Theoretisch könnte es funktionieren. | Praktikable Methode steht noch aus. | Bochum. (ap) Der Schrecken, der von der Atomkraft ausgeht, nährt sich nicht nur aus der Sorge, ein Reaktor könnte versagen. Zusammen mit dem GAU und der Bombe ängstigt die Menschen vor allem die zum Teil Jahrtausende anhaltende radioaktive Strahlung des atomaren Mülls aus zurzeit 442 Kernkraftwerken weltweit.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 18 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Doch vielleicht naht schon bald Abhilfe: Ein deutscher Forscher will herausgefunden haben, wie die Strahlungsdauer eines der gemeinsten radioaktiven Stoffe im atomaren Abfall drastisch verkürzt werden kann. Erweist sich die Machbarkeit der Methode, kann die Suche nach einem unterirdischen Endlager für die gefährlichen Alphastrahler guten Gewissens eingestellt werden.
Claus Rolfs, ist 65 Jahre alt und arbeitet als Professor für Physik mit Ionenstrahlen an der Bochumer Ruhr-Universität. Seine Idee ist ein Jahr alt und seit einem halben Jahr weiß Rolfs, dass es funktioniert. Denn die Methode, mit der eines der drängendsten umweltpolitischen Probleme gelöst werden könnte, hat sich Rolfs bei den Sternen abgeschaut - genauer bei dem, was im Inneren von Sonnen geschieht.
Ausgangspunkt war der Versuch des Astrophysikers, Kernfusionsvorgänge im Leib von Sonnen in einem Teilchenbeschleuniger nachzuvollziehen. Und beim Beschuss von leichten Atomkernen mit Protonen und anderen Atomkernbausteinen stellte er fest, dass die Fusionsrate deutlich höher war, wenn die beschossenen Kerne in Metall statt in Isolatormaterial eingebettet waren oder die Umgebungstemperatur deutlich niedriger war.
Rolfs' Eingebung bestand darin, dass dieser Effekt auch umgekehrt funktionieren könnte. Wenn also die Temperatur hinreichend niedrig sei und das strahlende Objekt in Metall gelagert würde, sollten die radioaktiven Alpha-Teilchen weit schneller als üblich aus den Atomkernen geschleudert werden. Dadurch würde sich die Halbwertszeit für den Alpha-Zerfall senken.
Halbwertszeit von derzeit 1622 Jahren
Unter Halbwertszeit bezeichnet man die Zeitspanne, die statistisch gesehen verstreicht, bis die Menge eines bestimmten radioaktiven Nuklids auf die Hälfte reduziert ist, also sich in andere Atome umgewandelt hat. Sie kann extrem lang sein, etwa 14,05 Milliarden Jahre wie bei Thorium 232, oder wie bei Francium mit 22 Minuten extrem kurz. Über den Daumen gepeilt hat die radioaktive Kontamination eines Stoffes nach Verstreichen des Zehnfachen der Halbwertszeit bis zur Bedeutungslosigkeit abgenommen.
Der schädlichste Stoff im atomaren Abfall ist laut Rolfs Radium 226, ein Alphastrahler mit einer Halbwertszeit von 1622 Jahren - weshalb er für die Zeitspanne von weit mehr als 10.000 Jahren unterirdisch weggesperrt werden muss, mit allen damit verbundenen Risiken, von Erdbeben und Wassereinbruch bis hin zu politischen Unruhen mit der potenziellen Gefahr, dass der radioaktive Müll ausgebuddelt und als Waffe genutzt wird.
Der 65-Jährige aus Bochum, der noch ein Jahr forschen darf und für seine womöglich bahnbrechenden Ergebnisse keinerlei Fördermittel bezieht, ist sich ziemlich sicher, dass der Zerfall von Radium 226 durch seine Methode um das Hundertfache beschleunigt werden kann.
Auf die Frage, ob seine Methode jemals großtechnisch praktizierbar sein wird, sagte der Astrophysiker: "Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg", und ernsthafter fügte er hinzu: "Ich denke, in zehn Jahren könnte es so weit sein." Vor allem deshalb, so Rolfs, weil insbesondere China, aber auch andere Staaten wie Portugal, England oder Australien gewaltiges Interesse erkennen lassen und aktiv an dem Projekt mitarbeiten.