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"Wir werden nie wie ihr"

Von Walter Hämmerle

Politik
© wz / mozi / fotolia / plrang

Die Welt aus dem Blickwinkel Amerikas - ein Gespräch mit dem US-Politikexperten Mark Kennedy.


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Wien/Washington. Es gibt nicht viel, vor dem sich die USA fürchten, eine Sache aber jagt den Vereinigten Staaten Schauer über den Rücken: "Der schlimmste Fall wäre die Entstehung einer asiatischen Handelsunion statt einer pazifischen", sagt Mark Kennedy. Im ersten Fall würde China den Ton angeben, im zweiten die USA - für Washington ein Unterschied wie zwischen Tag und Nacht.

Kennedy weiß, wovon er spricht. Der ehemalige republikanische Kongressabgeordnete und Handelsberater der Regierungen von George W. Bush und Barack Obama ist heute Dekan der Graduate School of Political Management an der George Washington Universität in Washington D.C., einer der renommiertesten Ausbildungsstätte für künftige Eliten. Die "Wiener Zeitung" hat Kennedy in Wien getroffen und mit ihm über die USA, Asien und Europa gesprochen.

Alles strategische Denken der westlichen Supermacht kreist um China. "China mag größer sein als die USA", meint Kennedy, "aber es wird niemals größer sein als TPP." Das Kürzel steht für transpazifische Partnerschaft, ein noch kümmerliches Freihandelsabkommen, das lediglich Brunei, Chile, Neuseeland und Singapur umfasst, mit dem Washington jedoch große Pläne hat. TPP soll der Anker sein, der auch künftig den Einfluss der USA in dieser boomenden Region sichert. Derzeit laufen Verhandlungen mit elf Staaten, darunter Japan, Australien, Malaysia, den Philippinen, Vietnam und Peru.

Chinas Gegenprojekt hört auf den Namen FTAAP (Free Trade Area of the Asia-Pacific) - und selbstredend verfolgt China damit die Absicht, den eigenen Einfluss zu maximieren und jenen der USA so gering wie möglich zu halten. Wer in dem Ringen um die Vorherrschaft in der Region die Oberhand behalten wird, ist heute noch nicht abzusehen.

Welche Rolle spielt Europa in diesem globalen Rennen um Marktanteile und Einfluss?

Schlechte Botschaften in nette Worte zu packen, zählt nicht zu den Stärken selbstbewusster US-Amerikaner, also formuliert es Mark Kennedy so: "Wie lange ist Europa jetzt in der Krise, bald zehn Jahre, oder? . . . Ihr habt eine alternde Bevölkerung, die Veränderung ablehnt . . . Ja, ihr seid unser bester Freund und unser ältester Verbündeter, deshalb wollen wir auch das transatlantische Freihandelsabkommen mit euch. Aber stellt euch vor, wir machen ein transpazifisches Abkommen und kein transatlantisches, was wird dann aus Europa?"

Kein TTIP (so lautet das Akronym für Transatlantic Trade and Investment Partnership)? In Europa, wo vehement von Parteien und NGOs gegen das Freihandelsabkommen mobilisiert wird, würden viele jubeln. Die Folgen für Europas globalen Einfluss sind da noch nicht berücksichtigt.

Auch in den USA sei die öffentliche Meinung oft ablehnend gegenüber Freihandelsabkommen, merkt Kennedy an. Aber mit entschlossener politischer Führung ließen sich diese dann doch umsetzen.

Apropos US-Innenpolitik: Die extreme Polarisierung zwischen den Demokraten von US-Präsident Barack Obama und den Republikanern, welche die Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses haben, hält Kennedy für vorübergehend: "Immer, wenn die politischen Mehrheiten sehr knapp sind, sind die Konfrontationen besonders hart." Das Erstarken der "Tea Party", des extremen Flügels der Republikaner ist für ihn eine Reaktion auf die Politik Obamas, des "wohl liberalsten Präsidenten in der US-Geschichte".

Dass viele Europäer dem politischen Denken in den USA, vor allem aber den Überzeugungen der Republikaner kritisch gegenüberstehen, überrascht Kennedy, den bekennenden Konservativen, nicht, obgleich er zugesteht, dass "Europäer besser über Amerika Bescheid wissen als Amerikaner über Europa". Die in Europa häufig vertretene Ansicht, dass die politische Rechte in den USA radikale Positionen vertrete, kann Kennedy nicht nachvollziehen, vielmehr ist in seinen Augen das politische Koordinatensystem in Europa aus dem Gleichgewicht: "Warum gibt es hier keine Konservativen?", fragt er.

Europa scheue davor zurück, sich unangenehmen Wahrheiten zu stellen, so Kennedy. Restriktive Arbeitsgesetze würden die Schaffung neuer Jobs verhindern, doch niemand würde dies offensiv thematisieren. Dass umgekehrt das US-Modell schlecht bezahlter Jobs für schlecht ausgebildete Menschen für die meisten Europäer keine verlockende Perspektive ist, kann wiederum Kennedy nicht verstehen. "Wir Amerikaner glauben an die Freiheit - wissen Sie, was das Gegenteil von Freiheit ist? Die Gleichheit von Ergebnissen und Erfolg - das ist das Rezept der Europäer."

Sollte es tatsächlich zu einem transpazifischen aber zu keinem transatlantischen Freihandelsabkommen kommen, werde Europa zu einer einsamen Insel verkommen - alternd, ohne Vitalität und zunehmend unbedeutend. "Europa braucht dringend jemanden, der ihm wieder das große Bild vor Augen führt, ansonsten wird es zu einem Fall für die Geschichtsbücher", ist Kennedy überzeugt.

Die meisten Europäer sähen es wohl lieber, wenn nicht Europa wie die USA würde, sondern sich Amerika an Europa angleichen würde. "Vergiss es", sagt dazu Mark Kennedy, "das wird nicht passieren."

Mark Kennedy, geboren 1957, Abgeordneter im US-Repräsentantenhaus 2001 bis 2007, ist heute Direktor für Politisches Management an der George Washington Universität und Mitglied im "Council on Foreign Relations", er beriet die US-Regierung in Handels- und Wirtschaftsfragen und arbeitete in der Privatwirtschaft.