Zum Hauptinhalt springen

Wird es diesmal ausreichend regnen?

Von Thomas Veser

Politik

Selten hat Simbabwe die Regenzeit inbrünstiger herbeigesehnt als in diesem Jahr. Letzten November fielen endlich die ersten Tropfen. Damit endete für das Land zwischen Sambesi und Limpopo nach elf Monaten eine der bisher längsten Dürreperioden. Reichlich fallende Niederschläge verwandeln den ausgedorrten und steinharten Boden der Hochebene in der Provinz Matabeleland nun in grüne Wiesen. Doch was passiert, wenn die Regenzeit wieder zu früh aufhört, wie letztes Jahr?


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 21 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Allmählich steigt der Wasserstand in den seit Monaten ausgetrockneten Flussbetten. In deren sandige Böden hatten Bewohner des Distrikts Binga auf ihrer rastlosen Suche nach dem kostbaren Nass Löcher gegraben.

Mit dem einsetzenden Regen schlägt in Simbabwe die Stunde der internationalen Hilfswerke. Auch im Distrikt Binga, der sich entlang des Sambesiflusses an der Grenze zu Sambia erstreckt, können sie jetzt Dünger und Saatgut verteilen. Ungeduldig erwarten die Bauern morgens die Lieferwagen mit der Aufschrift "Christian Care", wie die einheimischen Partnerorganisation des Hilfswerkes der Evangelischen Kirchen der Schweiz (HEKS) heißt. Francis Dube, der mit seiner Familie vom Dorf Nalubuyu zur Ausgabestelle zu Fuß gegangen ist, nimmt die ihm zugedachten Hilfsgüter in Empfang. Wie die übrigen Landwirte hat er seine Ernte eingebüßt. Nicht eine einzige Maispflanze überlebte auf dem Feld vor seinem Wohnhaus.

An den letzten Regen kann sich Dube noch gut erinnern: "Das war 2001 zu Weihnachten. Vielleicht haben wir diesmal mehr Glück", meint er lakonisch und tritt mit Saatgut und Dünger den Heimweg an.

Womit sich die Landbevölkerung von Binga in den näachsten Monaten ernähren soll, steht momentan noch in den Sternen. Alle Vorräte gehen zur Neige, und auf dem Marktplatz der Siedlung Manjolo herrscht schon seit Wochen Katzenjammer. Maismehl, aus dem die Leute das an Polenta erinnernde Nationalgericht Sadza zubereiten, ist schon längst aus dem Angebot der Verkäuferinnen verschwunden. Sie bieten unterdessen hauptsächlich eine wild wachsende Hülsenfrucht namens Mysika an. Niemand schätzt dieses Naturprodukt, aber wählerisch kann man sich in diesen schweren Zeiten nicht geben. So wird Mysika nach stundenlangem Kochen dazu verwendet, den Brei aus dem täglich schrumpfenden Maismehlvorrat zu strecken. Weißbrot kann sich im ärmlichen Distrikt Binga so gut wie niemand leisten. Schon jetzt lässt sich voraussehen, wann der kleine Brotvorrat im Dorfladen von Manjolo aufgebraucht sein wird.

Der "Brotkorb" ist leer

Denn auch die Getreideernte ist im letzten Jahr fast völlig ausgefallen: Simbabwe, noch vor zwei Jahrzehnten als "Brotkorb des südlichen Afrika" gepriesen, durchleidet gegenwärtig eine der gravierendsten Ernährungskrisen der vergangenen Jahre. Nur noch die Älteren können sich daran erinnern, dass die einstmals blühende Landwirtschaft Agrarüberschüsse exportierte.

Wie fast in jedem Jahr herrschte auch in den übrigen Teilen Simbabwes mit seinen elf Millionen Einwohnern Mangel. "Sechs Millionen leiden unter unzureichender Ernährung", schätzt Reverend Joel Mtema von "Christian Care". Wie üblich wirkte sich die Trockenheit für die südliche Provinz Matabeleland besonders verheerend aus. Dort beträgt die Niederschlagsmenge pro Jahr im Mittel gerade einmal 600 Millimeter.

Weil die Regenzeit letztes Jahr zu früh endete, waren Mais- und Getreidefelder verdorrt. Obwohl die Bauern sehr wohl wissen, dass die regelmäßig drohende Dürre den Anbau von Mais, für den große Wassermengen nötig sind, ständig gefährdet, wollen sie nicht auf andere, in diesem Klima leichter zu kultivierende Pflanzen ausweichen. Wie Mitarbeiter verschiedener Hilfswerke bekräftigen, verlasse sich die Bevölkerung inzwischen auf einen Automatismus, der sich während der vergangenen Ernährungskrisen eingespielt habe: "Auf eine Missernte folgt mit großer Verlässlichkeit die Nothilfe. Daran hat man sich gewöhnt und sucht nicht mehr nach anderen Auswegen", klagt die Mitarbeiterin eines deutschen Hilfswerkes in Bulawayo, der Hauptstadt von Matabeleland.

