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"Wir wollen Vertrauen zurück"

Von Georg Friesenbichler

Politik

Ungarns Botschafter in Wien kämpft gegen das Imageproblem seines Landes.


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"Wiener Zeitung": Während wir hier sprechen, erhält die EU-Kommission die Antwort darauf, wie Ungarn auf die drei Vertragsverletzungsverfahren reagiert. Auch das Mediengesetz wird heftig kritisiert. Was sagt Ungarn dazu?

Vince Szalay-Bobrovniczky: Wir müssen unterscheiden zwischen der EU-Kommission, die drei Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hat, und dem Europarat in Straßburg, mit dessen Venedig-Kommission wir über die Änderungen im Mediengesetz verhandeln, die unser Verfassungsgericht für nötig erachtet hat. EU-Kommissarin Nellie Kroes wollte von unserem Vizepremier die Zusicherung haben, dass wir alle Änderungswünsche des Europarates erfüllen. Dazu hat der Vizepremier gesagt, dass wir alle Wünsche sehr ernst nehmen, aber wir werden sie nur im Einklang mit der ungarischen Verfassung übernehmen können.

Kroes hat ja von einer Gefährdung der Pressefreiheit gesprochen und auch weitere Maßnahmen angedroht.

Nellie Kroes ist nicht die ganze Kommission. Meine persönliche Ansicht ist, dass sie sich in der Phase ein bisschen sehr weit aus dem Fenster gelehnt hat. Denn wir kennen nicht die konkrete Meinung des Europarates, die Änderungswünsche sind noch gar nicht zu Papier gebracht worden. Wenn wir wissen, was sie wollen, werden wir in aller Offenheit darauf reagieren. Im Voraus zu drohen, ist nicht ganz glücklich.

Allgemein stößt auf Kritik, dass es eine große Machtkonzentration beim sogenannten Medienrat gibt.

Das ist eine alte Debatte, früher wurde das von der Kommission gar nicht beanstandet, auch vom ungarischen Verfassungsgericht nicht. Bei den ersten Beanstandungen durch die Kommission haben wir in weltrekordverdächtiger Zeit reagiert. Es ist auch wichtig zu wissen, dass die Regelung für die Zuständigkeit des Medienrates geändert wurde, der Medienrat ist jetzt nicht mehr für die Print- und Onlinemedien zuständig. Im Mai soll die neue Regelung beschlossen werden. Wenn Sie heute zehn Minuten vor dem Bildschirm ungarischer Medien verbringen, werden sie erfahren, dass die überwiegende Mehrheit der Meldungen die Regierung ganz negativ beschreibt. Es gibt keine politische Einflussnahme.

Gegenbeispiel wäre das Klubradio, dem die Frequenz entzogen wurde.

Die Lizenz für Klubradio war abgelaufen, es war die Pflicht des Medienrates, das neu auszuschreiben. Das Radio hat geklagt. Das Gericht wird darüber entscheiden, ob das Verfahren des Medienrates rechtmäßig war.

Machtkonzentration wurde international auch in der Frage des Notenbankchefs kritisiert. Die Zusammenlegung von Notenbank und Finanzmarktaufsichtbehörde hat Ungarn inzwischen zurückgezogen. Was ist noch ein Hindernis auf dem Weg zu den gewünschten internationalen Krediten?

Das ist eine heikle Frage. Wir sind in der Vorverhandlungsphase zu den Verhandlungen, was in einer Art Sicherheitskredit münden sollte. Den Kredit wollen wir nicht verbrauchen, sondern wollen ihn als Absicherung haben, damit wir uns wieder auf den Märkten finanzieren können. Wir gehen nicht in die Verhandlungen hinein, damit wir ohne Gespräche gleich alles aufgeben müssen.

Wie kann das funktionieren, wenn man mit erhobenem Haupt in die Verhandlungen hineingehen will, aber dringend das Geld braucht?

Wir möchten nicht, dass man uns in allen Einzelheiten vorschreibt, wie wir in unserem eigenen Lande handeln sollen.

