Zum Hauptinhalt springen

Wird Referendum zum Eigentor?

Von Gerhard Lechner und Michael Schmölzer

Politik

Separatisten wollen am Sonntag über die Abspaltung der Ostukraine abstimmen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Kiew. Die prorussischen Kräfte im Osten der Ukraine sind wild entschlossen, ihr geplantes Autonomie-Referendum am Sonntag über die Bühne gehen zu lassen - und das gegen alle Widerstände. Denn zuvor hatte der russische Präsident Wladimir Putin für eine Verschiebung des Votums plädiert; die Führung in Kiew bestreitet, dass es ein Referendum überhaupt gibt. "Wir haben eine derartige Abstimmung niemals in die Wege geleitet, wir können etwas, das gar nicht existiert, nicht absagen oder verschieben", heißt es dazu in Kiew.

Die ukrainische Regierung ist weiter davon überzeugt, dass es Putin in erster Linie darum geht, weiter für Unruhe zu sorgen und die politisch weit bedeutsameren Präsidentschaftswahlen am 25. Mai zu torpedieren.

Manche Analysten weisen allerdings darauf hin, dass die Überlegungen des Kremlherrn andere sein könnten: War das Unabhängigkeitsreferendum auf der Krim am 16. März aus der Sicht Moskaus erfolgreich über die Bühne gegangen, so dürfte sich dieses Szenario jetzt nicht in gleicher Weise wiederholen: US-Diplomaten schätzen die Lage so ein, dass die Separatisten zur Abhaltung des Votums gar nicht über die nötigen administrativen Mittel verfügten. Umfragen zeigten außerdem, "dass eine freie und faire Abstimmung nicht zu einer Mehrheit für die Abspaltung führen würde", so Michael McFaul, Ex-Botschafter der USA in Moskau, gegenüber der "New York Times".

"Unterstützen Sie die Abspaltung?"

Wjatscheslaw Ponomarjow, der selbsternannte Bürgermeister von Slawjansk, hat die Stimmzettel jedenfalls bereits der Öffentlichkeit präsentiert. Auf den Karten ist in russisch und ukrainisch die Frage zu lesen: "Unterstützen Sie die Unabhängigkeitserklärung der Volksrepublik Donezk?" Ponomarjow jedenfalls weissagte am Freitag, dass sich eine überwiegende Mehrheit der Ostukrainer für die Unabhängigkeit aussprechen werde. Ziele des ehemaligen Direktors einer Seifenfabrik sind eine nähere Anbindung an Russland, auch eine Union mit der Russischen Föderation ist für ihn vorstellbar.

Zwei Tage vor dem Beginn der Abstimmung waren die Rahmenbedingungen für das Votum aber alles andere als klar. So fehlte etwa in Slawjansk eine Aufstellung über die Wahllokale, deren Anzahl unbekannt blieb. Und es war ungewiss, ob sich das Referendum im Endeffekt als große Blamage für die Rebellen erweist. Das wäre dann der Fall, wenn augenscheinlich nur ein Bruchteil der Bevölkerung tatsächlich zu den Urnen ginge. Dann wäre der mangelnde Rückhalt der Rebellen offenbar. Auch könnte die Zahl der Ja-Stimmen manipuliert werden. Kiew spricht von der angeblichen russischen Beteiligung an der Organisation des Referendums und von Plänen, das Ergebnis zu fälschen.

Der ukrainische Präsident Alexander Turtschinow hat unterdessen allen Separatisten Amnestie angeboten, wenn diese nicht "Blut an ihren Händen" hätten. Die ukrainischen Behörden wollen die Abhaltung des Referendums aber nicht unterbinden. Das hat mehrere gute Gründe: Die Lage ist zum Zerreißen gespannt, jedes Einschreiten der Exekutive könnte neues Feuer an die Lunten legen. Zum Zweiten finden sich in den Reihen der Exekutive viele Anhänger einer Sezession.