Mehr Papier als Saatgut

Bevor jedoch die ersten Hilfstransporte mit Maismehl, Speiseöl und Bohnen über die südafrikanische Grenze fahren können, muss Jahr für Jahr ein entnervender Papierkrieg ausgestanden werden.

Diesmal lässt sich die Regierung unter Präsident Robert Mugabe dafür besonders viel Zeit. Als Mitte November die notwendigen Bescheinigungen für den Import von südafrikanischen Lebensmitteln immer noch nicht vorlagen, beschloss die Deutsche Welthungerhilfe, zunächst Dünger und Saatgut zu verteilen. Anderen humanitären Organisationen ist es kaum besser ergangen: "Wir bräuchten jetzt alle neun Minuten einen Dreißigtonner, der in das Land fährt", erläutert Joel Mtema. Wenn das gegenwärtige Tempo nicht beschleunigt werde, dann reichten die herbeigeschafften Vorräte niemals bis in das kommende Frühjahr hinein, befürchtet er. Wie die übrigen Organisationen hält sich "Christian Care" mit öffentlicher Kritik zurück. "Wir werden aber nicht müde, die Behörden ständig zu ermahnen", meint Mtema. Mitarbeiter westlicher Hilfswerke verhalten sich noch vorsichtiger, da die Regierung unliebsame Ausländer ohne Federlesens ausweist.

Tatsächlich wollen sich die offiziellen Stellen bei der Lebensmittelvergabe nicht von ausländischen Organisationen dreinreden lassen. Dass Bezirke, die bei den Wahlen mehrheitlich für den greisen Autokraten Mugabe gestimmt haben, vorrangig beliefert werden, ist inzwischen ein offenes Geheimnis. Und manchmal kommt es auch vor, dass bewaffnete Jugendbanden mit dem Segen der Regierungspartei ZANU-PF Hilfskonvois überfallen und ausrauben.

Inflation und Arbeitslosigkeit

Noch deutlicher als auf dem Land lässt sich die Notlage in den Städten beobachten. Wenn die Bäckereien frisches Brot anbieten, bilden sich vor den Geschäften morgens und abends Menschenschlangen. Zwar gilt für Weißbrot ein auf 60 Simbabwe-Dollar festgelegter Verkaufspreis (offiziell etwa ein Euro). Doch dafür ist das Grundnahrungsmittel gegenwärtig nirgends zu haben, da dieser Preis die Bäckereien in den Ruin treiben würde. So reichern die Bäcker ihr Brot zum Beispiel mit Sesam an und schaffen damit ein neues Produkt, das vom normierten Laib leicht abweicht, um es dann zum zehnfachen Preis zu verkaufen.

Unterdessen hat sich die Talfahrt der einheimischen Währung nur noch beschleunigt. Geben Banken für einen US-Dollar offiziell knapp 60-Simbabwe-Dollar, erhält man auf dem Schwarzmarkt dafür bis zu sechsmal soviel. Viele der Supermärkte, die überwiegend Libanesen, Indern und Pakistanis gehören, haben mittlerweile eine Wechselstube für den Schwarzmarktkurs eingerichtet. Das scheint die Behörden nicht weiter zu stören. Surrealistische Züge trägt das Verhalten einer Bank, die im gleichen Gebäude in Bulawayo neben einem offiziellen Devisentauschschalter eine Wechselstube für den Schwarzmarktkurs eröffnet hat.

Darüber kann die leidgeprüfte Bevölkerung nicht mehr lachen; bereits jetzt von steigender Arbeitslosigkeit betroffen, finden die Menschen gegenwärtig noch nicht einmal mehr schlecht bezahlte Aushilfsjobs, etwa als Putzhilfen. In Bulawayo kleben am Eingang großer Supermärkte Hinweise für Stellensuchende, dass sie sich die Mühe gleich sparen könnten. Touristen sind in Matabeleland so selten geworden, dass sich die Einheimischen heute überrascht umdrehen, wenn sich doch einer zeigt. Im Ruinenort Khami, der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts als Hauptstadt des Torwa-Reiches nahe Bulawayo gegründet wurde, kann der Mann an der Eintrittskasse an einem Samstag gerade einmal drei Besucher begrüßen.

