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Wird die OMV bald "Gazprom West"?

Von Veronika Eschbacher

Wirtschaft

Ein Gedankenspiel anlässlich des Treffens zwischen OMV-Chef Rainer Seele und dem deutschen Altkanzler Gerhard Schröder in Wien.


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Wien. "Es war eine wilde Zeit", sagen Russen heute unisono, wenn die Rede von den 1990er Jahren ist. Und das gilt bei weitem nicht nur für die Mode mit zerschnittenen T-Shirts, an denen bunte Kugeln hangen, die strassbesetzten Glitzerjeans oder die durchgefeierten Nächte in den plötzlich überall aufsperrenden Klubs. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion brachten auch die Privatisierungsvoucher, mit denen russische Bürger Aktien von Staatsunternehmen erwerben konnten, Wirbel in den Alltag.

Manche Bürger verstanden damals nicht einmal das so fremd klingende Wort "Voucher" - und verwechselten es mit "Woltschie bilety", den Papieren aus der Stalinzeit, mit denen Lagerinsassen praktisch rechtlos in die Freiheit entlassen wurden.

Andere wiederum witterten binnen kürzester Zeit die Chancen, die sich durch die Voucher ergaben. Sie sammelten zusammen, so viele sie konnten, und häuften so bald beachtliche Firmenkonglomerate an. Und wenn ihnen, die bald Oligarchen genannt wurden, eine Firma durch die Lappen ging, die strategisch unabdingbar war, so hatten sie dafür bald ein Extra-Drehbuch parat. Im ersten Akt wurde die Firmenspitze unterwandert, im zweiten die Firmenstrategie und das Geschäftsmodell in einer der Firma selbst schädlichen, aber dem Interessenten nützlichen Weise geändert und im dritten Akt sank das Opfer in hohe Schulden - und musste sich billig an den "Verfolger" verkaufen.

Man könnte, rein als Gedankenspiel freilich, dieses Drehbuch auf den österreichischen Öl- und Gaskonzern OMV und den russischen Gasmonopolisten Gazprom anwenden - wobei es Gazprom auf die OMV abgesehen hat und nicht umgekehrt (trotz Gedankenspiels soll man realistisch bleiben). Richtet man heute den Blick auf die Firmenspitze der OMV, so ist das für den ersten Akt erforderliche Kommen und Gehen bereits voll im Gange. Aus Moskauer Sicht wäre es freilich schlau, die wichtigsten Posten mit Russland zugeneigten Personen zu besetzen.

Erster Akt: Umbau der Konzernspitze

Szene eins des ersten Aktes ist in diesem Fall aus der Sicht Moskaus bereits über die Bühne gegangen. Mit Rainer Seele hat im Juli ein Mann die Spitze der OMV übernommen, von dem bekannt ist, Russland zugetan zu sein. Seele ist seit 2012 Präsident der Deutsch-Russischen Handelskammer und setzt sich für eine enge Kooperation der deutschen Wirtschaft mit Russland ein. Es wird ihm auch beschieden, er habe in seiner Zeit als Vorstandsvorsitzender des größten deutschen Öl- und Gasproduzenten Wintershall den Konzern zu einem der engsten Verbündeten von Gazprom gemacht.

Dass er künftig weiter sehr Russland-engagiert bleiben will, ließ Seele Mitte August in seinem ersten Interview als OMV-Chef, das er der russischen Wirtschaftszeitung "Wedomosti" gewährte, wissen. In diesem gab er an, alle ein bis zwei Wochen in Russland zu sein. Und er sagte auf die Frage, ob die OMV der wichtigste Partner Gazproms in Europa werden solle: "Wir sind froh, dass wir die strategische Kooperation ausbauen, und sie wird sich auf die gesamte Wertschöpfungskette des Zweiges erstrecken. (. . .) Eines ist ganz klar: Gazprom wird diese Zusammenarbeit schätzen und kann auf mein Engagement dafür zählen." Auf die Frage, ob Projekte zwischen der OMV und Gazprom Neft, dem Ölzweig der Gazprom, möglich seien, sagte er: "Ja natürlich!" Ob eine Zusammenarbeit der OMV mit anderen Öl- oder Gasfirmen außer der Gazprom möglich sei? "Prinzipiell ja. Allerdings führen wir aktuell nur Gespräche über eine Kooperation mit Gazprom", so Seele. Ob Europa weiter zusätzliche Gasmengen aus Russland kaufen werde? "Natürlich. Europa braucht Erdgas aus Russland. (. . .) Das ist eine Entscheidung der Gas-Importeure, nicht der Politiker."

