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Wird Österreichs Herde überhaupt immun?

Von Martina Madner

Politik

Die Sars-CoV-2-Schutzimpfungen schreiten voran, Salzburg, die Steiermark und Wien hinken allerdings hinterher. Gefährden Impfunwillige bereits jetzt das Ziel des Schutzes der Gesamtbevölkerung?


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Im elektronischen Impfpass sind österreichweit bereits 2.076.888 mit der ersten Dosis der Sars-CoV-2-Schutzimpfung erfasst. Das sind 23,8 Prozent der Bevölkerung. Allerdings gibt es zwischen den Bundesländern große Unterschiede: Salzburg, die Steiermark und Wien scheinen die Sorgenkinder zu sein, sie liegen mit Anteilen von 20,5 und 21,3 sowie 22 Prozent Erstgeimpften hinter den anderen zurück.

Nicht nur das: Vollimmunisiert, also mit Erst- und Zweitimpfung, sind nur 8,8 Prozent der Bevölkerung. Salzburg und die Steiermark liegen bei der Gruppe der 65- bis 75-Jährigen mit 45 und 44 Prozent Erstgeimpften besonders weit unter dem Durchschnitt (57 Prozent). Und Wien scheint mit 58 Prozent Erstgeimpften bei über 85-Jährigen den Zenit erreicht zu haben. Was aber sind die Gründe dafür? Und gefährden Impfunwillige das Ziel einer Herdenimmunität bereits?

Mehr als zwei Drittel müssen geimpft sein

Herdenimmunität bedeutet, dass sich Sars-CoV-2 ohne jegliche weitere Schutzmaßnahmen in einer Bevölkerung nicht mehr verbreitet. Der Anteil an Immunen, die für diese notwendig ist, lässt sich einfach mit der Basisreproduktionszahl berechnen, die die Anzahl an Menschen angibt, die sich ohne jegliche Schutzmaßnahmen bei einem Infizierten anstecken. Die Formel: Man dividiert 100 durch die Basisreproduktionszahl und zieht dieses Ergebnis von 100 ab. "Mit B.1.1.7, weil infektiöser, dürfte die Basisreproduktionszahl gegenüber der ursprünglichen aus China von 2,2 auf zirka 2,7 gestiegen sein, was 63 Prozent der Bevölkerung entspricht, die immun sein muss", erläutert Epidemiologin Eva Schernhammer.

So weit, so einfach. Allerdings gibt die MedUni-Wien-Forscherin zu bedenken, dass Impfungen keinen 100-prozentigen Schutz bieten, bei Biontech/Pfizer sind es etwa 95 Prozent, bei anderen Impfstoffen noch weniger. Bei einigen Älteren habe sich zudem trotz Impfung kein Schutz aufgebaut. Im Moment werden Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren nicht geimpft, Schwangere wurden gerade erst in den Impfplan aufgenommen. "Die Jungen machen mir nicht so große Sorgen", sagt Schernhammer. Biontech/Pfizer arbeite bereits an klinischen Studien für diese, "spätestens bis Herbst wird es Klarheit geben."

Wohl aber sorgt sich die Epidemiologin wegen der "Supermutante in Tirol, B.1.1.7 plus E484K, die ist extrem bedenklich." Sie sei ansteckender und die Impfungen sprechen weniger gut an. "Ich verstehe nicht, warum die politisch Verantwortlichen nicht dagegen angehen." Mit einer Ausbreitung sind Impferfolge in Gefahr, die sich Tirol mit 28,5 Prozent Erstgeimpften und 14,4 Prozent Vollimmunisierten im März mit den zusätzlichen 100.000 Impfdosen von der EU für die Bevölkerung des Bezirks Schwaz erarbeitet hat.

Ende Juni könnten 65 Prozent immun sein

Eine gute Nachricht für Österreichs Herde: Eine britische Studie zeigt, dass von Geimpften ein um 38 bis 49 Prozent geringeres Übertragungsrisiko ausgeht als von nicht Geimpften. Ein weiteres Plus hat Simulationsexperte Nikolaus Popper berechnet: Wenn die "ehrgeizigen Pläne" der Regierung halten und zu den drei Millionen Impfungen in den ersten vier Monaten tatsächlich weitere sechs Millionen Impfdosen bis Ende Juni verabreicht werden, sind 65 Prozent der österreichischen Bevölkerung immunisiert, 40 Prozent wegen der Impfung, 25 wegen einer überstandenen Infektion. Die effektive Reproduktionsrate sinkt wegen der Impfungen um 20 Prozent.

Popper warnt aber: "Wir befinden uns gerade in einer sehr heiklen Phase." Durchschnittlich 100.000 Impfungen pro Tag, derzeit sind es nicht mal 50.000, erfordern eine gute Logistik. "Man muss die Impfwilligen finden. Die Impfpriorisierung der Vulnerablen darf nicht perdu gehen." Die Ältesten und Kranken erreiche man nicht mit Impfstraßen, sondern "mit der Pipette. Hausärzte werden sie durchtelefonieren müssen."

Das ist schon jetzt die Strategie in Salzburg. "Wir haben für Ältere und Risikopatienten bewusst das wohnortnahe Impfen beim Hausarzt mit Beratung gewählt", sagt Gesundheitslandesrat Christian Stöckl. Der Vorteil: "AstraZeneca wird mit guter Aufklärung weniger häufig abgelehnt."

Die Gründe für die Impfverzögerungen

Der Nachteil und Grund für den Salzburger Rückstand: Es dauert bis zu sieben Tagen, bis die Impfungen der Hausärzte im E-Impfpass erscheinen. Die nun anstehende Massenimpfungen werde man mit Impfstraßen in jedem Bezirk bewältigen, "die wir noch erweitern können", sagt Stöckl. Laut steirischem Impfkoordinator Michael Koren sind Hausärzte auch das Problem für den steirischen Rückstand, allerdings anders: "Rund 15.000 bis 20.000 Impfungen dürften von niedergelassenen Ärzten nicht ordnungsgemäß dokumentiert worden sein." Vor allem beim "Off-Lable-Use", also wenn Ärzte aus einem AstraZeneca-Fläschchen nicht nur zehn, sondern elf und mehr impfen, werde der Erststich oft nicht vermerkt. "Spätestens mit dem Grünen Pass werden die Menschen verlangen, dass sie das gleich machen", gibt Koren Ärzten mit auf den Weg.

In Wien ist der Anteil der Älteren größer als in anderen Bundesländern, vom Impfstoff erhalte man der Gesamtbevölkerung gemäß aber immer gleich 21,5 Prozent. Die über 90-Jährigen sind über Impfstraßen schwer zu erreichen, 32 Prozent sind hier noch ungeimpft, obwohl zehn mobile Impfteams unterwegs sind. Das Ältere nicht impfunwillig sind, erkenne man laut Gesundheitsstadtratbüro aber an den 84 Prozent Erstgeimpften im Alter zwischen 80 und 90 Jahren.

Bei den Impfungen des Gesundheits- und Pflege sowie Schul- und Kindergartenpersonals wurden zudem 60.689 Personen aus Niederösterreich und dem Burgenland in Wien geimpft. Zieht man Wienerinnen und Wiener, die in diesen Bundesländern geimpft worden sind ab, "fehlen" Wien 40.949 Impfdosen. Im Gesundheitsministerium werden deshalb bereits Gespräche über einen Impfstoffausgleich geführt.