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Kukes · Die Vergewaltigung geschah nicht nur aus Grausamkeit oder Begierde. Die Serben hatten vorher angekündigt, sie würden Drita vergewaltigen, um sie zu schwängern. "Einer von ihnen sagte: ,Wir
werden alle albanischen Frauen schwängern'", erinnert sich Drita, die eigentlich anders heißt. Sie sitzt in Kukes in dem zerfledderten Zelt, das sie seit ein paar Tagen bewohnt, und erzählt von der
Vergewaltigung vergangene Woche. Drita ist eine der wenigen albanischen Frauen, die bereit sind, über die Vergewaltigung durch Angehörige serbischer paramilitärischer Verbände zu sprechen. "Es ist
eine Geschichte, die jeder in der Welt hören soll", sagt Drita.
Drita stammt aus dem Dorf Dragaqine, Dragocina auf Serbisch, das die Serben in der vergangenen Woche überfielen. Die jungen albanischen Männer flohen, die Alten wurden von den Angreifern weggebracht.
Es blieben die Frauen und Kinder aus drei Dörfern in der Gegend, 350 Menschen insgesamt. Die bewaffneten Serben hätten sie drei Tage lang in überfüllte Räume in den Häusern des Dorfes eingesperrt,
erzählt Drita. Tagsüber hätten die Frauen Brot backen und Fleisch zubereiten müssen. Am Abend hätten die Serben Feuer angezündet und gesungen. Und in der Nacht seien sie dann gekommen.
Sie sei weggeführt und von vier Männern vergewaltigt worden, sagt Drita. Ein fünfter Mann habe sie nicht angerührt. Er habe aber verlangt, sie solle lügen und seinen Freunden sagen, er hätte sie
vergewaltigt. Wie viele andere Frauen in dem Dorf vergewaltigt worden seien, wisse sie nicht, erzählt Drita. Ganz gewiß aber seien es mehr als die drei, die ihre Geschichte den psychologischen
Betreuern des UNO-Kinderhilfswerkes Unicef erzählt haben.
In der Nacht ihrer Vergewaltigung seien auch andere Frauen weggeführt worden, berichtet Drita: "Sie haben später erzählt, sie hätten nur Kaffee kochen und Kartoffeln schälen müssen. Doch niemand ist
dahingebracht worden, um Kaffee zu bereiten oder zu kochen".
Auch Unicef-Sprecherin Penelope Lewis glaubt, daß weitere Frauen aus Dragaqine vergewaltigt wurden. Sie hat mit vielen Frauen aus dem Dorf gesprochen, seit sie am Montag freigelassen und deportiert
wurden. "Wir konnten es an ihren Stimmen hören, wie sie sprachen, daß sie uns nicht alle die Wahrheit sagten", berichtet Lewis. Durch die allgemeine Tabuisierung des Themas litten die Opfer noch
zusätzlich.
Die Frauen erführen keine Solidarität, sondern würden geächtet. "Die wenigen Frauen, die bereit sind, ihre Geschichte zu erzählen, sind unglaublich mutig", erklärt Lewis. Drita sagt, sie hoffe immer
noch, daß ihr Mann nichts von der Vergewaltigung erfahre. Einige Frauen aus ihrem Dorf seien wütend auf sie, weil sie das gemeinsame Geheimnis nicht bewahrt habe.