Man wird sich über die Notenbank einigen?

Die Unabhängigkeit der Notenbank war niemals in Gefahr. Der Gouverneur der Notenbank hat gesagt, er arbeitet vertrauensvoll mit der Regierung zusammen.

Das haben Internationaler Währungsfonds (IWF) und EU aber offenbar anders gesehen?

Ich habe dies nie offiziell gehört. Es wurden stattdessen mehrere Dinge beanstandet, etwa der Eid, den der Gouverneur auf die Verfassung ablegen soll.

Vielleicht ergibt sich bei diesem Schwur eine besondere Problematik dadurch, dass auch die Flat Tax praktisch Teil der Verfassung ist.

Diese Flat Tax von 16 Prozent ist eine Maßnahme, die im Vergleich zu den Plänen mehr Einnahmen gebracht hat. Die entscheidende Frage ist aber, wie Orban sagte, die Schuldenbremse. 2010 haben wir eine Verschuldungsquote von rund 82 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gehabt (bei dem Regierungswechsel 2002 nur 52 Prozent), dies wird konsequent abgebaut. In der Verfassung steht, dass, solange die 50 Prozent-Marke nicht erreicht wird, kein neues Budget durchgesetzt werden kann, das neue Schulden verursacht. Die Krise hilft uns dabei natürlich nicht. Mit der Verschlechterung des Kurses des Forint haben sich die Schulden nicht reduzieren lassen. Aber nach der Achterbahnfahrt des Kurses pendelt er sich jetzt bei 290 Forint für einen Euro ein. Die Zinsraten auf die Staatsanleihen sind zurückgegangen von rund zehn Prozent auf zwischen sechs und sieben, womit die Finanzierung auf den Märkten nicht mehr so kritisch ist.

Aber es ist trotzdem noch an der Grenze dessen, womit man sich auf den Märkten finanzieren kann. Deswegen brauchen Sie ja diese Hilfskredite.

Für die Märkte ist alles eine Frage des Vertrauens. Wenn wir eine Vereinbarung mit IWF und Europäischer Union treffen, dann wird sich die Lage für Ungarn auch beruhigen. Deswegen wollen wir auch eine schnelle Übereinkunft. Orban hat ja auch gesagt in seiner Rede zur Eröffnung der neuen Sitzungsperiode des Parlaments, dass Europa für uns eindeutig die Richtung ist.

In der Verfassung wird allerdings der Wert der Nation besonders betont, ist das nicht ein Widerspruch zu diesem europäischen Weg?

Nein, weil man die Verfassung in zwei wichtige Teile aufteilen muss. Der erste ist die Präambel, und die beinhaltet alles, was gefühlsmäßig für die ungarische Nation wichtig ist. Und der zweite, größere Teil, der die Grundrechte und andere Bestimmungen beinhaltet, ist der Teil, wo sie von Emotionen nichts mehr lesen können. Eine Präambel ist niemals ein Instrument, das Rechte schafft. Ich bitte daher immer darum, die Bezeichnung nationalistisch nicht zu benutzen, ich unterschreibe aber hundert Mal die Bezeichnung patriotisch. Nationalistisch passt schon deswegen nicht, weil die Rechte der nationalen Minderheiten erstmals in der Verfassung gesichert sind.

Eine häufig geäußerte Kritik an der Verfassung ist, dass mit den zusätzlichen Kardinalgesetzen quasi in Verfassungsrang gehoben wird, was dort eigentlich nicht hingehört, etwa die Flat Tax. Spätere Regierungen würden dadurch sehr präjudiziert.

Orban hat ja gesagt, dass er mit manchen Gesetzen, in erster Linie mit der in Verfassungsrang erhobenen Schuldenbremse, durchaus die Absicht hat, von diesem Weg nicht mehr abkehren zu können. Die Flat Tax steht momentan nicht zur Debatte, weil es ein sehr erfolgreiches Gesetz ist, das die Einnahmen deutlich erhöht und die Zahlungsmoral der Steuerzahler deutlich verbessert hat. Ob da eine neue Diskussion kommen wird, weiß ich nicht.

