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Verkehrsministerin Gewessler will alle Schnellstraßenprojekte evaluieren - ein Stich in ein politisches Wespennest.
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Umwelt- und Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) hat eine "Evaluierung" der Neubauprojekte der Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs AG (Asfinag) beschlossen. Im Klartext: Alle geplanten Asfinag-Schnellstraßenprojekte werden vorerst gestoppt. Ob sie umgesetzt werden, soll erst nach Abschluss der "Evaluierung in Hinblick auf die Zielsetzungen des Regierungsprogramms" im Herbst entschieden werden. Vom Ausbau-Stopp betroffen sind etwa die Marchfeld-Schnellstraße S8 in Niederösterreich, der Ausbau der Mattersburger Schnellstraße S4 im Burgenland - und, eigentlicher Kern der Aufregung: der weitere Ausbau der Wiener Außenring-Schnellstraße S1, Stichwort Lobautunnel.
Die Entscheidung des Ministeriums verschafft der Umweltbewegung starken Rückenwind. Seit langem laufen Umweltschutzorganisationen und Bürgerbewegungen gegen den Bau des Lobautunnels Sturm - von 19 Kilometern soll die Straße 8 unterhalb des Nationalparks Donau-Auen, kurz Lobau, geführt werden. "Wer eine Autobahn durch ein wertvolles Naturschutzgebiet plant, ignoriert die dringendsten Krisen unserer Zeit", sagt die Umweltschutzorganisation WWF. Das Bauvorhaben sei ein entsorgungspflichtiges Relikt aus dem vorigen Jahrhundert, das den Anforderungen der Klimaverpflichtungen zuwiderläuft, sagt Umweltschützer Wolfgang Rehm. "Mit der gestarteten Evaluierung hat Bundesministerin Gewessler einen längst überfälligen Schritt gesetzt, wenn er auch noch nicht hinreichend ist."
Fridays for Future lud für Freitag zur Großdemo gegen das "klimaschädliche Autoverkehrsprojekt". Tenor: Eine Autobahn habe unter einem Naturschutzgebiet "nichts verloren", sagen sie.
Ganz anders sehen das die Regierungen in den Bundesländern, allen voran aus Wien, Niederösterreich und dem Burgenland. Sie sehen im vorübergehenden Baustopp des Ministeriums einen Affront. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) kündigte für den Fall eines Stopps im ORF-Ö1-Mittagsjournal juristische Schritte an. Mit einem Stopp riskiere man einen Milliardenschaden und einen massiven Einschnitt in die Entwicklung der gesamten Ostregion. Ein Stopp wäre ein "sehr starker politischer Eingriff."
FPÖ, ÖVP und SPÖ für den Bau des Lobautunnels
Massive Kritik kam auch von ÖVP und FPÖ: Wien werde im Jahr 2027 wohl mehr als zwei Millionen Einwohner haben und ersticke schon heute im Verkehr, sagen der Wiener FPÖ-Obmann Dominik Nepp und Verkehrssprecher Toni Mahdalik. Auch für die Wiener ÖVP sei der Baustopp des Lobau-Tunnels "völlig unverständlich und realitätsfremd", kritisierten Stadträtin Isabelle Jungnickel und Klubobmann Markus Wölbitsch. Umweltschützer und Politik sind sich uneinig. Doch wie sieht es rechtlich aus?
Seit mehr als 14 Jahren kommt die geplante Schnellstraße durch den Lobautunnel nicht über den Planungsstand hinaus. Es gab insgesamt elf Verfahren, erst drei davon sind abgeschlossen, davon die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP). Die restlichen acht sind aber noch immer offen. So ist etwa eine naturschutzbehördliche Bewilligung in Wien, sowie in den Bezirkshauptmannschaften Gänserndorf und Bruck/Leitha notwendig. Nachdem die Behörden zustimmten, erhoben Umweltschutzorganisationen Einspruch. Damit wanderte es zum Bundesverwaltungsgericht. Das Verfahren ist erst am Anfang, es gab noch keine Verhandlung.
Auch eine wasserrechtliche Bewilligung ist noch notwendig. Hier sind noch die Bescheide aus Wien und Niederösterreich ausständig. Sollte der Bescheid ausgestellt werden, würden auch in diesem Fall Umweltschutzorganisation Einspruch erheben. Damit würde auch hier am Bundesverwaltungsgericht weiter verhandelt werden. Fest steht: Bis zur Rechtssicherheit können noch Jahre vergehen.
Selbst, wenn alle rechtlichen Verfahren einmal abgeschlossen sind, kann die Bundesregierung noch immer das Projekt stoppen. Die politische Entscheidung liegt im Verkehrsministerium und im Finanzministerium. Sie müssten gemeinsam einen Rahmenplan für den Bau der Schnellstraße festlegen.
Belastungsprobe für die Bundesregierung
Die seit vielen Jahren schwelende Kontroverse um den Lobautunnel könnte daher zu einer weiteren Belastungsprobe für die türkis-grüne Bundesregierung werden. Der Lobautunnel könnte zu einem Umweltsymbol werden, ähnlich wie vor 30 Jahren Hainburg. Damals stoppte eine massive Bürgerbewegung ein geplantes Kraftwerk in der Hainburger Au.
