieren umgeschichtet werden und wäre daher ohne zusätzliche Subvention machbar. In ersten Reaktionen zeigt sich die Versicherungswirtschaft auch von diesem Plan durchaus angetan.
Keine Alternative zur Neuausrichtung der SPÖ
Auf die 1500 Funktionäre der SPÖ, die in Wels der Rede lauschten, kommt nun einige Arbeit zu. Es gilt, die Partei in vielen Bereichen neu auszurichten und Kerns Botschaft weiterzutragen. Widerstand ist nicht zu erwarten.
Das "Programm für Sicherheit, Wohlstand und gute Laune", wie es Kern nennt, soll in Teilen mit dem Koalitionspartner ÖVP bis Herbst 2018 umgesetzt werden.
Vor allem aber will Kern, der seit Mai 2016 SPÖ-Vorsitzender und Bundeskanzler ist, damit die politische Themenführerschaft wiedererlangen. Und damit vor allem die FPÖ entzaubern.
Beispiel Energie <p>Förderungen sollen effizienter eingesetzt werden. Derzeit wird der Ausbau erneuerbarer Energie mit zirka 800 Millionen Euro gefördert, großteils über Zuschläge auf den Strompreis. Davon gehen etwa 300 Millionen in Biomasse- und Biogasanlagen, die vor allem der Landwirtschaft zugutekommen. Kern will nun diese Förderung auf eine Milliarde Euro erhöhen, die Förderungen aber versteigern - zum Zug sollen Projekte kommen, die einen möglichst effizienten Wirkungsgrad erzielen. Dadurch - so die Rechnung - könnte die Energieerzeugung Österreichs vervierfacht werden. Diese enorme Menge würde den Preis sinken lassen, von Ersparnissen bis zu 500 Millionen Euro ist die Rede. Vor allem die Industrie würde davon profitieren, die Voestalpine beklagt seit längerem die hohen Energiepreise. Daneben sollte sich auch die Forschung auf Energieeffizienz ausrichten und unterstützt werden. An den Universitäten sollen zehn Cluster für den Energie- und Umweltbereich für technologischen Fortschritt in dieser Frage sorgen. Start-ups in diesem Bereich werden in der Folge erwartet.