Zum Hauptinhalt springen

Wir wollen Schweizer sein

Von Werner Pleschberger

Gastkommentare
Werner Pleschberger ist Politikberater und außerordentlicher Professor am Institut für Wald-, Umwelt- und Ressourcenpolitik im Department für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität für Bodenkultur.

Österreicher, Deutsche und andere EU-Völker würden wahrscheinlich mit mehr als nur knapper Mehrheit gegen "Massenzuwanderung" stimmen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Das Schweizer Volk hat vor kurzem mit knapper Mehrheit bei hoher Stimmbeteiligung und mit starkem Mut entschieden, dass seine Regierung innert drei Jahren (also etwa ab 2017) die künftige Zuwanderung mit Quoten steuern muss. Vor allem ausländische Politiker bezichtigten die Schweizer schnell der Dummheit - ein uraltes politisches Stereotyp - und bedachten sie mit diffusen Drohungen und Worthülsen (kein "Rosinenpicken"). Die Schnellschüsse sagen mehr über die Politiker aus als über den Volksentscheid. Reflexartig wurde um die Schweiz eine Art politischer Cordon Sanitaire gegen die direkte Demokratie errichtet.

Halten wir darum einmal fest: Effektive Volksgesetzgebung macht die Agenda bunter und kompetitiver. In Österreich sind die Volksrechte rechtlich schwach ausgestaltet und praktisch eine "Unterabteilung des Parteienstaates" (so ein deutscher Forscher), der sich ihrer nach seiner Interessenlage "bedient" (meistens "erfolgreich"). Ebenso: Das österreichische Volk, das deutsche Volk und andere EU-Völker würden wahrscheinlich mit mehr als nur einer knappen Mehrheit wie die Schweizer gegen die "Massenzuwanderung" in ihren Ländern stimmen - wenn sie dürften.

Was die Parteidemokraten aber besonders stört: Da tritt ein Volk machtvoll als Willensnation auf die Bühne. Wir Schweizer sind eine Nation, uns eint der gemeinsame Besitz an Geschichte und Erinnerungen, wir wollen zusammenleben und das gemeinsame Erbe mit Macht hochhalten - was sich auch in staatlichen Entscheidungen niederschlagen soll.

Wir wissen schließlich schon lange und ausreichend beforscht aus der integrativen Biologie, dass ökologische Systeme kollabieren, wenn der externe Stress zu hoch wird. Es gibt für sie kritische Schwellenwerte. Gleiches gilt für soziale Systeme. Sie sind begrenzt offen, bei zu hohem Stress tendieren sie zu Chaos oder - wünschenswerter - zur schnellen Selbstanpassung.

Dass die Schweiz offen für Zuwanderung gewesen ist, ist keine Frage (sie ist im Ländervergleich sogar vorbildhaft offen für die Welt). Der Volksentscheid ist freilich ein machtvolles und nicht wirklich überraschendes Signal für die Grenzen der Offenheit.

Wenig zieht die schnelle Behauptung, die Schweizer Abstimmung verletze das EU-Prinzip des freien Personenverkehrs, wie die EU-Kommission in einer dürren dreieinhalbzeiligen Presseerklärung schnell schrieb. Das ist juristisch nicht zwingend und politisch wenig einsichtig. Das EU-Vertragsrecht erlaubt abzuwägende Ausnahmen, es ist flexibel. In der Praxis akzeptiert die EU - zugegeben ohne Begeisterung - Quotenregelungen. Österreich und Belgien praktizieren beim Hochschulzugang Quoten für EU-Bürger, was ihr Hochschulsystem sozial stabilisiert.

Und nicht zu vergessen: Heutige bürokratische Regelungen der Zuwanderung in der EU (wie in der Schweiz) haben vergleichbare Wirkungen wie Quotenregelungen - sie werden nur nicht als Behinderung der Personenfreizügigkeit dargestellt. Quoten haben Potenzial. Sie können dem Schweizer Volk nicht verweigert werden.