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Wird Europa Bundesstaat per Notverordnung?

Von Christian Ortner

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Christian Ortner.

Die politische Union Europas gegen demokratische Mehrheiten zu erzwingen, würde zu einem grausamen Scheitern führen.


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Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel fordert neuerdings, wohl mehr von der Krise getrieben denn aus innerster Überzeugung, eine "stärkere politische Union" Europas. Dafür würde Deutschland auch bedeutende wirtschaftliche Souveränitätsrechte an Brüssel abgeben.

Das macht insofern einen gewissen Sinn, als eine einheitliche europäische Finanz- und Wirtschaftspolitik samt dazugehöriger Verlagerung budgetärer, steuerlicher und anderer wirtschaftspolitischer Kompetenzen an die EU letztlich so etwas wie die "Vereinigten Staaten von Europa" begründen würde - oder zumindest deren Nukleus. Dieses staatliche Gebilde wäre dann mit hoher Wahrscheinlichkeit ausreichend kreditwürdig, um die derzeitige Schuldenkrise der Eurozone vorerst einmal halbwegs wirksam einzudämmen.

Wirklich glaubwürdig wird eine solche "politische Union" aber nur, wenn die Nationalstaaten auch ihre Budgethoheit weitgehend abgeben und künftig Brüssel das letzte Wort über den jeweiligen Bundeshaushalt hat. Das ist des Pudels Kern.

Für eine derartige Übertragung der Kernkompetenz der nationalen Parlamente wird es jedoch keine demokratische Mehrheit geben. Ganz abgesehen von so beckmesserischen Einwänden wie jenem, dass in Österreich wohl eine Volksabstimmung über eine derartige Ausschaltung des Parlamentes notwendig (und vermutlich nicht zu gewinnen) wäre; oder dass in Deutschland die Verfassungsrichter einer Entmachtung des Bundestages nicht zustimmen dürften.

Man kann ja durchaus aus politischen oder ökonomischen Gründen eine schnelle und tiefe politische Union für richtig oder zumindest alternativenlos halten - durchzusetzen wird sie auf die Schnelle wohl nur auf einer mehr als brüchigen rechtlichen Basis sein. Ein Hauch von Notstandsgesetzgebung gegen den Rechtsstaat und die europäische Demokratie liegt in der Luft, wenn die "politische Union" tatsächlich erzwungen werden soll. Der Europäische Bundesstaat wäre dann nicht Produkt eines freiwilligen politischen Liebesakts, sondern vielmehr einer schweren Nötigung - keine übermäßig sympathische Vision.

Die Alternative einer politischen Union, die nur so tut, als wäre sie eine, ist hingegen keine Alternative: Sie würde Europas Geldgeber so wenig überzeugen wie Griechenlands Versprechen, in Zukunft ganz, ganz seriös zu wirtschaften.

Dass die fatale Neigung der (west-)europäischen Wohlfahrtsstaaten zum Schuldenexzess auf Kosten künftiger Generationen nicht endlos und vor allem nicht ohne Konsequenzen weiter betrieben werden kann, war ökonomischen Spaßbremsen schon länger klar. Dass aber in letzter Konsequenz die Demokratie selbst und mit ihr Parlamentarismus und Rechtsstaat beschädigt werden könnten, weil eine vermeintliche "Alternativenlosigkeit" die Einführung der politischen Union Europas quasi per verfassungsrechtlicher Notstandsgesetzgebung erzwingt, das wäre ein viel zu hoher Preis, der für jahrzehntelange Schuldenexzesse zu entrichten wäre. Eine erzwungene Union trüge von Anfang an ihr künftiges und finales Scheitern in sich; und das nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht.