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"Wir wollen kein Gesetz"

Von Petra Tempfer

Politik
Das Hepatitis-C-Virus greift die Leber an. Ein neues Medikament verspricht Heilung.
© Corbis/Carol & Mike Werner/Visuals Unlimited

Die Pharmaindustrie protestiert gegen Zwangsrabatte für die Kassen. Diese sprechen von einer inszenierten Empörung.


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Wien. Seit Mai verhandeln Pharmawirtschaft und Hauptverband der Sozialversicherungsträger über einen neuen Rahmenvertrag, der die Höhe des freiwilligen Beitrags der pharmazeutischen Industrie an die Krankenkassen regelt. Denn der alte Vertrag läuft mit Ende des Jahres aus - und die Zielvorstellungen beider Beteiligten klaffen noch immer weit auseinander. Obwohl es bereits Mitte Juli ein erstes Verhandlungsergebnis gab, scheint erneut kein Ende in Sicht.

Am Montag wurde daher Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser (SPÖ) aktiv und schickte einen Entwurf für die Novelle des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) in Begutachtung, der Zwangsrabatte für die Pharmaindustrie vorsieht: Diese muss demnach von 2016 bis 2018 je 125 Millionen Euro an Rabatten zur Unterstützung der Leistungsfähigkeit der Sozialversicherung gewähren. Insgesamt sind das 375 Millionen Euro. Österreich würde sich damit an Deutschland und der Schweiz orientieren, wo es bereits gesetzliche Solidarbeiträge gibt.

Die Pharmaindustrie ist entsetzt. "Wir wollen keine Zwangsrabatte per Gesetz, sondern einen weiterhin freiwilligen Solidaritätsbeitrag", sagte Robin Rumler, Präsident des Verbandes der pharmazeutischen Industrie (Pharmig), am Mittwoch. Und: Beiträge von 125 Millionen Euro seien unverhältnismäßig hoch und standortschädigend. Die geplante ASVG-Novelle sei verfassungswidrig.

"Vernebelung von Tatsachen"

Die Pharmig sowie der Fachverband chemische Industrie der Wirtschaftskammer (WKO) halten den Entwurf für ein Druckmittel des Hauptverbandes. Die Kassen hatten zuletzt genau diesen Betrag als Finanzierungssicherungsbeitrag für 2016 gefordert. Darauf habe man sich beim ersten Verhandlungsergebnis Mitte Juli auch geeinigt, sagt Josef Probst, Generaldirektor des Hauptverbandes, zur "Wiener Zeitung". Es hatte aber offensichtlich innerhalb der Pharmawirtschaft keine Zustimmung gefunden. Denn diese bietet nun für heuer 100 Millionen Euro, hieß es am Mittwoch. Von 2011 bis 2015 waren es 18 Millionen Euro jährlich.

Ingrid Reischl, Obfrau der Wiener Gebietskrankenkasse, formuliert es drastischer: "Die inszenierte Empörung der Pharmabranche gepaart mit unseriösen Anschuldigungen gegen die Sozialversicherung zeigt, dass die Branchenvertreter versuchen, mit allen Mitteln die Tatsachen zu vernebeln." Denn die Sozialversicherungen hätten die Vorgabe, dass die Medikamentenkosten im Schnitt um maximal drei Prozent im Jahr steigen dürften. Und diesen Wert habe man "mit astronomischen Medikamentenpreisen" zum Teil massiv überschritten.

Aus dem Gesundheitsministerium heißt es: "Das Defizit der Kassen schlägt sich eins zu eins auf das Defizit des Gesamtstaates nieder. Und die Arzneimittel haben kausal mit dem Defizit der Kassen zu tun."

Kernpunkt der Diskrepanz ist also die Höhe der Medikamentenkosten. Mit mehr als drei Milliarden Euro jährlich machen diese laut Hauptverband ein Drittel der Gesamtausgaben aus. Der Rest verteile sich auf Ärzte und Spitäler. Im zweiten Halbjahr 2014 lagen die Steigerungsraten bei den Medikamenten bei 9,4 Prozent. Für das heurige Jahr rechnet der Hauptverband mit 7,2 Prozent.

Pharmaindustrie und WK kommen allerdings auf nur fünf Prozent. Und hier wurzelt deren Uneinigkeit. Denn während die chemische Industrie die hohe Steigerungsrate von 2014 als einmaliges Ereignis bezeichnet, das vor allem einem neuen Medikament gegen Hepatitis C geschuldet sei, rechnet der Hauptverband mit einem generellen Steigerungstrend. "Die Zahl der hochpreisigen Medikamente nimmt zu, weil der Markt immer innovativer wird", sagt Probst. Allein das Hepatitis-C-Medikament habe Kosten von 135 Millionen Euro verursacht.

Druck durch Gesundheitsreform

Und das, obwohl die Kassen doch gerade bei den Medikamentenausgaben sparen wollten. Erwarten sie doch für heuer einen Verlust von 129,3 Millionen Euro, zudem stehen sie unter dem Druck der Gesundheitsreform, wonach sie von 2013 bis 2016 die Kosten um insgesamt 900 Millionen Euro dämpfen sollen.