Caring ist die umfassende Klammer einer Frischzellentherapie, um Wirtschaft tiefer zu verstehen.
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Who cares? Diese beiden Worte versenden eine doppelbödige Botschaft. Entweder eine abfällige im Sinne von "Interessiert doch eh keinen" oder eine anerkennende ("Wer kümmert sich darum"). Beide Varianten sind enthüllend für den Umgang mit dem wirtschaftlichen Alltag. Dazu einige aktuelle Erfahrungen.
Erstens, bei jener Unternehmung, die über Jahre anspruchsvolle Komponenten an prominente Firmen der Automobilindustrie zulieferte, durch deren dauernde Preisdiktate aber schließlich in die Zahlungsunfähigkeit getrieben wurde. Gleichsam als Kollateralschäden manifestierten sich bei den Mitarbeitern Burnouts, deren dringende Behandlung an den bis zu einem Jahr langen Warteschlangen im Gesundheitssystem scheiterte.
Zweitens, bei der Alleinerzieherin mit zwei Kindern, wo die aktuellen Preiserhöhungen bei Elektrizität und Gas vom dürftigen Monatseinkommen fast ein Zehntel wegbrechen. Darauf verzichten die Kinder auf den Kauf der Pausengetränke in der Schule, um die zu Monatsende übliche Phase von Toastbrot als Hauptmahlzeit wenigstens etwas zu entlasten.
Drittens, bei den vielfältigen Lücken in den unsere Zukunftsfähigkeit bestimmenden Weichenstellungen, wie die sich abrupt entfaltende Künstliche Intelligenz. Wie gravierend dieser extreme Technologiesprung alle Bereiche unseres Lebens verändern könnte, wäre mindestens mit gleicher Intensität zu diskutieren, wie der Abschied von dem sein Ablaufdatum erreichenden Verbrennungsmotor.
Das sind Beispiele, wo Caring im Sinne des sorgenden Wahrnehmens anzusetzen wäre. Es darf diskutiert werden, welche wirtschaftliche Macht bei Automobilen, Arzneimitteln und bei Lebensmitteln zerstörend wirkt und warum deshalb die Lieferketten im Inland und Ausland zu verändern wären. Es muss gefragt werden, warum die Preise für Energie bei Haushalten und Unternehmen nicht wieder auf jenes Niveau zurückfallen, das wir bei nun gleichen Preisen im Großhandel wie vor zwei Jahren hatten. Es wäre eine breite Auseinandersetzung zu starten, wie die gravierenden Bedrohungen durch Künstliche Intelligenz abgewehrt werden können, ohne deren Chancen von Bildung bis zu den Berufen zu beeinträchtigen.
Caring wird entdeckt als eine Basiskompetenz, mit der unsere mit Wirtschaft verbundenen Entscheidungen besser gelingen sollten. Caring ist die umfassende Klammer einer Frischzellentherapie, um Wirtschaft tiefer zu verstehen, Orientierung für die eigene Rolle darin zu finden und Konflikte konstruktiver zu bewältigen. Eingeschlossen in diesem noch ungewohnten Vokabular zum Umgang mit Wirtschaft sind Making und Sharing, die dafür zu installierenden Netzwerke und Märkte, sowie Werte als Maßstäbe zu deren Vermessung.
Caring darf aber nicht mit Controlling verwechselt werden. Das belegen die Vorgänge um die Einstellung der "Wiener Zeitung" in ihrem bisherigen Format, der seit 320 Jahren erscheinenden ältesten gedruckten Tageszeitung der Welt. Es gab Angebote für deren Kauf und der damit möglichen Weiterführung. Aber die Politik wollte die Kontrolle über das verbleibende digitale Restprodukt nicht aufgeben. Who cares?
So eine Wirtschaft: Die Wirtschaftskolumne der "Wiener Zeitung". Vier Expertinnen und Experten schreiben jeden Freitag über das Abenteuer Wirtschaft.