Der geplante Lobautunnel steht für eine politische Grundsatzentscheidung, die die aktuelle Legislaturperiode noch prägen wird. Nach den langen von der Bekämpfung der Pandemie geprägten Monaten, sind die Grünen bemüht, in nächster Zeit ihre Handschrift deutlicher zu hinterlassen. Neben dem Justizministerium unter Alma Zadic geht das vor allem an einem Ort besonders gut: im "Superministerium" von Leonore Gewessler.
Denn bei der Ressortverteilung zwischen Grünen und ÖVP passierte eine Revolution: Die unter Türkis-Blau noch dem türkisen Landwirtschaftsministerium zugeordneten Sektionen "Umwelt und Kreislaufwirtschaft" sowie "Klima und Energie" wanderten nun ins grüne Verkehrsministerium. Die großen Bereiche Verkehr und Umwelt-/Klimaschutz wurden erstmals in einem Ministerium fusioniert.
Den enormen Gestaltungsspielraum, der sich aus den beiden Bereichen ergibt, möchte die grüne Ministerin nützen. Und ein Bau des Lobautunnels passt hier nicht in das Konzept. Der Koalitionspartner ÖVP steht dagegen unter dem Druck der schwarzen Länder (insbesondere Niederösterreich) und von Wirtschaftsvertretern.
Die Evaluierung bedeutet, dass sich das Ministerium alle Asfinag-Bauprojekte, unter verkehrsplanerischen Kriterien, aber auch deren Auswirkungen auf den Bodenschutz, und das Regierungsziel des Klimaschutzes, 2040, "nochmals ansieht."
Neos-Abgeordneter will sich vor Bagger setzen
Das sei nichts Neues, dem Koalitionspartner ÖVP auch bekannt, heißt es aus Gewesslers Ministerium. Denn: "Die Evaluierung läuft nicht seit gestern, sondern seit Monaten, die Ministerin hat das auch schon öfter gesagt", heißt es gegenüber der "Wiener Zeitung".
Klar ist, dass man auf die bestehenden Analysen des Tunnels zurückgreift, keine neuen UVP veranlasst. "Im Herbst haben wir die Evaluierungsergebnisse, dann hat man eine Basis, auf der wir weitere Schritte setzen können, dem Ergebnis der Evaluierung werden wir nicht vorgreifen".
Der Dringlichkeitsantrag des Niederösterreichischen Landtags, den Umsetzungsstopp sofort zurückzunehmen, hat auf die Zeitplanung des Ministeriums keine Auswirkungen: "Mit dem Bau des Tunnels wurde ohnehin noch nicht begonnen, man kann deshalb nicht von einem Baustopp sprechen", lautet die Erklärung eines Ministeriumssprechers.
Gegen das Tunnelprojekt stemmt sich auch der Umweltsprecher der Neos im Nationalrat, Michael Bernhard: "Den Tunnel braucht es weder für die Wirtschaft, noch für den Arbeitsmarkt oder für einen Lückenschluss im Verkehr." Denn: Das Hauptproblem in Wien sind kurze PKW-Strecken. Und leere, neue Straßen ziehen bekanntlich Autos an." Für die Umwelt sei das Projekt jedenfalls sehr problematisch: Da die Temperaturen in der Stadt heißer als noch vor einigen Jahren sind, werde die für den Bau notwendige Wasserabsenkung heute dafür sorgen, dass "das Ökosystem in der Lobau stärker austrocknet und unwiederbringlich verloren geht." Am Schluss kündigt er an: "Wenn die SPÖ oder die Asfinag die Bagger trotz massivem Schaden für die Umwelt auffahren lässt, dann setze ich mich davor."
Zu einem möglichen Koalitionsdisput zwischen SPÖ und Neos in Wien sagt Bernhard: "Weil die Neos in Wien gegen den Tunnel sind, steht er nicht im Koalitionsprogramm." Die SPÖ sei zwar mit dem Tunnelprojekt in die Verhandlungen gegangen, aber ohne wieder hinaus: "Und sie hat den Koalitionspakt in Wien unterschrieben."
Der Bezirksvorsteher des 22. Bezirks, Ernst Nevrivy, sieht dagegen in dem Baustopp "ein wirtschaftliches Problem ungeahnten Ausmaßes" auf Wien und die Ostregion zurollen. "Das Thema ist so ernst, da ist kein Platz, für parteipolitische Spielchen", sagte er am Freitag. Alleine die Verzögerung der Spange bedeute einen Baustopp für die Seestadt, weil die UVP für die Seestadt bedinge, dass es beide Abfahrten gibt.
Die Donaustadt brauche für die Querverbindungen die Stadtstraße mit der Spange. Da Gewessler die Asfinag-Projekte prüfen wolle, sei die Stadtstraße nicht davon betroffen, sondern eigentlich nur die Anschlussstelle - "das heißt die Stadtstraße wird dann zur Sackgasse." Es sei für Nevrivy unverständlich, dass alle Projekte durch sämtliche Instanzen gebracht worden seien, alle Verfahren abgeschlossen wurden - und jetzt plötzlich noch einmal alles evaluiert werden soll.
Treihausgas-Emissionen, Hitzetage, Wetterkapriolen. Der Klimawandel ist spürbar angekommen. Der geplante Lobautunnel ist daher kein beliebiges Straßenprojekt mehr, das einfach abgenickt wird. Er zeigt vielmehr, wie verhärtet die Fronten beim Thema Umweltschutz sind. Die Diskussion hat erst begonnen.