Kinder auf Nahrungssuche

Während Kunsthandwerker auf ihren Schöpfungen sitzen bleiben, klagen die Hotelbesitzer über leere Zimmer. "Arbeit zu finden und gediegen zu leben, das war in den ersten Jahren nach dem Machtwechsel bei uns überhaupt kein Thema, und die tägliche Nahrung konnte man leicht bekommen", erinnert sich der 40-jährige "Christian Care"-Mitarbeiter Perserverance Murambalanda.

Jetzt müssen entkräftete Menschen nach bezahlbaren Lebensmitteln Ausschau halten. Dabei werden auch die Kinder eingesetzt. Immer häufiger bleiben sie dem Unterricht fern, weil sie bei der Suche mithelfen müssen. Als sich der Engpass zu Beginn des Herbsts verschärfte, führte das HEKS in seinem Projektgebiet in Binga an der Grundschule Schulspeisungen ein. Besonders folgenreich ist die mangelhafte Ernährung für Kranke, darunter viele HIV-Infizierte, die ihre Medikamente jetzt in vielen Fällen auf leeren Magen einnehmen müssen. In den Städten hat die Gewaltbereitschaft zugenommen. Kaum jemand traut sich nach Einbruch der Dunkelheit noch in das Zentrum der Ein-Millionen-Stadt Bulawayo.

Von den Weißen auf einem Schachbrettgrundriss mit breiten Boulevards angelegt, war Bulawayo einstmals größter Viehmarkt des Landes. Mittlerweile hat sich das einst viel gepriesene "Chicago Afrikas" in eine unheimlich wirkende Geisterstadt verwandelt. Viele Fabriken und andere Gewerbe-Immobilien sind verwaist, noch nie konnten sie günstig erworben werden wie heute. Zu alldem zeichnete sich im Herbst auch noch eine Benzinknappheit ab, die Mugabe erst im letzten Moment durch ein Geschäft mit Libyen abwenden konnte.

Selbstverschuldete Krise?

Unter anderem geht es um eine große und moderne Treibstoffverteilerzentrale an der Grenze zu Sambia, "Pickt sich Libyen jetzt die Rosinen aus dem Kuchen?", titelte eine Tageszeitung und stellte damit eine rhetorische Frage. Denn mittlerweile hat Mugabe alle namhaften Unternehmen in Staatshand veräußert. "Das Tafelsilber ist so gut wie weg", meint ein schwarzer Geschäftsmann im Aufzug eines Bürohochhauses in Bulawayo. Nachdem er die Negativmeldungen des Tages in seiner Zeitung überflogen hat, blickt er seinem Gegenüber fest in die Augen und bemerkt dazu mit Nachdruck: "You know, this country is

really in the shit".

Wohin der 1982 an die Macht gekommene Präsident mit Alleinvertretungsanspruch für alle Zeiten sein Land mit seiner ruinösen Politik führen wird, ist freilich bei älteren Bürgern noch immer ein Tabuthema. Wird es angesprochen, dann brechen sie die Unterhaltung meist sofort ab. Dafür äußert sich die Generation der Zwanzig- bis Dreißigjährigen schon wesentlich unverkrampfter: "Für die Versorgungskrisen ist nicht das Ausland verantwortlich, daran ist Simbabwe selbst schuld", bekräftigt ein 25-jähriger Computertechniker in Bulawayo. Dass sie durch die Enteignung weißer Farmbesitzer, deren Land verteilt werden soll, zu beheben sei, hält er für reinen Unsinn. Zwar sei die Landreform "ein edles Vorhaben", wie er hinzufügt, allerdings hätten die meisten Kleinbauern weder Kapital für den Aufbau einer eigenen Existenz noch das nötige Know-How, um einen Betrieb selbst zu bewirtschaften. "Noch mehr Arbeitslose werden dann in die Städte drängen", befürchtet er.

Genaugenommen belohne Mugabe damit nur seine Kampfgefährten und sichere sich weiterhin deren Loyalität. Inzwischen haben viele der Farmer, die schon vor Monaten den gerichtlichen Enteignungsbescheid erhielten, ihre Farmgebäude und den Zugang verriegelt und wohnen sicherheitshalber bei Verwandten in Bulawayo. Zukunftsprognosen möchte der ebenfalls betroffene Alfred Gerber, dessen Familie aus der Schweiz eingewandert ist, nicht mehr abgeben: "Die Lage ist so verworren, dass mir alles verleidet ist. Aber wenn ich meinen Hof verliere, werde ich auswandern, weil ich damit auch meine Heimat verliere", fügt er hinzu.

Mittlerweile haben die meisten Bauern, darunter auch Francis Dube im Distrikt Binga, die Aussaat abgeschlossen; er mustert den wolkenverhangenen Himmel über dem nordwestlichen Matabeleland mit skeptischem Blick und fragt dann: "Was tun, wenn der Regen wieder zu früh aufhört?"