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"Wir wollen ein Teil von euch sein"

Von Valentine Auer

Politik
"Wir haben bemerkt, dass es extrem viel Solidarität gibt", sagt Vorstandsmitglied Sina Farahmandnia. Benjamin Storck

Der Verein "Vielmehr für alle" setzt seit 2012 Integrationsprojekte in den Bereichen Bildung, Wohnung und Arbeitsmarkt um. Eine Bilanz.


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Wien. Außenministerin Karin Kneissl warnt davor, dass eine "Migrationskrise 2016 nicht zur Integrationskrise 2018" werden dürfe und Innenminister Herbert Kickl (beide FPÖ) kündigt eine erneute Verschärfung des Fremden- und Asylrechts an. Er selbst spricht von einem "vollziehbaren und restriktiven Fremdenrecht". "Sozialpolitik in Kombination mit Rassismus". So nennt Sina Farahmandnia die derzeit stattfindende Politik. Er ist Vorstandsmitglied des Vereins "Vielmehr für alle". Ein Verein, der seit mehr als fünf Jahren als zentrale Anlaufstelle für viele Geflüchtete gilt und weiter daran arbeiten will ausschließenden Maßnahmen auf politischer Ebene mit einschließender Flüchtlingsarbeit zu begegnen.

2012 lag der Fokus mit dem Projekt "Prosa - Schule für alle" im Bildungsbereich. Mittlerweile wurde das Angebot laufend an den Bedarf der Geflüchteten angepasst: Projekte in den Bereichen Wohnen, Arbeitsmarkt und Teilhabe folgten. Eine Bilanz. Amin (Name von der Redaktion geändert, Anm.) war einer der drei ersten Prosa-Absolventen. 2012 floh er von Somalia nach Wien. Damals war er 17, seine somalische Matura wurde nur zu Teilen anerkannt. Zusätzliche Prüfungen konnte er mit Hilfe von Prosa nachholen. Mittlerweile unterrichtet Amin Mathematik in der "Schule für alle" und studiert seit 2015 an der Wirtschaftsuniversität Wien. "Zu Beginn war es nicht einfach wegen der Sprache. Jetzt geht es aber bergauf. Ich hoffe in zwei oder drei Semestern abschließen zu können", sagt er.

Amin ist einer der insgesamt 180 Absolventen und Absolventinnen, die die Prosa-Schule seit Bestehen abgeschlossen haben. Für viele von ihnen gäbe es kaum andere Weiterbildungsmöglichkeiten. Denn für junge Asylsuchende, die älter als 15 Jahre alt sind, entfällt die allgemeine Schulpflicht. Prosa wollte diese staatliche Lücke schließen und Bildung für alle zugänglich machen - unabhängig von Aufenthaltsstatus oder Herkunft. Gleichzeitig ist es nur eine von mehreren Lücken, die vom Trägerverein Vielmehr für alle versucht wird zu schließen.

"Es ging von Anfang an darum, Teil einer menschengerechten Gesellschaft zu sein. Wir haben bald festgestellt, dass alle Jugendliche Integration wollen - in dem Sinne, dass Österreicher und Nicht-Österreicher an der Gesellschaft teilhaben. Das wird auch permanent laut gefordert, aber wenn die Leute isoliert in Wohnheimen sind, nicht arbeiten dürfen, nicht ins Bildungssystem kommen, gibt es keinen Rahmen dafür", erklärt Farahmandnia die Motivation des Vereins. So kamen durch die Bedürfnisse der Geflüchteten und speziell der Prosa-Absolventen weitere Projekte hinzu.

Die Vermittlung von Geflüchteten in Wohngemeinschaften im Rahmen des Projekts "Flüchtlinge Willkommen" entstand, da volljährige Jugendliche betreute Unterkünfte verlassen müssen. Speziell im "Sommer der Migration 2015" hat sich herausgestellt, dass es zu wenig leistbaren Wohnraum in Wien gibt. Der Zulauf zum Projekt stieg, mittlerweile wurden 500 Geflüchtete in Wohngemeinschaften vermittelt. Im Rahmen des Projekts "work:in" konnten seit Bestehen 2016 40 Jugendliche in eine Lehrstelle vermittelt werden. Außerdem gibt es derzeit neunzig Buddies, die Geflüchtete in ihrem Alltag unterstützen.

Fehlende antirassistische Konzepte

All diese Projekte finden im Rahmen einer zunehmend restriktiveren Asyl- und Integrationspolitik statt, die durch eine Zunahme der Geflüchteten argumentiert wird: So stieg die Zahl der Asylanträge in Österreich laut Innenministerium von 28.000 im Jahr 2014 auf 89.000 im Jahr 2015. Seitdem nimmt diese Zahl jedoch stetig ab, während der Trend einer restriktiveren Politik anhält. 2016 suchten 42.000 Personen um internationalen Schutz an, 2017 waren es 24.000.

Das macht sich auch in der Wiener Grundversorgung bemerkbar: Derzeit befinden sich 18.800 Asylbewerber sowie Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte in der Grundversorgung der Bundeshauptstadt. Zur gleichen Zeit 2016 waren es knapp 86.000. Laut Sina Farahmandnia ging das Ansteigen der Asylzahlen mit einer politischen Änderung einher. Geflüchtete und Integrationsarbeit waren lange kein zentrales Thema der Innenpolitik, seit 2015 ist das Thema Zentrum der politischen Debatte: "An den Migrationsbewegungen und der Reaktion der österreichischen Innenpolitik wurde deutlich, dass es in Österreich keine antirassistischen Konzepte gibt, die von den Wählern ernst genommen werden."

Auch "Vielmehr für alle" bekam das Ansteigen der Geflüchteten, die nach Österreich kamen sowie die restriktivere Asylpolitik zu spüren: "Wir haben bemerkt, dass es extrem viel Solidarität gibt. Das ist das prägendste, das wir mitbekommen haben", sagt Farahmandnia. Von staatlichen Kürzungen, mit denen seit der schwarz-blauen Regierung Vereine vermehrt zu kämpfen haben, ist "Vielmehr für alle" nicht betroffen, da sie bisher keine Bundesförderungen erhalten haben: "Ich glaube, dass man sich eine adäquate Finanzierung von der öffentlichen Hand nicht erwarten kann und das ist auch der Grund, wieso es uns gibt", erklärt Farahmandnia.

In Zukunft will "Vielmehr für alle" die gemachten Erfahrungen auch für andere zugänglich machen. Nicht nur um an die politisch Verantwortlichen zu appellieren, sondern auch um jene zu organisieren, die sich engagieren wollen. Zusätzlich gilt es auch in Zukunft die Probleme in Österreich anzusprechen: "Das Problem ist eine Sozialpolitik in Kombination mit Rassismus. Der Rassismus hat den Zweck soziale Rechte zu minimieren und Menschen, nämlich die allerschwächsten in der Gesellschaft, ganz auszuschließen. Daher wird es künftig darum gehen, diesen Ausschluss zu verhindern und einen Einschluss zu betreiben. Es wird weiterhin darum gehen, Wohnungen und Arbeitsplätze zu organisieren sowie Bildungsplätze zu ermöglichen", erklärt Farahmandnia.