Zwei Monate nach Seeles Besetzung verließ Jaap Huijskes, Vorstand für den Geschäftsbereich Upstream, frühzeitig den Konzern, "auf eigenen Wunsch" und "im besten Einvernehmen", wie es bei der OMV hieß. Es wird jedoch gemunkelt, dass Huijskes die Neuausrichtung der OMV nicht mittragen wollte. Ihm folgte Johann Pleininger, der den Upstream-Bereich der rumänischen OMV-Tochter Petrom viele Jahre erfolgreich führte. Ob Pleininger ähnlich Russland-affin ist wie Seele, ist nicht bekannt. Die Möglichkeit für eine weitere pro-russische Besetzung soll es nach Berichten der Tageszeitung "Die Presse" aber ohnehin bald schon geben. Denn der äußerst wichtige Finanzvorstand der OMV, David Davies, soll ebenfalls vor einer vorzeitigen Ablöse stehen. Davies ist im derzeitigen OMV-Vorstand das längstdienende Mitglied, sein Vertrag läuft eigentlich bis 2017. Im Hintergrund sollen bereits Gespräche mit potenziellen Nachfolgern laufen.

Zweiter Akt: Änderung der Strategie

Mit den ersten Erfolgen im ersten Akt können in unserem Gedankenspiel auch die ersten Änderungen in der Firmenstrategie und des Geschäftsmodells getätigt werden. Aus der Sicht Moskaus wäre hier Früchte tragend, wenn die österreichischen und internationalen Aktivitäten der OMV durch auf Russland gerichtete ersetzt würden. Das heißt in der Theorie des Gedankenspiels, dass die OMV keine neuen Projekte mehr in der Exploration und Produktion (E&P) außerhalb Russlands beginnen würde und bestehende, gewinnbringende, aber nicht-russische Einnahmequellen abwürgt.

Auch hier gibt es bereits erste Übereinstimmungen mit dem altbekannten Drehbuch der 90er. Die OMV hat ihre Investitionen im E&P-Bereich in Österreich, Rumänien, Norwegen, Neuseeland, Tunesien, Libyen oder dem Jemen bereits gekürzt, der Ausstieg aus Kroatien erfolgte bereits unter Seeles Führung. (Die jetzige Umorientierung lässt sich jetzt, wo die Ölpreise so niedrig sind und alle Ölkonzerne weltweit unter Druck stehen, freilich sehr leicht unter dem Deckmantel einer "Portfoliobereinigung" verstecken.)

Hinzu kommt, dass die neue OMV-Führung kürzlich beschlossen hat, bis zu 49 Prozent ihrer Tochter Gas Connect, die in Österreich ein rund 900 Kilometer langes Leitungsnetz betreibt, zu verkaufen. Um Geld in die Kassen zu spülen, heißt es, auch weitere Verkäufe seien nicht ausgeschlossen. Der Verkauf erfolgt, obwohl das hochprofitable Unternehmen Gas Connect in den vergangenen Jahren durchschnittlich 100 Millionen Euro pro Jahr verdiente und aus österreichischer Sicht perfekt in die Strategie der OMV passt.

Was die Ausrichtung der Aktivitäten des "Zielobjekts" nach Russland betrifft, war Seele bereits überaus aktiv. Die OMV beteiligt sich an der Gazprom-Pipeline Nord Stream 2, die russisches Gas über die Ostsee nach Deutschland liefert. Von dort aus könnte der österreichische Markt theoretisch über die Pipeline Opal (an der Gazprom über Wingas 80 Prozent hält) beliefert werden. De facto aber erfolgt die Versorgung Österreichs über die Ukraine. Und auch wenn künftig weniger Gas über die Ukraine nach Österreich kommt, so müsste die Opal ebenfalls ausgebaut werden. "Ohne Seele wäre die OMV wohl kaum dabei", sagte Walter Boltz, Vorstand der E-Control, zur "Presse". Seele begründet die Beteiligung an Nord Stream mit der höheren Versorgungssicherheit.