Gleichfalls gilt die Zwei-Drittel-Mehrheit für die Besetzung von hohen Posten wie der Spitze des Rechnungshofes oder anderer Institutionen, wo der Vorwurf lautet, dass die Fidesz damit unbegrenzt an den Hebeln der Macht bleibt.

Soweit ich weiß, wurden diese Positionen auch bisher mit Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen, dass heute nur eine Partei über diese Mehrheit verfügt, kann man uns und den Wählern nicht zum Vorwurf machen.

Derzeit schaut es aber nicht so aus, als ob die Fidesz wieder eine solche Mehrheit bekommt.

Die Fidesz hat laut einer jüngsten Umfrage zugelegt und würde, wenn jetzt Wahlen wären, wieder die zwei Drittel bekommen oder etwas darunter liegen, jedenfalls bei denen, die sich sicher für eine Partei entscheiden würden. Denn zu den positiven Entwicklungen durch diese Regierung gehören positive Handelsbilanz, Zuwachs des BIP, Schuldenabbau und steuerliche Entlastung des Mittelstandes. Die regierende Partei hat zwar Wähler verloren, die sind aber nicht zu den anderen rübergegangen.

Mit wie viel Prozent der Stimmen?

Ich kenne die alte Debatte, dass wir mit knapp 53 Prozent der Stimmen die Zwei-Drittel-Mehrheit halten. Aber laut bisherigem Wahlrecht haben wir in Ungarn 176 Einzelwahlkreise, von diesen hat Fidesz 173 geholt. Hätten wir das britische Wahlrecht, würden gerade drei oppositionelle Abgeordnete im Parlament sitzen.

Auch die Sozialdemokraten legen zu.

Das leugne ich nicht. Aber die linke Opposition ist zersplittert. Jobbik ist in manchen Umfragen derzeit die Partei Nummer zwei, vor allem im Nordosten von Ungarn ist die Partei stark.

Glauben Sie nicht, das eine am äußersten rechten Rand angesiedelte Partei wie Jobbik dazu beiträgt, das Image Ungarns im Ausland zu schädigen?

Ich sage, die überzogene Kritik an Ungarn stärkt den rechten Rand. Jobbik würde jetzt wahrscheinlich um die 20 Prozent bekommen. Das ist keine erfreuliche, aber auch nicht unübliche Erscheinung in Europa. Wir haben ein Imageproblem, das ist richtig, wir wollen Vertrauen zurückgewinnen, wir wollen aber auch nicht Kritik bekommen, die wir nicht verdienen. Zum Beispiel stimmt nicht, dass die Regierung gemeinsame Sache mit Faschisten oder Antisemiten machen würde. Orban hat auch im Parlament gesagt, er will die Unterstützung der Linken bei den Verhandlungen mit Brüssel und dem IWF, das rechte Spektrum will wohl keinen Deal.

Und wenn Sie diesen Kredit nicht bekommen?

Ich gehe davon aus, dass wir eine Übereinkunft treffen werden.

Sie bekommen aber auch von österreichischen rechten Kräften viel Beifall und Unterstützung, auch von der Internet-Plattform "unzensuriert.at", die der FPÖ nahesteht und der Sie auch ein Interview gegeben haben.

Ich habe in diesem Interview auch eindeutig Position zu den Rechten bezogen. Ich gebe keine Nahrung für diese Begeisterung, und ich brauche sie auch nicht. Viel wichtiger ist, dass ich keinen unbedeutenden Anteil daran habe, dass Außenminister Michael Spindelegger vor kurzem Ungarn besucht und sich dabei trotz mancher Kritik gegen das "Ungarn-Bashing" ausgesprochen hat.



Vince Szalay-Bobrovniczky ist seit Dezember 2010 ungarischer Botschafter in Österreich.

"EU-Kommissarin Kroes hat sich ein

bisschen sehr weit aus dem Fenster gelehnt."

"Wenn wir eine

Vereinbarung mit EU und IWF treffen, wird sich die Lage wieder beruhigen."