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Das Interview mit dem "Betroffenen" ist eine Errungenschaft der 1980er Jahre. Damals hat sich die Erkenntnis durchgesetzt: Der Betroffene darf ruhig etwas konfus reden, er macht das locker durch die Aura des Authentischen wett. Denn der Betroffene ist einer, der durch einen Zufall aus der Masse des Wir herausgehoben wurde. Schockiert berichtet er den anderen, plötzlich zum "Ihr" gewordenen Zuschauern von seinen Erfahrungen. Und die Zuschauer erleben eine Katharsis: Ein bestimmtes Schicksal hätte auch sie treffen können. Sie blieben verschont und empfinden ein Glücksgefühl, das sie nach diesen Betroffenen-Gesprächen süchtig macht. Davon lebt Barbara Stöckl mit "Help TV" (ORF 2, Do., 20.15 Uhr).
Zeitgleich zeigte das erste deutsche Fernsehen mit "Leben wäre schön", wie man die Betroffenen-Wirklichkeit zu einem Film gestaltet. Dagmar Manzel spielte eine selbstbewusste Frau mit halbwüchsiger Tochter und interessantem Beruf, die aus ihrem Alltag gerissen wird, weil in ihrer Brust verdächtige Knoten entdeckt werden. Leicht und überzeugend skizzierte Manzel all die Gefühlslagen, die eine Frau in ihrer Situation wohl zu gewärtigen hat. Der Zuschauer muss aber keine Frau sein, um sich in die Lage jemandes zu versetzen, der mit der Diagnose Krebs konfrontiert ist. Das Medium Film verarbeitet die Betroffenheit des Individuums zu einer allgemein gültigen Geschichte. Kunst läuft der Wirklichkeit dann den Rang ab, wenn sie die Wirklichkeit so aufbereitet und verdichtet, dass das Allgemeine am Besonderen zu Tage tritt.