Mindestens 21 Tote in der Hafenstadt Mariupol

Dass am Freitag der höchste patriotische Feiertag Russlands, der "Tag des Sieges" über das nationalsozialistische Deutschland stattfand, trug nicht zur Beruhigung der Lage bei. Im belagerten Slawjansk hielt "Volksgouverneur" Pawel Gubarew vor tausenden Zuhörern eine Rede, in der er betonte, die "faschistische Junta" in Kiew niemals anzuerkennen. "Niemals! Niemals!", antwortete die Menge auf dem Platz.

In der Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer kam es nach den Feierlichkeiten zu Kämpfen zwischen prorussischen Separatisten und ukrainischen Soldaten. Videos zeigten ukrainische Panzer, die in hohem Tempo durch Mariupol rasten, und Blutlachen. Mindestens 21 Menschen sollen getötet worden sein. Ein Sprecher der Separatisten erklärte, eine Menschenmenge sei zu einer von prorussischen Kräften besetzten und von ukrainischen Sicherheitseinheiten belagerten Polizeistation gezogen. Daraufhin hätten die Einsatzkräfte das Feuer eröffnet. Der ukrainische Innenminister Arsen Awakow sprach davon, dass 60 "Terroristen" die Polizeistation angegriffen hätten. Auf Seiten der Regierungseinheiten seien ein Polizist getötet und fünf verletzt worden.

Für Putin war dieser 9. Mai noch ereignisreicher als gewohnt: Er nahm diesmal nicht nur die übliche Siegesparade auf dem Roten Platz in Moskau, sondern auch in Sewastopol auf der Krim ab. Die Stadt begeht zeitgleich zum 69. Jubiläum des Kriegsendes auch den 70. Jahrestag der Befreiung. Sowjetische Truppen hatten die Stadt am 9. Mai 1944 von der deutschen Wehrmacht zurückerobert.

Putin hielt eine kurze Ansprache, in der er den Anschluss der Krim an Russland rechtfertigte. Mit der Annexion sei die "historische Wahrheit" wiederhergestellt, meinte Putin - und grüßte die Veteranen mit einem "Ehre dem Siegervolk". Den Konflikt in der Ukraine erwähnte er in Sewastopol - wie auch auf dem Roten Platz in Moskau - nicht.

Es war der erste Besuch Putins auf der Krim seit der umstrittenen Annexion der Halbinsel im März. Vom ukrainischen Interimspremier Arseni Jazenjuk wurde der Besuch auf der von Kiew abtrünnigen Halbinsel bereits im Vorfeld als "Provokation" bezeichnet. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen nannte die Reise "unangemessen". Die Krim sei nach internationalem Recht weiterhin ukrainisches Gebiet, und die Führung in Kiew habe Putin nicht eingeladen. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel hatte die Teilnahme Putins an der Parade bereits im Vorfeld kritisiert.

Russischer Vizepremier bei Parade in Transnistrien

Putin war nicht der einzige prominente russische Politiker, der eine Militärparade in einem umstrittenen Gebiet besuchte: Vizeregierungschef Dmitri Rogosin - ein gemeinhin als russisch-national bekannter Politiker - hat am Freitag einer Militärparade in Transnistrien beigewohnt. Die großteils von Russen und Ukrainern bewohnte, schmale "Republik am Dnjestr" wurde einst von Sowjetdiktator Josef Stalin Moldawien zugeschlagen und ist seit dem Zerfall der UdSSR 1991 abtrünnig. Eine russische Friedenstruppe ist im Land stationiert.

Rogosin sagte, Russland garantiere Transnistriens "Frieden und Sicherheit" und werde "alles tun", um zu verhindern, dass Transnistrien "in der Isolierung landet" - eine auf die Politik der Ukraine gemünzte Formulierung: Die Ukraine habe zu strikte Grenzkontrollen, meinte Rogosin. Kiew kontrolliert die Grenzen zu Transnistrien streng, weil es das Einsickern russischer "Provokateure" fürchtet.