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"Wir wollen nur Chávez"

Von WZ-Korrespondent Tobias Käufer

Politik

Anhänger des venezolanischen Präsidenten trauern auf den Straßen


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Caracas. Der Tag danach begann am frühen Morgen mit 21 Salutschüssen zu Ehren des verstorbenen Präsidenten. Venezuela verabschiedet sich mit einer mehrtägigen Staatstrauer von Hugo Chávez. In den frühen Morgenstunden hatten trauernde Chávez-Anhänger zu Tausenden die Straßen geflutet, um dem Präsidenten die letzte Ehre zu erweisen. Diesmal ist es keine organisierte Demonstration, für die "Chávistas" in Staatsbetrieben frei und ein paar Bolivar in die Hand bekommen. Es sind spontane, ehrliche und authentische Emotionen.

"Wir wollen Chávez, nur Chávez", riefen weinende Anhänger in den Straßen der Hauptstadt Caracas. Viele stellten Kerzen ab und legten Blumen an Orten nieder, die sie mit dem politischen Wirken des Präsidenten verbinden. Autos trugen Trauerflor an ihren Antennen, in den Hochhäusern der Armenviertel hängen noch mehr Bilder des "Comandante" in den Fenstern als sonst. Hier hatte der wegen seiner milliardenschweren Sozialprogramme populäre Chávez seine Machtbasis. Die Menschen umarmen sich und beten gemeinsam, auch eine Tochter von Chávezist hier. Sie haben Chávez-Bilder dabei, die Szene erinnert an eine katholische Prozession. Zugleich tauchen in radikalen Medien die ersten Verschwörungstheorien auf, die USA hätten Chávez mit Krebszellen infiziert.

Es kommt zu rührenden Szenen im ganzen Land, die deutlich machen, dass der Erfolg der Sozialisten vor allem ein Erfolg der Person Hugo Chávez war. Sein Charisma überstrahlt auch diese Stunden der Trauer. Soldaten halten bei einer Versammlung kleine Chávez-Puppen in Armee-Uniform in die Höhe, andere stehen nur still da. Im sonst politisch so lauten Venezuela, in dem dröhnende Lautsprecher Botschaften hinausposaunen, ist es ein ungewohnter Moment der Stille. Es ist der Abschied einer Epoche, die eine historische Zäsur in Venezuela und ganz Lateinamerika kennzeichnet - oder, wie die Tageszeitung "El Universal" schrieb - der erste Tag nach der Ära Hugo Chavez.

In einigen Fällen soll es zu Übergriffen gekommen sein. Eine Reporterin eines regierungskritischen Senders berichtet über Attacken von Chávez-Anhängern. Es kursieren auch Bilder einer blutüberströmten kolumbianischen TV-Reporterin in den Medien. Dass es bei vereinzelten Vorfällen bleibt, dazu tragen auch die beiden Kontrahenten der nächsten Wochen bei. Vize-Präsident Nicolas Maduro, der am Dienstagnachmittag Ortszeit unter Tränen den Tod von Chávez bekanntgab, und Oppositionsführer Henrique Capriles schlugen in geschichtsträchtigen Stunden betont versöhnliche Töne an, beide wissen um die explosive Stimmung vor allem in der Hauptstadt.

Aufruf zur Eintracht

Auch die venezolanische Kirche ist um Beschwichtigung bemüht. Der Generalsekretär der Venezolanischen Bischofskonferenz, Bischof Jesus Gonzalez de Zarate, meinte im regierungskritischen TV-Sender Globovision: "Sein Tod berührt uns alle. Der Staatschef war ein getaufter Mann und in den letzten Jahren hat er seine Nähe zu Gott gezeigt. Es gibt viele, die mit dem Präsidenten sympathisieren, und viele, die eine andere Meinung vertraten. Dies ist ein Moment und eine Gelegenheit für eine Versöhnung und der nationalen Einheit." Kardinal Jorge Urosa, der wegen des anstehenden Konklaves in Rom weilt, sagte dem gleichen Sender: "In diesem traurigen Moment möchte ich seinen Eltern, Kindern, Angehörigen und Freunden sowie all seinen Anhängern mein Beileid ausdrücken." Der Erzbischof galt als einer der schärfsten Kritiker des Präsidenten.

Venezuelas linientreue Fernsehsender bringen unterdessen in Endlosschleife Bilder vom politischen Leben des Übervaters. Und sie zeigen die bewegenden Reden von politischen Weggefährten wie Evo Morales, dessen tränenerstickte Stimme immer wieder stockt. Für Boliviens Präsident war Chávez einer der wichtigsten Partner im überwiegend linksregierten Lateinamerika. Seine Erschütterung ist echt und keineswegs so gekünstelt wie die bizarre Abschiedsshow von Nicaraguas Präsident Daniel Ortega, der sich während einer wirren Rede vor einem überdimensionalen Chávez-Foto präsentierte, das den "Comandante" mit betenden Händen zeigte. Auch der potenzielle Chávez-Nachfolger in der Riege der sozialistischen Führungsfiguren Lateinamerikas zeigt sich sichtlich bewegt: "Es lebe Venezuela, es lebe Hugo Chávez!", rief Ecuadors Präsident Rafael Correa in sein Mikrofon, während ihm die Tränen in die Augen schossen.

Eine Schlüsselrolle für die Stabilität im Lande spielen Venezuelas Streitkräfte. Wenige Stunden vor Chávez’ Tod rief Vizepräsident Maduro die Militärführung und die sozialistischen Gouverneure zusammen. Maduro dürfte sich dabei der Unterstützung der Armee versichert haben. Diese gilt nach 14 Jahren sozialistischer Herrschaft aber ohnehin als regierungstreu. Unmittelbar nach der Todesnachricht versicherte denn auch die gesamte Militärspitze, sie werde ihre Verfassungsaufgabe erfüllen und die Stabilität des Landes garantieren.