Die "Elga-Daten für Wissenschaft"-Diskussion hat wieder eine große Gefahr für die Demokratie anschaulich gezeigt: Ignoranz.
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Wenn Politiker jammern, dass das Wahlvolk "Fakes" statt "Facts" bevorzuge, dann empfiehlt sich ein Blick auf die "Facts" des Alltagslebens der einfachen Leute, also auf konkrete Auswirkungen von politischen Entscheidungen:
Wie funktioniert es eigentlich für einen kranken, hilflosen Menschen, gesund zu werden, wenn er in einem Gangbett liegt, wo er Tag und Nacht Licht und Lärm (eigentlich Foltermethoden!) und neugierigen Blicken ausgesetzt ist?
Wie funktioniert es eigentlich für Lehrkräfte, Jugendlichen mit mangelhaftem Deutschverständnis in Klassen mit 34 Schülern Naturwissenschaften auf Maturaniveau beizubringen?
Wie funktioniert es eigentlich für Unternehmen, in einem Beruf Jugendliche erfolgreich auszubilden, die trotz österreichischem Pflichtschulabschluss kaum über Arbeitsdisziplin und Deutschverständnis verfügen?
Wie funktioniert es eigentlich für 50-jährige Arbeitslose, vor Antritt der Alterspension einen neuen Job in Österreich zu finden?
Wie funktioniert es eigentlich für Kinderärzte, Müttern, die kaum Deutsch verstehen, in acht Minuten nicht nur die Krankheit des Kindes und alle Behandlungsmaßnahmen zu erklären, sondern sie auch noch über wesentliche Regeln für die Gesundheit des Kindes zu informieren?
Erfolgreiche Unternehmen haben zur besseren Entscheidungsfindung von Top-Führungskräften ein System etabliert: Mindestens einmal im Jahr arbeitet die Unternehmensleitung am Ort der Leistungserbringung im Arbeitsalltag als "einfache Mitarbeiter" mit. Klar, dass man als Top-Manager anders behandelt wird als der eben neu angestellte Mitarbeiter. Das Wesentliche wird aber für die unternehmerische Elite spür- und sichtbar: Welche Probleme gibt es im Arbeitsalltag pragmatisch zu lösen? Welche unternehmerischen Vorgaben sind zur Kundenschnittstelle tatsächlich sinnvoll, welche geschäftsschädigend?
In der Politik glaubt man, ohne dieses genaue Hinschauen auszukommen. Wichtig scheint nur die Schlagzeile im Boulevard. Auch wenn diese von der Bevölkerung bejubelt wird, folgt die große Enttäuschung: Die Menschen erleben im Alltag, dass es - im besten Fall - keine Verbesserung gibt oder - im schlechtesten Fall - im persönlichen Umfeld vieles schlimmer wird. Auf die Unzufriedenheit, die sich in politischer Radikalisierung äußert, schaut die Politik von oben herab - aber die richtige Schlussfolgerung, in den Sachverhalten des täglichen Lebens genau hinzuschauen und sich mehr mit "Facts", also dem Ausmisten von Augias-Ställen, als mit "Fakes", sprich: dem Aufrechterhalten von Potemkinschen Dörfern zu beschäftigen, wird nicht gezogen.
Das Nicht-Hinschauen, das Nicht-genau-wissen-Wollen gepaart mit Nicht-genau-wissen-Können von Politik und Bevölkerung ist jene unheilvolle Kombination, die unsere historisch gesehen mühsam aufgebaute Gesellschaft in den Grundfesten wanken lässt: Beim Wahlvolk verschärft sich der Eindruck, dass Politiker keine Ahnung vom wirklichen Leben von Frau und Mann von der Straße haben und sich darüber auch nicht informieren. Wer kann dem widersprechen?