Krieg, Energiekrise, Teuerung: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schwört Europa auf schwierige Zeiten ein.
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Der Krieg in der Ukraine, die dadurch verursachte europäische Energiekrise und der Klimawandel - all das stand im Mittelpunkt der Rede zur Lage der Union, die Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen am Mittwoch im EU-Parlament hielt. In der ersten Reihe saß auf einem Ehrenplatz - ganz in weiß gekleidet - Olena Selenska, die Ehefrau des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. "Wir stehen an Ihrer Seite", stellte die Hausherrin in Straßburg, EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola in ihren Begrüßungsworten klar, es folgte Applaus von den Rängen der EU-Abgeordneten.
Von der Leyen wies zu Beginn ihrer Rede auf den Krieg in Europa hin, dessen "Grausamkeit und Brutalität" deutlich geworden sei. In der Tat entdecken ukrainische Soldaten im Zuge ihres Vormarsches überall Spuren mutmaßlicher russischer Kriegsverbrechen. Die Erschießungen in Butscha, einem Vorort von Kiew, waren kein Einzelfall.
Von der Leyen hob die europäische Einigkeit und Solidarität im Angesicht des russischen Angriffs hervor. Es habe nicht, wie in der Vergangenheit, lange Debatten gegeben, die EU habe diesmal "geeint, unmittelbar und entschlossen" gehandelt.
"Sanktionen bleiben"
Allerdings, so von der Leyen, stünde Europa jetzt vor einer "schwierigen Zeit". "Wir werden geprüft." Und sie ließ keinen Zweifel daran, dass sie vor diesem Hintergrund eine umfassende Reform der EU anstrebt. Es gehe um die Verteidigung grundlegender Werte, um die Zukunft, um den Kampf Autokratie gegen Demokratie. "Putin wird scheitern, die Demokratie siegen", lautet für von der Leyen die Parole. Die Ukraine habe den Mut, gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin aufzustehen. Es handle sich um "Helden", die einen Kampf "Haus um Haus, Straße um Straße" führten. Von der Leyen kündigte an, noch am Mittwoch nach Kiew fahren und mit Präsident Selenskyj reden zu wollen. Dabei soll es um den Aufbau zerstörter Schulen und darum gehen, wie die Ukraine nach und nach in den europäischen Binnenmarkt integriert werden kann.
Die Sanktionen, die die EU gegen Russland verhängt hat, erwiesen sich als höchst effizient, unterstrich die Kommissionschefin. Der russische Bankensektor sei zu großen Teilen "abgekoppelt", die Produktion sinke. Fast 1.000 internationale Unternehmen hätten das Land bereits verlassen. Das russische Militär habe keine Chips mehr für seine Waffen und müsse diese Teile aus Küchengeräten ausbauen - "die Industrie liegt am Boden". Für von der Leyen ist klar: "Die Sanktionen werden bleiben."
Abseits davon wird die EU auch mit der finanziellen Unterstützung der Ukraine fortfahren. 19 Milliarden Euro seien schon bereitgestellt worden, da seien die Militärhilfen noch nicht dabei. Und der Aufbau der Ukraine werde mit Sicherheit "sehr teuer".
Brüssel will ganz konkret Anrufe und SMS ohne Zusatzkosten in die Ukraine ermöglichen. Die Ukraine soll in die EU-Zone für kostenloses Roaming aufgenommen werden.
Große Umverteilung
Die Lehre, die aus all dem zu ziehen ist, liegt für von der Leyen auf der Hand: Man hätte auf die, die immer schon vor Putin warnten - Polen, Balten, Georgier - hören sollen. Jetzt aber gehe es darum, die Abhängigkeit von Russland abzustellen. Vor allem im Energiebereich soll diversifiziert und mehr von den USA und Norwegen bezogen werden. Darüber hinaus müssten sich die Europäer "an die neue Realität anpassen". Auf der einen Seite sei der Energieverbrauch zu Spitzenzeiten verpflichtend um fünf Prozent zu senken. Dafür sollen die EU-Länder Anreize schaffen. Von der Leyen präsentierte dann einen Vorschlag, wonach Energieunternehmen, die jetzt Milliarden-Euro-Gewinne machen, einen Teil dieser Profite der Allgemeinheit zur Verfügung stellen müssten.
Sie kündigte einen Gesetzesentwurf gegen die hohen Energiepreise an. "Unser Vorschlag wird mehr als 140 Milliarden Euro für die Mitgliedstaaten bringen, um die Not unmittelbar abzufedern", sagte von der Leyen.
Die Idee besteht darin, dass die enormen Gewinne vieler Stromproduzenten an Verbraucher umverteilt werden. Der Strompreis wird derzeit vom hohen Gaspreis getrieben und auch Produzenten von billigerem Strom - etwa aus Sonne, Wind, Atomkraft oder Kohle - können diesen zu den hohen Preisen verkaufen. Firmen, die Elektrizität nicht aus Gas herstellen, sollen einen Teil dieser Gewinne abgeben.
Laut einem Entwurf könnten Einnahmen ab 180 Euro pro Megawattstunde an den Staat gehen. Aus diesem Geld sollten die Entlastungsmaßnahmen finanziert werden. Aber auch Gas- und Ölkonzerne sollten von der Leyen zufolge ihren Beitrag leisten. Laut dem Entwurf sollen sie auf Profite des laufenden Jahres, die 20 Prozent über dem Durchschnitt der vergangenen drei Jahre lagen, eine Solidaritätsabgabe von 33 Prozent zahlen.
Die Zeit drängt, die Energieminister der Mitgliedsländer wollen bereits am 30. September über die Gesetzesvorschläge der Kommission entscheiden. Das wird nicht leicht, denn noch liegen die Positionen hier weit auseinander.
Fehleinschätzung mit Folgen
Laut von der Leyen werde darüber hinaus an einer langfristigen Reform des Strommarktes gearbeitet. Sie zitierte in diesem Zusammenhang die Ölkrise der 1970er-Jahre, wo als Gegenmaßnahme Energie gespart, aber nicht erkannt worden wäre, dass die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern die Wurzel des Problems sei. Den Preis für diese Fehleinschätzung "zahlen wir heute noch". Dänemark aber habe durch den Ausbau der Windenergie gezeigt, wie es anders gehe und damit auch Jobs geschaffen. Der "große Wandel" hin zu alternativen Energien habe jedenfalls begonnen. Es gehe um einen "Grünen Pakt" für Europa, um gegen die Klimakrise vorzugehen.
Abseits davon mahnte von der Leyen zur demokratiepolitischen Wachsamkeit. Sie wies darauf hin, dass ausländische Autokraten über "diverse Forschungsinstitute" in der Europäischen Union versuchen würden, "unsere Demokratie zu unterminieren".Vor allem die Chinesen geben Studien in Auftrag, die etwa das brutale Vorgehen gegen die Uiguren im eigenen Land verharmlosen. "Trojanische Pferde dürfen wir nicht zulassen", meinte von der Leyen - und beendete ihre Rede mit einem "lang lebe Europa".