Erster Höhepunkt der zunehmenden Ausrichtung der OMV gen Russland soll ein Asset-Tausch werden. Die OMV soll 25 Prozent an der russischen Öl-Gas-Lagerstätte Achimov (Urengoj) erhalten. Was Gazprom im Gegenzug von der OMV bekommen soll, daraus wird noch ein großes Geheimnis gemacht. Seele sagte zuletzt lediglich, man habe mittlerweile eine "sehr vertrauliche" Shortlist erstellt. Im ersten Halbjahr 2016 soll bekanntgegeben werden, was die OMV der Gazprom abgibt. Angesichts der jüngsten Ankündigung der OMV, im nächsten Jahr einen Teil der Gas Connect zu verkaufen, wird bereits spekuliert, dieser Teil werde an die Russen gehen.

Zudem kündigten beide Konzerne Ende September eine Zusammenarbeit bei Erdöllieferungen an. Die OMV bezieht bereits Erdöl aus Russland, nicht aber von Gazprom. Wer weiß, dieser Deal könnte auch zur Folge haben, dass sich die OMV an der teuren Sanierung alter Raffinerien in Russland beteiligt oder OMV-Tankstellen dort eröffnet werden.

Dritter Akt: zunehmende Verschuldung und Verkauf

Dem Gedankenspiel in den dritten Akt folgend bleiben nicht mehr viele Szenen. Das "Übernahmeopfer" versinkt in hohen Schulden: Denn das gewinnbringende europäische Gasgeschäft wird schrittweise zu billig an Gazprom abgetreten; die OMV ist für sie ungünstige Tauschgeschäfte eingegangen, erhielt riskante russische Assets im Upstream-Geschäft, bei denen sie in einer ohnehin finanziell angespannten Lage zwar für die notwendigen Milliarden-Investitionen zahlen darf und in Russland Arbeitsplätze schafft, aber nichts zu sagen hat. Gazprom baut dafür seinen Zugang und seine Bestimmungsrechte über alle OMV-Gasspeicher aus (obwohl Gazprom ohnehin bereits einen großen Teil der RAG-Speicher in Österreich kontrolliert) und kann auch beim Management der Pipelines in Österreich mitreden. So hat Gazprom immer mehr Macht, die Gaspreise zu diktieren. Der OMV selbst wird wohl kaum die Möglichkeit eingeräumt werden, Gas- oder Ölpipelines in Russland zu betreiben.

Das russische Ende der 1990er Jahre würde hier nun bedeuten, dass bei der OMV der Börsenkurs einbricht, Hauptaktionäre abspringen und der "Verfolger" direkt einsteigt. (Und für österreichische Politiker, die diese Entwicklung tolerierten, würde es wohl auch einen Vorstandsposten in einem Gazprom-Unternehmen bedeuten.)

Wiederholt hat die OMV betont, dass die beiden Unternehmen keine Direktbeteiligung anvisieren. Und immerhin ist all das ja nur ein Gedankenspiel. Fest steht auch für jene Experten, die für eine Diversifizierung der Gaslieferungen nach Europa eintreten, dass es für Österreich weiterhin nicht ohne russisches Gas geht. Jeder Experte hält den Russen zudem zugute, dass die Gaslieferungen seit 1968 verlässlich erfolgen. Und Zusammenschlüsse müsste auch die EU-Kommission wettbewerbsrechtlich genehmigen.

Die Frage, zu welchem Preis die aktuelle Ausrichtung der OMV Richtung Osten eingegangen wird, bleibt freilich. "Die Position der OMV gegenüber Gazprom ist momentan stärker, als allgemein angenommen wird", sagt der internationale Energieberater Wolfgang Schollnberger. Daher sei es notwendig, dass die jetzt eingegangenen Geschäfte für die OMV mindestens ebenso gewinnbringend seien wie für den mit Sanktionen, fallenden Öl- und Gaspreisen sowie Kreditverknappung konfrontierten russischen Partner Gazprom. Sonst wird sich die OMV künftig wohl viele Fragen anhören müssen, wie unabhängig sie agiert - und ob sie nicht vielmehr anstelle eines eigenständigen österreichischen Unternehmens zu "Gazprom West" geworden ist.