Die Höhe der Beitragszahlungen der Mitgliedstaaten an die Europäische Union sorgt für Murren.
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Eine der größten Herausforderungen, mit denen sich die neue EU-Kommission konfrontiert sehen wird, ist die Festlegung des "Mehrjährigen Finanzrahmens" (MFR) für die Jahre 2021 bis 2027 im Einvernehmen mit den EU-Mitgliedstaaten. Angesichts angespannter Haushaltssituationen in vielen dieser Staaten sind es dabei nicht nur die absolute Höhe der Beitragsleistungen und die geplante Steigerung dieser Beträge, die zum Streitgegenstand werden. Ein zentraler Konfliktgegenstand resultiert auch aus dem Umstand, dass es in diesem System "Nettozahler" und "Nettoempfänger" gibt.
Auf den ersten Blick eine unfaire Situation beziehungsweise eine Überstrapazierung des Solidaritätsbegriffs und ein allzu dankbarer Anlass für populistische Tiraden gegen die Europäische Union. Elf Nettozahlern (allen voran Deutschland, aber auch Frankreich, Italien und Österreich gehören dazu) stehen 14 Nettoempfänger (allen voran Polen) und drei Staaten mit ausgeglichenen Zu- und Abflüssen entgegen.
Vereinfacht zu stark
Ein Hauptproblem dieses vordergründig griffigen Konzepts, das gut für die politische Diskussion nutzbar zu sein scheint, liegt darin, dass es viel zu stark vereinfacht, nur einen Teilausschnitt der Kosten-/Nutzensituation aus der EU-Mitgliedschaft widerspiegelt und nach Meinung vieler Experten eigentlich völlig irreführend ist. Deshalb sollte es nicht verwendet werden.
Es stellt nämlich allein auf das Verhältnis zwischen nationalen Beitragsleistungen an die EU und unmittelbaren Rückflüssen, beispielsweise über die Agrarförderungen, die Regionalförderungen, die Kohäsionsfonds, die Forschungsförderung und die Ausgaben für Erasmus-Studierende ab. Unberücksichtigt bleibt dabei ein sehr breites Spektrum an Vorteilen, die die EU-Mitgliedstaaten indirekt aus der EU-Mitgliedschaft ziehen. Förderungen zum Beispiel erhöhen die Kaufkraft in wirtschaftlich schwächeren Mitgliedstaaten, wodurch sich die Absatzmärkte für exportstarke Mitgliedstaaten wie Deutschland oder Österreich erweitern.
Förderungen für den Ausbau der Infrastruktur wie etwa die Beiträge für den Bau des Brenner-Basistunnels und generell EU-unterstützte Projekte können wiederum von den effizientesten Unternehmen und Dienstleistern in der EU am besten genutzt werden. Für die Wirtschaft in den Sitzstaaten dieser Unternehmen und Dienstleister bedeutet dies dann im Regelfall zusätzliche Multiplikatoreffekte. Hinzu kommen umfangreiche Einsparungen über den Wegfall interner Grenzkontrollen im EU-Binnenmarkt.
Gesamtwirtschaftliche Effekte
In Erwartung zunehmenden Widerstandes gegen diese Beitragsleistungen in Nettozahler-Staaten hat die EU erstmals umfassender die gesamtwirtschaftlichen Effekte der EU-Mitgliedschaft ausgerechnet und dem Zahlenwerk für den MFR beigelegt. Das auch aufgrund der von der EU anvisierten Erhöhung der Beitragsleistungen auf 1,114 Prozent der Wirtschaftsleistung (Deutschland und Österreich machen sich für eine Deckung auf ein Prozent stark). Dabei resultiert für Österreich eine klare Nettogewinn-Position mit 35,61 Milliarden im Jahr (7,86 Prozent der Wirtschaftsleistung).
Dieser Schritt der EU-Kommission ist zu begrüßen, wirft aber dennoch Fragen auf. So kommt diese Informationsoffensive sehr spät. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sie über die Fachpresse hinaus (und zum Teil nicht einmal in dieser) wirklich Widerhall gefunden hätte. Und es stellt sich die Frage, ob diese, doch etwas komplexeren Überlegungen einem breiten Publikum ohne Weiteres vermittelbar sind. Damit ist ein Grundproblem der EU angesprochen, das zu einem wesentlichen Teil die zunehmende EU-Kritik in den Mitgliedstaaten erklären kann: Die Vorteile der EU-Integration sind auf mitgliedstaatlicher Ebene schwer kommunizierbar, auch deshalb, weil solche Informationen überwiegend über nationale Kanäle fließen müssen. Die nationale Politik ist dabei aber oft daran interessiert, diese Sachverhalte anders darzustellen.
Die EU-Integration ist in Summe von großem wirtschaftlichem Nutzen für alle Mitgliedstaaten - die politischen Vorteile im Sinne eines unbezahlbaren Beitrages für die europäische und internationale Friedensordnung noch gar nicht berücksichtigt. Dieser Umstand darf aber nicht den Blick dafür versperren, dass einzelne EU-Ausgabenpositionen dringend einer Überprüfung bedürften. In erster Linie sei hier auf die Agrarförderungen verwiesen, die meist Großbetrieben zugutekommen und nicht dem kleinen Bergbauern, der in der einschlägigen politischen Diskussion häufig vorgeschoben wird. Dass sich an dieser Förderpolitik nichts oder nichts Entscheidendes ändert, dafür tragen aber wiederum die Mitgliedstaaten Sorge, womit sich der Kreis schließt.
Bessere, detailliertere Kenntnisse über die europäische Integration aus wirtschaftlicher, rechtlicher und politischer Perspektive wären damit nicht nur ein wichtiges demokratiepolitisches Anliegen, sondern von unmittelbarem persönlichen Interesse für alle Unionsbürger. Und zwar deshalb, damit auch in den Mitgliedstaaten selbst eine sachgerechtere Diskussion zu Themen wie Beitragsleistung und Beitragshöhe zum EU-Haushalt erfolgen kann.
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